Kirchliche Dimension des Krieges in der Ukraine
20230122 Orientierung Kirchliche Dimension des Krieges in der Ukraine Wehrsch Mod
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat auch eine kirchliche Dimension; sie bestand bereits ab 2014 als Russland die Halbinsel Krim annektierte und die pro-russischen Rebellen in der Ostukraine unterstützte. Seit dem russischen Großangriff am 24. Februar des Vorjahres hat diese kirchliche Dimension stark zugenommen. Einerseits steigt die Zahl der zerstörten Kirchen und Klöster; anderseits werden proukrainische Kirchen auf russisch-besetztem Territorium unterdrückt und verfolgt. Doch auch Kiew hat seinen Kampf gegen den tatsächlichen oder vermeintlichen Einfluss Russlands in religiösen Leben der Ukraine massiv verstärkt. Hauptziel die Ukrainische Orthodoxe Kirche, die sich erst im Mai weitgehend von russischem Einfluss losgesagt hat. Die politische Führung der Ukraine zweifelt daran, dass diese Abkehr bereits als Bruch mit Moskau zu werten ist. Die Ukrainisch-Orthodoxe-Kirche steht somit massiv unter politischem Druck; möglich ist sogar eine Art Verbot; bereits verloren hat diese Kirche den Zugriff auf die Hauptkirche des Kiewer Höhlenklosters, die Mariä-Entschlafens-Kathedrale, weil der Staat den Ende Dezember abgelaufenen Mietvertrag nicht verlängert hat:
Berichtsinsert: Christian Wehrschütz aus der Ukraine
Insert1: Epiphani, Metropolit der Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU)
Insert2: Epiphani, Metropolit der Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU)
Insert3: Igor Koslovskij, ukrainischer Religionswissenschaftler
Insert4: Viktor Jelenskij, ukrainische Behörde für Ethno-Politik und Gewissensfreiheit
Insert4: Viktor Jelenskij, ukrainische Behörde für Ethno-Politik und Gewissensfreiheit
Insert5: Mikola Danilewitsch, Pressesprecher der Ukrainisch-Orthodoxen-Kirche (UKO)
Insert6: Konstantin Bondarenko, Politologe in Kiew
Gesamtlänge: 6’40
Das Höhlenkloster in Kiew besteht aus zwei Teilen; der untere ist nach wie vor in der Hand der UOK, der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche, die früher Teil des Moskauer Patriarchats war. Den Zugriff auf den oberen Teil hat diese Kirche aber verloren; das betrifft vor allem die Hauptkirche des Kosters; in ihr konnte daher Metropolit Epiphani - das Oberhaupt der OKU, der Orthodoxen Kirche der Ukraine - zum ersten Mal den orthodoxen Weihnachtsgottesdienst feiern; Epiphani leitet jene Kirche, die der ökumenische Patriarch in Konstantinopel vor etwas mehr als drei Jahren als selbständig anerkannt hat. Die OKU versteht sich als Träger der nationalen Identität der Ukraine:
Epiphani -
4'27'8 - Lavra Befreiung von Ruskij Mir - 5'09'3
"Jetzt feiern wird auch die zweite Geburt dieser Kathedrale, und damit auch unseres Höhlenklosters. Daraus verschwindet der künstliche Geist des bösen Dämons der "Russischen Welt" des Ruskij Mir" und es kehrt zurück der Geist des wahren geistlichen Dienstes der heiligen Orthodoxie und des ukrainischen Volkes."
An die etwa 300 Mönche des Höhlenklosters gewandt predigte Epiphani:
Epiphani:
6'17'8 - Aufruf zum Übertritt auch an die Mönche - 7'11‘5
"Wir möchten die Einheit aller Orthodoxen um den Kiewer Thron erreichen, und zwar um die Orthodoxe Kirche der Ukraine - als eine gleichberechtigte; autokephale Tochter-Kirche der ökumenischen Orthodoxie, die auf der ukrainischen Erde dem eigenen Volk dient, ohne irgendeine Kontrolle von außen, Einmischung oder Zwang. Daher wende ich mich auch an die Brüder im Kloster; es ist Zeit, sich zu befreien von der nicht kanonischen Herrschaft durch Moskau; es ist Zeit, eine neue Seite im Sein des Klosters aufzuschlagen."
Ob es dazu kommt und wie rasch ist noch unklar; für den unteren Teil des Klosters besteht ein Mietvertrag mit der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche, der nach ihren Angaben unbefristet abgeschossen ist; was aber nicht heißt, dass er nicht gekündigt werden kann. Vorgeworfen wird dieser Kirche zunächst, mit dem russischen Angreifer zu kollaborieren:
Igor Koslowskij
9'43'9 - Landesverrat UPZ – 9‘17‘4
"Es gibt keine Beweise, dass das eine Politik der Kirche ist. Doch man kann sagen, dass im Vergleich mit anderen religiösen Gemeinschaften die Zahl der Kollaborateure bei der Ukrainisch-Orthodoxen-Kirche des Moskauer Patriarchats deutlich höher ist. Zu dieser Kollaboration zählt die Korrektur des Feuers für die russische Artillerie durch Geistliche oder gemeinsame Auftritte mit den Besatzern; dazu zählen auch zwei Bischöfe, die mit den Besatzern zusammengearbeitet haben; somit geht es nicht nur um untergeordnete Vertreter dieser Kirche, die kollaboriert haben."
Im Krieg wurden jedenfalls von den Russen auch Kirchen und Klöster der UOK nicht geschont, und zwar nicht nur dann nicht, wenn sie militärische Ziele darstellten. Doch bei den Vorwürfen gegen diese Kirche geht es um mehr, eben um den grundlegenden Vorwurf, ein russischer Faktor in der Ukraine zu sein:
Viktor Jelenskij
7'41 - Problem liegt nicht in der Zahl, sondern in der Ideologie - 9'09'6
"Das Problem liegt darin, dass diese Kirche jahrzehntelang ihre Gläubigen mit russischer Ideologie vergiftet hat. Diese Kirche hat seit 2014 und bis zu Beginn des großen Krieges im Februar des Vorjahres gesagt hat, dass sich ihre Gläubigen auf beiden Seiten der Frontlinie befinden. Doch mental, geistig war die Kirche auf der anderen Seite; sie verlangte immer von Kiew einen Beitrag zum Frieden aber niemals von Moskau. "
Und wie will der Staat weiter vorgehen?
Viktor Jelenskij
12'04'7 - Gutachten über UPZ - 12'57'5
"Experten werden ein Gutachten vorlegen, ob diese Kirche Teil der russischen Kirche ist. Sollte das Gutachten zu diesem Schluss kommen anhand mehrerer Punkte, dann ist offensichtlich, dass diese Kirche aufgefordert werden wird, diese Punkte und damit die Beziehungen mit dem Moskauer Patriarchat zu beseitigen. Denn unter den heutigen Gegebenheiten und angesichts der Haltung des Moskauer Patriarchs und der russischen Kirche generell können derartige Beziehungen nicht mehr toleriert werden."
Offiziell hat sich die UOK bei ihrer Kirchenversammlung im Mai von Moskau losgesagt; der pauschale Vorwurf der Kollaboration wird zurückgewiesen:
Mikola Danilewitsch
18'59'4 - Kollaboration - 20'45'8
"Der Leiter der Staatssicherheit der Ukraine sprach von 30 Fällen, in denen ermittelt wird. Es gibt nur fünf Urteile, davon betreffen zwei die Kollaboration; die übrigen drei werden als Aufruf zum religiösen Hass qualifiziert, wobei die Staatssicherheit uns bisher nicht antwortet. Wir wissen darüber aus dem Internet und aus den Medien; doch wir können keine Entscheidungen über Priester auf das Basis von Medienberichten fällen. Wir verurteilen Kollaboration, doch die Verantwortung muss individuell bei jedem Priester liegen und darf nicht kollektiv die ganze Kirche treffen."
In der Bevölkerung stark verankert ist die UOK insbesondere im Süden und im Osten - also dort, wo gekämpft wird. Da leistet diese Kirche auch nicht erst seit Kriegsbeginn humanitäre Hilfe; zwar sind wegen des Kriegsrechts Proteste nicht erlaubt; doch ein Verbot dieser Kirche könnte sich negative auf die Ukraine selbst auswirken:
Konstantin Bondarenko:
10'25'2 - Armee und Gläubige - 11'08'6
"In den Streitkräften gibt es viele Soldaten, die der Ukrainisch-Orthodoxen-Kirche angehören und genauso für ihr Land gegen Russland kämpfen wie die Angehörigen anderer Konfessionen. Das Vorgehen gegen die Kirche mindert daher in gewissem Ausmaß die Motivation zu kämpfen. Wir haben einen Krieg mit Russland, doch jemand provoziert jetzt noch einen Konflikt zwischen den Konfessionen und die Suche nach Feinden innerhalb der Gesellschaft, und das ist ein sehr gefährlicher Prozess."
Fest steht, dass der Krieg in der Ukraine wohl eine Neuordnung des religiösen Lebens mit sich bringen wird, und dass die Ukrainisch Orthodoxe Kirche Grundsatzentscheidungen treffen muss; denn der Patriarch der Russisch-Orthodoxen Kirche, Kiril, hat sich durch seine unchristlichen Aussagen zum Krieg nicht nur in der Ukraine als religiöser Führer eindeutig diskreditiert.