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Ukraine Russland und NATO

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Kronen Zeitung
Berichte Ukraine

Mit dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 kam die deutsche Frage wieder auf die weltpolitische Tagesordnung. Eine wichtige Rolle spielten die vier Besatzungsmächte des Zweiten Weltkrieges. Zwar lag die Sowjetunion wirtschaftlich danieder, doch sie hatte 400.000 Soldaten Ostdeutschland stationiert. Dabei ging es auch um die Rolle der NATO, und zwar auch bei einem Gespräch zwischen US-Außenminister James Baker und dem sowjetischen Parteichef Michail Gorbatschow. „Keinen Schritt weiter nach Osten“ werde sich die NATO ausdehnen, soll Baker Gorbatschow angeboten haben, sollte dieser einem vereinigten Deutschland innerhalb der NATO zustimmen und seine Truppen abziehen. Wie ist diese Aussage einzuordnen?

Mary Elise Sarotte: "Die Frage war natürlich, was will Moskau als Gegenleistung. Und es gab ein Gedankenspiel, vielleicht will Moskau als Gegenleistung, dass sich die NATO nicht einen Zentimeter weiter nach Osten erstreckt. Das wurde als hypothetische Frage zwischen Baker und Gorbatschow am 9. Februar 1990 in Moskau diskutiert, Das wurde dann bei anderen Treffen wiederholt, etwa von Hans-Dietrich Genscher dem bundesdeutschen Außenminister, und von anderen. Das Problem für Moskau war, dass die Amerikaner sehr schnell ihre Meinung geändert haben. Präsident George Bush sagte seinem Außenminister James Baker, das will ich nicht und hat ein Machtwort gesprochen. Baker sagte "Jawohl" und hat den Deutschen gesagt, darüber reden wir nicht mehr; das haben die dann auch nicht getan; doch die Erinnerung an diesen Spruch ist geblieben und führt zur heutigen Kontroverse."

Auf die Line der USA schwenkte rasch auch der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl ein; bei einem Treffen im Frühling des Jahres 1990 in den USA, wurde dann eine neue Linie zwischen George Bush und Helmut Kohl vereinbart. Wie sah diese Strategie aus?

Mary Elise Sarotte: "Zwischen diesen Gesprächen Anfang Februar und der Unterzeichnung des Einigungsvertrages am 12. September 1990 hatte sich Vieles geändert. Wegen Bush war die amerikanische Seite nicht mehr bereit, dieses Versprechen anzubieten. Bush hat persönlich Kohl überzeugt, ein derartiges Versprechen sei nicht notwendig. Kohl antwortete, dann will Gorbatschow wahrscheinlich etwas anderes haben, wahrscheinlich Bargeld. Daraufhin sagte Bush: Helmut, Sie haben tiefe Taschen." Dann war die Strategie klar. Anwesend war auch der spätere Verteidigungsminister, Bob Gates, der damals schon ein Beamter im Weißen Haus war; er sagte, in dem Moment wurde die Strategie entwickelt, die Sowjets mit Geld "raus zu bestechen". Es hat eine Weile gedauert, bis Gorbatschow das bemerkt hat, doch dann sagte er sogar Kohl: "Ich fühle mich, als ob ich in eine Falle geraten bin". Trotzdem hat er zugelassen, dass die sowjetische Seite den Einigungsvertrag unterzeichnet."

Nach der deutschen Wiedervereinigung wurde die NATO-Osterweiterung rasch ein Thema; da soll es auch weitere, etwa britische Zusagen an Moskau gegeben haben, die NATO nicht zu erweitern. Gab es Meinungsunterschiede unter NATO-Staaten, ob und wie die NATO zu erweitern sei?

Mary Elise Sarotte: "Die Briten insbesondere waren der Meinung, wir sollen die NATO nicht erweitern. Interessant für mich war, auch Mitte der 90iger Jahre, als klar war, dass US-Präsident Bill Clinton, die NATO erweitern wollte, sagten die Briten immer noch: Nein, machen wir das nicht; wir haben den Russen gesagt, dass sich die NATO nicht erweitern wird; es wäre problematisch, wenn wir das machen würden. Die Briten sagten aber auch: Wenn wir die NATO erweitern müssen, dann sollen wir jetzt, etwa im Jahre 1995, so viele Staaten aufnehmen, und dann nie wieder. Denn wenn wir das immer wiederholen, dann bekommen wir Ärger mit den Russen. Die Amerikaner waren ganz anderer Meinung. Wir müssen in der ersten Runde so wenige Staaten wie möglich aufnehmen, um allen anderen Staaten klar zu machen, die Tür der NATO bleibt offen; und die Amerikaner haben gewonnen."

War für Präsident Bill Clinton bei der Osterweiterung auch die Ukraine ein Thema; sollte die Tür zur NATO auch für dieses Land offenbleiben?

Mary Elise Sarotte: In meinem Buch geht es auch darum, wie man die NATO erweiterte und da wurden damals verschiedene Methoden diskutiert. Bill Perry, der Verteidigungsminister, das Pentagon, waren für die Bildung der Partnerschaft für den Frieden; die Idee dahinter war, eine Zwischenstation zu schaffen, wo auch die Ukraine hinkonnte, damit man auch sofort etwas Sicherheit den Ukrainern bieten kann. An dieser Partnerschaft können die Ukrainer sofort teilnehmen, und da können sie sich technisch darauf vorbereiten, NATO-Mitglied zu werden; und eines Tages, wenn das nötig ist, kann das Land schnell Mitglied werden. Und genau das passierte mit Finnland, das im Vorjahr sehr rasch Mitglied geworden ist."

Mit ihrem Kurs setzten der NATO-Osterweiterung sich Clinton und sein Team über Warnungen vieler anerkannter ehemaliger US-Diplomaten hinweg. Wurde damals Russland falsch eingeschätzt?

Mary Elise Sarotte: "Im Jahre 1991 zerfällt die Sowjetunion; Russland ist schwach, aber Russland war damals und ist immer noch eine strategische Nuklearmacht. Das Problem ist, heute, mehr als 30 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges, sind 90 Prozent der Sprengköpfe immer noch in den Händen von Moskau und Washington; das heißt, egal, ob man das will oder nicht, und ich habe wirklich Hochachtung für die Ukrainer, man muss mit Moskau als Faktor in der europäischen Zukunft rechnen, egal, ob man das will oder nicht. Das Problem war damals, dass man dachte, Russland ist schwach, also können wir Russland verhältnismäßig ignorieren, und leider sehen wir, das ist nicht so."
Die erste Präsentation des Buches auf deutschem Boden fand in Berlin im Alliierten Museum statt. Sie stand natürlich unter dem Eindruck des russischen Krieges gegen die Ukraine; doch warum diesem Land 2008 der NATO-Beitritt angeboten aber nicht umgesetzt wurde – dieses Buch ist noch nicht geschrieben worden.

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