Reportage aus Tschasiv Jar
20230310 ORF III Reportage aus Tschasiv Jar Wehrschütz Mod
Während die Kämpfe um die Stadt Bachmut in der Ostukraine immer härter werden, haben die ukrainischen Streitkräfte auch einige Kilometer hinter der Front bereits neue Verteidigungsstellungen vorbereitet. Einen dieser Punkte bildet die Stadt Tschasiv Jar, nur zehn Kilometer von Bachmut entfernt. Die Front dürfte noch näher liegen, weil russische Söldner der Wagner-Truppe bestrebt sind, Bachmut von Süden und Norden einzukesseln.
Berichtsinsert: Christian Wehrschütz aus der Ostukraine
Insert: Vera, Bewohnerin von Tschasiv Jar
Insert: Vera, Bewohnerin von Tschasiv Jar
Insert: Ljudmilla, Bewohnerin von Tschasiv Jar
Insert: Ljudmilla, Bewohnerin von Tschasiv Jar
Insert5: Ljubow, Pensionistin in Tschasiv Jar
Insert6: Ljubow, Pensionistin in Tschasiv Jar
Insert7: Artjem, Freiwilliger Helfer in Tschasiv Jar
Insert8: Pavlo, Presseoffizier der ukrainischen Polizei
Gesamtlänge: 3’44
Vor dem Krieg lebten etwa 13.000 Bewohner in Tschasiv Jar, wie viele es jetzt sind ist unklar. Bewohner trifft man dort, wo Trinkwasser ausgegeben wird, das in der Stadt ebenso Mangelware ist wie Gas und Strom. Kleine Geschenke zum internationalen Frauentag nutze ich, um mit den Damen ins Gespräch zu kommen. Warum bleibt ihr in Tschasiv Jar?
3'04'4 - Warum geblieben? - 3'27'6
"Wohin sollten wir, wo soll ich mit einer Pension von 50 Euro leben? Arbeit gibt es keine, und die Wohnungen wurden sehr teuer. Im Nachbarort Konstantinowka kostet eine Wohnung schon 10.000 Griwna oder 250 Euro im Monat."
Das heißt, derzeit ist das Leben hier besser und billiger?
5'16'7 - Überleben - 5'18'4
"Bescheiden ist es, aber wir überleben."
An den Lärm der Geschütze haben sich die Damen gewöhnt – das sind unsere, sagte eine von Ihnen (6‘58‘2).
Auch im Gebäude selbst ist der Geschützdonner immer wieder zu hören. Einen „Punkt der Unbeugsamkeit“ haben die Ukrainer derartige Orte genannt, in denen es Strom, Tee sowie die Möglichkeit gibt, sich aufzuwärmen; auch hier wirken Süßigkeiten vertrauensbildend und erleichtern das Reden:
3'43'4 - Entladen und Verbrauch - 3'53'1
"Das Telefon lade ich hier auf, doch wenn ich zu Hause bin, sind bereits zehn Prozent des Akkus weg; ich wohne nicht in der Nähe."
Was fehlt Ihnen am meisten?
2'58'0 - Taschenlampe - 3'10'8
"Haben Sie nicht eine Taschenlampe für mich; meine ist kaputt gegangen, doch niemand gibt uns Taschenlampen."
Reste städtischer Infrastruktur gibt es noch in Tschasiv Jar; dazu zählt die Post; sie ist wichtig, weil Pensionisten hier ihr Geld in bar bekommen können, wenn Bankomaten nicht mehr arbeiten, weil es keinen Strom gibt. Geöffnet haben noch einige kleine Geschäfte; Brot und Milch werden jeden zweiten Tag geliefert. Auch in Tschasiv Jar leiden insbesondere alte Menschen unter den Folgen des Krieges:
1'58'9 - Lage mit Mann - 2'13'5
"... Wir sind zu zweit; der Mann ist 76 Jahre alt, doch er ist krank; doch auch mich tragen die Füße nicht mehr weit."
Und wie steht es um die Pension?
1'27'1 - Minimale Pension - 1'45'6 (Beschuss)
Ich bekomme 2600 Griwna Pension, das sind jetzt etwas mehr als 60 Euro. Doch wie soll ein alter Mensch bei den heutigen Preisen davon leben können, der noch dazu krank ist. Für Medikamente reicht es nicht. ... Unterstützt werden wir durch humanitäre Hilfe."
Brot verteilen freiwillige Helfer im Stadtzentrum. Pro Tag und Pro Person gibt es einen Wecken, wobei man auch für seinen Nachbarn einen Laib mitnehmen kann. Brot wird aber auch zugestellt:
31'5 - Auslieferung an gefährliche Orte - 42'8
"Wir liefern das Brot auch an gefährliche Orte und damit in Bezirke, die oft beschossen werden, aber auch in weiter entfernte Siedlungen."
1'33 - Beschuss
Wie viele Menschen in der Stadt geblieben sind, weiß auch die Polizei nicht zu sagen. Betont wird, dass jeder evakuiert wird, der Tschasiv Jar verlassen möchte:
35'8 - Evakuierungen - 1'07
"Priorität haben Familien mit Kindern; etwa zehn sind noch in der Stadt; aber auch alte Menschen bringen wir heraus, vor allem aus Bezirken, die stark beschossen werden."
2'36'9 – Beschuss
Der starke Geschützdonner und die starke Militärpräsenz zeigen klar, dass Tschasiv Jar, der nächste Ort ist, der verteidigt werden wird, sollte Bachmut in russische Hand fallen. Auch weiter gen Westen sind bereits vorbereitete Stellungen erkennbar, die ukrainische Soldaten im Fall der Fälle dann beziehen werden.