20240403 ORFIII Kampf gegen die Kirche in der Ukraine Wehrsch Mod
Berichtsinsert: Christian Wehrschütz aus der Ukraine
Kamera: Nenad Dilparic; Schnitt: Mica Vasiljevic
Insert1: Jevhenija Krawtschuk, Abgeordnete der Partei „Diener des Volkes“
Insert2: Nikita Poturajew, Abgeordneter der Partei „Diener des Volkes“
Insert3: Artem Dmitruk, Parteifreier Abgeordneter im ukrainischen Parlament
Insert4: Robert Amsterdam, Rechtsvertreter der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche (UOK)
Insert5: Viktor Jelenskij, Leiter der Behörde für „Ethnopolitik und Gewissensfreiheit“
Insert6: Thomas Bremer, Professor für Ostkirchenkunde an der Universität Münster
Insert7: Maximian Pogorelovski, Pressesprecher der UOK der Diözese Odessa
Insert8: Richard Potz. Professor für Orthodoxes Kirchenrecht
Gesamtlänge: 10’47
Kirchenkonflikte bestehen in der Ukraine seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor mehr als 30 Jahren; sie sind Teil der Nationsbildung, die eine Loslösung vom Einfluss Russlands bedeutet, das den Großteil der Ukraine mehr als 300 Jahre dominiert hat. Daher hat der russische Angriffskrieg auch den Konflikt zwischen dem Staat und der UOK, der Ukrainisch-Orthodoxer-Kirche, verschärft. Ausdruck dessen ist ein Gesetzesentwurf, den das Parlament in Kiew in erster Lesung beschlossen hat. Sein Titel lautet: „Gesetz zum Schutz der nationalen und öffentlichen Sicherheit, der Menschenrechte und Freiheiten auf dem Gebiet religiöser Organisationen“. Zu den Initiatoren des Gesetzes zählt Jevhenija Krawtschuk; sie ist Abgeordnete der Partei von Präsident Volodimir Selenskij, die im Parlament über die absolute Mehrheit verfügt:
Jewhenija Krawtschuk 2'19'4 - Verbot der Verbindungen zu ROK - 3'09'5
"Das Gesetz verbietet keinerlei religiöse Organisation, sondern verbietet, Verbindungen zu haben mit dem Land des Aggressors und mit der Russisch-Orthodoxen-Kirche. Diese Kirche ist im Wesentlichen Teil des Apparats, den Wladimir Putin geschaffen hat. Patriarch Kyril segnet den Völkermord an den Ukrainern; seine Kirche weiht Raketen, die ukrainische Städte beschießen und viele Menschen töten.“
Die UOK wird im Text nicht namentlich genannt; doch sie ist die einzige große religiöse Organisation, die bis Kriegsbeginn offiziell institutionelle Beziehungen zur Russisch-Orthodoxen-Kirche unterhielt. Für das Gesetz ist der Abgeordnete Nikita Poturajew; er wirft der UOK vor, sich nicht von Moskau trennen zu wollen:
Nikita Poturajew 35'25‘4 - Gesetz und UPZ und ROK - 36'22'5
"Das Gesetz wird die UOK nur in dem Ausmaß betreffen, in dem sie ihre Verbindungen mit der Russisch-Orthodoxen-Kirche bewahren und Teil dieser Kirche bleiben möchte. Das weiß die UOK natürlich ganz genau, und daher läuft sie Sturm gegen dieses Gesetz, weil sie Teil der Russisch-Orthodoxen-Kirche bleiben und diese Verbindungen behalten will."
Eine Bastion der UOK ist die Hafenstadt Odessa. Hier lebt auch Artem Dmitruk, ein bekennender Anhänger dieser Kirche. Gemeinsam mit Priester Miroslav besuchen wir die Kathedrale, die vor mehr als einem Jahr von einer russischen Rakete schwer beschädigt wurde. Artem Dmitruk kam über die Partei von Präsident Volodimir Selenskij ist Parlament, verließ aber die Fraktion und ist nun parteifreier Abgeordneter. Im Gesetzesentwurf sieht er ein Mittel zur Rechtfertigung religiöser Unterdrückung; als Beispiel nennt der 30-Jährige ein Kriterium, das die Beziehungen der UOK mit Moskau beweisen soll:
Artem Dmitruk 8'11'0 - Absurde Bestimmung ROK schreibt dass UPZ Teil - 9'08'2
"Wenn in Russland in ihrer Kirche festgeschrieben ist, dass sie unsere Kirche führt, so berufen sich unsere Gesetzgeber und unsere Regierung auf dieses Dokument. Das ist doch paradox. Denn wir als Staat sagen, dass Russland ein Aggressor ist, doch gleichzeitig berufen wir uns auf ihr Dokument. Das kann doch nicht sein. Unsere Kirche hat keine Beziehungen zur russischen Kirche"
Die UOK bekämpft das geplante Gesetz auch mit juristischen Mitteln. Ihr bekanntester Anwalt ist Robert Amsterdam; der Brite hat lange Erfahrung im Kampf für Menschenrechte; auch in Moskau verteidigte er prominente Fälle gegen Vladimir Putin. Bei seinem Besuch jüngst in Kiew soll ich der einzige Journalist vor Ort gewesen sein, der zu einem Treffen bereit war. Hat die UOK tatsächlich mit Moskau gebrochen?
Robert Amsterdam 4'18'2 - Unabhängigkeit und Spreu vom Weizen - 5'04'7
Vollständig. Die Invasion von 2022 hat hier für Klarheit gesorgt. Es gab Mitglieder der Kirche, die pro-russisch waren. Sie sind gegangen. Der Bischof, der Metropolit der Kirche, war der erste bedeutende religiöse Führer, der die Invasion verurteilte, und er hat darauf bestanden, eine Trennung sicherzustellen. Er berief im Mai 2022 nach der Invasion eine spezielle Synode ein, um sicherzustellen, dass jede Spur von potenzieller Verwaltungs- oder anderer Kontrolle entfernt wurde. Wir sind die Mehrheitskirche. Unsere Leute sind es, die an vorderster Front kämpfen und jeden Tag ihren Patriotismus und ihre Loyalität zeigen. Es gibt keine fünfte Kolonne, Moskau hat keine Macht.“
Politisch und praktisch mag das richtig sein, kirchenrechtlich aber wohl nicht. Darauf verweist Viktor Jelenskij, der Leiter der staatlichen Behörde, die für kirchliche Fragen zuständig ist. Was müsste denn die UOK tun, um seiner Ansicht nach nicht mehr vom Gesetz betroffen zu sein?
19-02 Jelenskij
„Zum Beispiel kann die UOK verkünden, dass sie aus dem Verband der Russischen Kirche austritt, dass sie aus der Gemeinschaft der Bischöfe und aus dem Synod austritt. Dafür müssen sie weder die Orthodoxie verraten noch auf einen anderen Kalender umsteigen noch, wie sie sagen, eine andere liturgische Sprache verwenden. Sie müssen auch nicht Teil einer anderen Kirche, etwa der Orthodoxen Kirch der Ukraine werden, oder die Autokephalie verkünden, wenn das die UOK nicht will. Eine derartige Erklärung kann sogar ein Erstsemester-Seminarschüler verfassen, in der steht, dass der russische Patriarch Kirill das Evangelium und das Christentum verraten hat, und die UOK daher nicht mehr ihm untergeordnet sein kann. Das ist alles, was von ihnen verlangt wird.“
Kritisch sieht den Gesetzesentwurf Thomas Bremer, deutscher Experte für Orthodoxes Kirchenrecht. Doch wie bewertet er den rechtlichen Status der UOK?
26'23'3 - Status der UOK - 26'57'4
"Die Ukrainische-Orthodoxe-Kirche ist jetzt ... auch nicht online"
Gesichert sind aber zwei Fakten. Erstens leisten auch die Diözesen und Pfarreien der UOK massive humanitäre Hilfe, und zwar nicht nur zivilen Kriegsopfern, sondern auch den Soldaten an der Front. Auf dem YouTube-Kanal der Diözese von Odessa gibt es sehr viele Beispiele praktischer Hilfe zu sehen. Andererseits ist auch der massive politische Druck ausreichend dokumentiert, dem die UOK ausgesetzt ist. Dazu zählt auch die gewaltsame Übernahme von Kirchengebäuden sowie Sanktionen gegen hochrangige Geistliche, wobei vielfach klare Angaben dazu fehlen. Schwierig zu bewerten sind Fälle von Kollaboration mit russischen Besatzern. Auf Anfrage des ORF teilte die Staatssicherheit SBU mit, dass gegen mehr als 70 Angehörige der UOK wegen Kollaboration, Verrat und anderer Straftaten ermittelt wird. Doch bei mehreren Tausend Priestern, Mönchen und Nonnen ist das bisher eine sehr geringe Zahl:
Maximian Pogorelovski 6‘28‘7 - Wie ist die Lage und Rechtlosigkeit 7‘12‘5
"Bereits zwei Jahre dauert der russische Großangriff, und wir können nicht beweisen, wie sehr wir unser Land und unser Volk lieben und unsere Armee unterstützen. Die Menschen sehen unsere Arbeit nicht, doch wir werden völlig haltlos beschuldigt. Man sagt, es gebe viele Kollaborateure. Wo sind sie? Nach zwei Jahren gibt es noch kein einziges abgeschlossenes Gerichtsverfahren, gegen alle betroffenen Personen wird noch ermittelt, kein Beweis wurde erbracht. Das ist alles haltlos und ist somit eine politische Verfolgung."
Festzustellen bleibt, dass das geplante Gesetz kein automatisches Verbot religiöser Organisationen vorsieht; vorgesehen ist ein kompliziertes Verfahren vor der Religionsbehörde und vor Gerichten, das zum Verbot einzelner juristischer Personen führen kann, doch das Vertrauen in die ukrainische Justiz ist nicht nur bei der UOK äußerst beschränkt.
Richard Potz 9'01'4 - Kritik am Gesetz - 9'40'8
"Das Gesetz ist weit sicherlich überzogen, … innenpolitisch unklug."
Faktum ist, dass es in der Ukraine nach wie vor eine enorme religiöse Vielfalt gibt. Faktum ist auch, dass in Russland und in den von ihm besetzten ukrainischen Gebieten de facto nur mehr die russisch-orthodoxe Kirche besteht, und religiöse Freiheit in Russland selbst massiv eingeschränkt ist. Doch die Ukraine will Mitglied der EU werden, und daher gelten wohl andere Maßstäbe als für ein Land, das sich westlichen Werten nicht verpflichtet fühlt.