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20240327 Praxis Der Kampf gegen die Kirche in der Ukraine Wehrsch Mod

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Berichte Ukraine

Der Gesetzesentwurf, der vom ukrainischen Parlament in Kiew, in erster Lesung bereits beschlossen wurde, trägt den Titel: „Gesetz zum Schutz der nationalen und öffentlichen Sicherheit, der Menschenrechte und Freiheiten auf dem Gebiet religiöser Organisationen“. Die Rede ist in dem Text von „Religiösen Organisationen“, konkrete Religionsgemeinschaften und Kirchen werden nicht genannt. Zu den Initiatoren des Gesetzes zählt die Abgeordnete Jewhenija Krawtschuk; die 38-jährige gehört der Fraktion „Diener des Volkes“ an; das ist die Partei von Präsident Volodimir Selenskij, die im Parlament über die absolute Mehrheit verfügt. Zum Wesen des Gesetzes sagt Jewhenija Krawtschuk:

Jewhenija Krawtschuk 2'19'4 - Verbot der Verbindungen zu ROK - 3'09'5
"Das Gesetz verbietet keinerlei religiöse Organisation, sondern verbietet, Verbindungen zu haben mit dem Land des Aggressors und mit der Russisch-Orthodoxen-Kirche. Warum mit dieser Kirche? Weil sie eine Bedrohung darstellt für die Ukraine und ihre Staatlichkeit. Denn diese Kirche ist im Wesentlichen Teil des Apparats, den Wladimir Putin geschaffen hat; sie ist völlig unter der Kontrolle des russischen Staates; und Patriarch Kyril segnet den Völkermord an den Ukrainern; seine Kirche weiht Raketen, die dann ukrainische Städte beschießen, und etwa in Odessa und anderen Städten viele Menschen töten.“

Doch in der Ukraine gibt es nur eine, große religiöse Organisation, die jedenfalls bis Kriegsbeginn institutionelle Beziehungen zur Russisch-Orthodoxen-Kirche unterhielt, und das ist die Ukrainisch-Orthodoxe-Kirche, die UOK. In welchem Ausmaß die UOK von diesem Gesetz betroffen sein würde, erläutert ein weiterer Initiator des Entwurfs, der Abgeordnete Nikita Poturajew, so:

Nikita Poturajew 35'25‘4 - Gesetz und UPZ und ROK - 36'22'5
"Das Gesetz betrifft nicht nur die UOK, doch es wird die UOK nur in dem Ausmaß betreffen, in dem sie ihre Verbindungen mit der Russisch-Orthodoxen-Kirche bewahren und Teil dieser Kirche bleiben möchte. Das weiß die UOK natürlich ganz genau, und daher läuft sie Sturm gegen dieses Gesetz, weil sie Teil der Russisch-Orthodoxen-Kirche bleiben und diese Verbindungen behalten will. Doch in einer Lage, in der sich die Ukraine jetzt befindet, können wir leider niemandem erlauben, dass sich eine religiöse Organisation dem Kreml unterordnet. Da ist die UOK nur ein Beispiel, aber wohl das größte."

Auch Nikita Poturajew ist Mitglied der Fraktion „Diener des Volkes“, der Partei von Präsident Volodimir Selenskij. Mit dieser Fraktion gebrochen und als parteifreier Abgeordneter sitzt im Parlament Artem Dmitruk. Der 30-jährige lebt in der Hafenstadt Odessa und ist aktives Mitglied der UOK, deren Diözese in Odessa nach Kiew die zweitgrößte dieser Kirche ist. Artem Dmitruk sieht im Gesetzesentwurf ein Mittel zur Rechtfertigung religiöser Unterdrückung und verweist auf einen tatsächlich absurden Paragraphen im Gesetzesentwurf; er betrifft einen Hinweis darauf, dass eine religiöse Organisation tatsächlich Beziehungen zur Russisch-Orthodoxen-Kirche hat.

Artem Dmitruk 8'11'0 - Absurde Bestimmung ROK schreibt dass UPZ Teil - 9'08'2
"Wenn in Russland in ihrer Kirche festgeschrieben ist, dass sie unsere Kirche führt, so berufen sich unsere Gesetzgeber und unsere Regierung auf dieses Dokument. Das ist doch paradox. Denn wir als Staat sagen, dass Russland ein Aggressor ist, doch gleichzeitig berufen wir uns auf ihr Dokument. Das kann doch nicht sein. Unsere Kirche, die UOK, ist die einzige, kanonische Kirche in der Ukraine. Wir haben keinen Zusatz MP für des Moskauer Patriarchats. Das ist unsere Kirche, die keine Beziehungen zur russischen Kirche hat."

Doch vom Gesetz her, darf sich diese Kirche nicht mehr UOK nennen, sondern muss die Bezeichnung tragen „Russisch-Orthodoxe Kirche in der Ukraine“ oder Kirche des „Moskauer Patriarchats. Dieses Gesetz wurde 2018 beschlossen, von der UOK bekämpft, doch Ende 2022 erklärte der Verfassungsgerichtshof in Kiew diese Zwangsumbenennung für rechtens. Zweifel daran äußert der deutsche Experte für Orthodoxes Kirchenrecht, der Universitätsprofessor Thomas Bremer:

13'02'2 - Erzwungene Namensänderung - 13'22'4 (20)
"Eigentlich gehört es zur Religionsfreiheit auch, ... die alle auf die Ukrainisch-Orthodoxe-Kirche abzielen."

Dazu zählen auch Verhaftungen, Hausdurchsuchungen sowie die gewaltsame Übernahme von Kirchengebäuden, ohne dass die zu Hilfe gerufene Polizei eingreift. Sicher ist, dass auch führende Vertreter der UOK nach Russland geflohen sind. Wegen vermeintlicher Verbindungen mit Moskau verhängte der Nationale Sicherheitsrat im Dezember Sanktionen gegen sieben hochrangige Vertreter der UOK, doch konkrete Angaben dazu fehlen. Schwierig zu bewerten sind Fälle von vermeintlicher Kollaboration mit Russland. Auf Anfrage des ORF teilte die ukrainische Staatsicherheit, SBU, mit, dass seit Kriegsbeginn vor zwei Jahren wegen Kollaboration, Hochverrats und anderer Verbrechen gegen mehr als 70 Angehörige der UOK strafrechtlich ermittelt wird. Bei mehreren Tausend Priestern, Mönchen und Nonnen ist das eine sehr geringe Zahl; hinzu kommt, das etwa die Diözese Odessa auch massive humanitäre Hilfe für Soldaten und Kriegsopfer leistet. Ihr Pressesprecher, Maximian Pogorelovski, kommentiert die Vorwürfe gegen die UOK so:

Maximian Pogorelovski 6‘28‘7 - Wie ist die Lage und Rechtlosigkeit 7‘12‘5
"Bereits zwei Jahre dauert der russische Großangriff, und wir können nicht beweisen, wie sehr wir unser Land und unser Volk lieben und unsere Armee unterstützen. Die Menschen sehen unsere Arbeit nicht, doch wir werden völlig haltlos beschuldigt. Man sagt, es gebe viele Kollaborateure. Wo sind sie? Nach zwei Jahren gibt es noch kein einziges abgeschlossenes Gerichtsverfahren, gegen alle betroffenen Personen wird noch ermittelt, kein Beweis wurde erbracht. Das ist alles haltlos und ist somit eine politische Verfolgung."

Festzustellen bleibt aber, dass das geplante Gesetz kein automatisches Verbot religiöser Organisationen vorsieht; vorgesehen ist ein kompliziertes Verfahren vor der Religionsbehörde und vor Gerichten, das zum Verbot führen kann, doch das Vertrauen in die ukrainische Justiz ist nicht nur bei der UOK äußerst beschränkt. Doch was müsste die UOK eigentlich tun, um nicht unter dieses Gesetz zu fallen; Thomas Bremer, Experte für orthodoxes Kirchenrecht, antwortet so:

25'45'6 - Was müsste UOK tun? und Status - 26'45'4
"Aus der Perspektive der ukrainischen Behörden .... die das orthodoxe Kirchenrecht nicht kennt. Sie haben sich aber losgesagt von der Russisch-Orthodoxen Kirche."

Faktum ist, dass es in der Ukraine nach wie vor eine enorme religiöse Vielfalt gibt. Faktum ist auch, dass in Russland und in den von ihm besetzten ukrainischen Gebieten de facto nur mehr die russisch-orthodoxe Kirche besteht, und religiöse Freiheit in Russland selbst massiv eingeschränkt ist. Doch die Ukraine will Mitglied der EU werden, und daher darf es trotz Krieg keine Zweifel darüber geben, dass kollektive Sanktionen gegen religiöse Organisationen nur in Extremfällen zulässig sein können.

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