20240506 ORFIII Reportage aus Charkiw Wehrschütz Mod
Berichtsinsert: Christian Wehrschütz aus Charkiw
Insert1: Svitlana Kowaljova, Direktorin des Lyceum in Charkiw
Insert2: Anna Sajkina, Mitarbeiterin im Stadtschulrat in Charkiw
Insert3: Vladimir, Mitarbeiter des Stadtbauamtes von Charkiw
Insert4: Anastasia, Studentin in Charkiw
Insert5: Julia Levanda, Leiterin einer Hilfsorganisation in Charkiw
Insert6: Julia Levanda, Leiterin einer Hilfsorganisation in Charkiw
Insert7: Olga, Pensionistin in Charkiw
Gesamtlänge: 5’25
Zerstörte und beschädigte Gebäude sind im unmittelbaren Zentrum der Großstadt Charkiw kaum zu sehen.
Schwer beschädigt wurde allerdings das Hotel, das auch wir wiederholt bewohnten, wenn wir in Charkiw im Einsatz waren. Russland begründete seinen Beschuss damit, dass dort ukrainische Militärs untergebracht gewesen seien, eine Rechtfertigung für den Angriffskrieg ist das natürlich nicht.
Bei unserem eintägigen Aufenthalt erlebten wir fünf Mal Fliegeralarm; die Gefahr ist somit latent; auch daher findet Schulunterricht vor allem online statt. Doch was geschieht, wenn der Strom ausfällt?
1'05'2 - Was, wenn kein Strom - 1'28'5
"Wenn es bei den Kindern keinen Strom gibt, dann bekommen sie das Unterrichtsmaterial auf verschiedene Weise, arbeiten selbständig, und dann wiederholen wir mit den Kindern, wenn online wieder möglich ist."
Die Direktorin treffe ich nicht in ihrer eigentlichen Schule, sondern in einer U-Bahnstation. Dort wurden Gänge zu Klassenzimmern umgebaut, die vor allem von Tafelklasslern bevölkert werden. Sie sind hier in Sicherheit und können so mit ihren Mitschülern direkt zusammen sein. Etwa fünf Prozent aller Schüler werden in fünf derartigen Metro-Schulen unterrichtet. Zu den fünf Metro-Schulen kommen sie aus der ganzen Stadt:
Anna Sajkina 3'06'9 - Keine spezielle Auswahl und Autobusse - 3'34'6
"Wir haben 19 Autobusse im Einsatz, die die Kinder zu den U-Bahnstationen und zurückbringen können. In jedem Bus fährt eine Aufsichtsperson mit."
Doch es gibt auch Orte, wo der Krieg Lichtjahre entfernt erscheint. Dazu zählt der Schewtschenko-Park ebenfalls im Zentrum. Die Mitarbeiter des Stadtgartenamtes pflanzen die Blumen in die Beete ein, andere erneuern eine beschädigte Bank. Einsatzbereitschaft und Pflichtgefühl sind offensichtlich ungebrochen:
Vladimir 31'2 - Luther Apfelbäumchen - 47'2
"Die Stadt muss blühen, und sie wird schön. Wir bemühen uns, ungeachtet aller anderen Dinge."
Auf einer Bank sitzt die 20-jährige Studentin Anastasija, wie geht sie mit den Gegensätzen, mit einem Leben zwischen Fliegeralarm und idyllischer Parklandschaft um:
1'36'3 - Leben der Kontraste - 2'01'7
"Ich komme aus dem Landkreis von Donezk, und dort ist die Lage viel schlechter als in Charkiw. Wenn Du verstehst, wie schlecht es dort ist, dann kann man von hier sagen: sehr gut. Die Tage laufen unterschiedlich ab, und wir haben uns einfach darauf eingestellt."
Für Abwechslung für Jung und Alt sorgt diese Hilfsorganisation. Bei Kursen liegt der Schwerpunkt bei der Betreuung von Kindern und Jugendlichen. Angeboten werden Turnstunden, Modelbauen und Schach, aber auch Töpfern und Tanzen. Etwa 300 Kinder nehmen pro Woche an 11 Kursen teil:
1'41'7 - Covid, Krieg und Bewegungsmangel - 2'25'9
"Die Kinder lernen vor allem online und haben sehr wenig Kontakt mit Gleichaltrigen und wenige Möglichkeiten zur Sozialisation. Die Kinder, die bei uns im Vorschulprogramm sind, sind jetzt fünf Jahre alt. Für sie gab es zwei Jahre Krieg und davor zwei Jahre Corona-Quarantäne. Somit waren sie auch nicht im Kindergarten, daher kommen auch die Eltern sehr gerne hierher "
Tanzkurse gibt es auch für Erwachsene, und zwar drei Mal pro Woche. Denn auch Erwachsene müssen den Stress abbauen, den der Krieg mit sich bringt:
Julia Levanda 3'12'8 - Tanzkurs für Erwachsene - 3'23'7
"Die Frauen versäumen keine einzige Stunde. Für sie ist das ein Möglichkeit, aus dem Haus zu kommen und sich zu entspannen. Das gibt das Gefühl, dass es keinen Krieg, dass es etwas Normales gibt."
Betreut werden auch alte Menschen, und zwar mit Hilfe der Caritas aus Österreich. Dazu zählt das Ehepaar Olga und Vladimir. Beide sind 50 Jahre verheiratet und müssen mit einer Pension von 240 Euro auskommen:
8'46'5 - Fixkosten für Olga und Vladimir – 9‘23‘3
"Jedes Monat im Winter bezahlen wir für Wasser, Gas, Heizung, für die Betriebskosten, etwa 75 Euro. Die Medikamente für ihn kosten auch nicht weniger als 75 Euro im Monat. Da sprechen wir aber nur von den nötigsten Medikamenten und nicht von zusätzlichen Vitaminpräparaten, die teuer sind.
Eine Tochter lebt in einer anderen Stadt; die andere arbeitet als Lehrerin in Charkiw. Ihr Mann ist Soldat. Für ihn begann Olga zunächst Socken zu stricken, jetzt macht sie das auch für seine Kameraden. Mehr als 100 Paar hat sie schon fertiggestellt.
Vladimir war Techniker. Er ist seit einem Schlaganfall ans Bett gefesselt und kann kaum sprechen:
"Olgachen, ich liebe Dich."
Im Schewtschenko-Park steht auch eine mehr als 300 Jahre alte Eiche. Sie hat Napoleon und zwei Weltkriege überstanden. Bleibt der Eiche sowie Charkiw und seinen Bewohnern zu wünschen, dass der Stadt ein weiterer russischer Großangriff erspart und der Beschuss bald enden möge.