Kirchliche Dimension des Krieges in der Ukraine
20230118 Praxis Kirchliche Dimension des Krieges in der Ukraine Wehrsch Mod
9’21
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat auch eine kirchliche Dimension; sie bestand bereits ab 2014 als Russland die Halbinsel Krim annektierte und die pro-russischen Rebellen in der Ostukraine unterstützte. Seit dem russischen Großangriff am 24. Februar des Vorjahres hat diese kirchliche Dimension stark zugenommen. Einerseits steigt die Zahl der zerstörten Kirchen und Klöster; anderseits werden proukrainische Kirchen auf russisch-besetztem Territorium unterdrückt und verfolgt. Doch auch Kiew hat seinen Kampf gegen den tatsächlichen oder vermeintlichen Einfluss Russlands in religiösen Leben der Ukraine massiv verstärkt. Hauptziel die Ukrainische Orthodoxe Kirche, die sich erst im Mai weitgehend von russischem Einfluss losgesagt hat. Die politische Führung der Ukraine zweifelt daran, dass diese Abkehr bereits als Bruch mit Moskau zu werten ist. Die Ukrainisch-Orthodoxe-Kirche steht somit massiv unter politischem Druck; möglich ist sogar eine Art Verbot; bereits verloren hat diese Kirche den Zugriff auf die Hauptkirche des Kiewer Höhlenklosters, die Mariä-Entschlafens-Kathedrale; der Staat verlängerte den abgelaufenen Mietvertrag nicht; aus Kiew berichtet über den Kirchenkonflikt unser Ukraine Korrespondent Christian Wehrschütz:
In der Ukraine gibt es zwei weltanschaulich miteinander konkurrierende Kirchen; die eine ist die Ukrainisch-Orthodoxen Kirche, die UOK, die bis Mai mit der Russisch-Orthodoxen Kirchen verbunden war. Seit mehr als drei Jahren besteht aber auch die OKU, die Orthodoxe Kirche der Ukraine; sie erhielt Ende 2018 vom ökumenischen Patriarchen in Konstantinopel den Status einer Autokephalen Kirche zuerkannt. Diese Entscheidung führte dazu, dass die Russisch-Orthodoxe Kirche die Beziehungen mit Konstantinopel abbrach und auch die UOK erkennt dieses Status nicht an. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass in der Ukrainisch-Orthodoxen-Kirchen bis zum russischen Großangriff prorussische Strömungen dominierten, war die UOK doch auch auf dem von russischen Separatisten kontrollierten Gebiet in der Ostukraine präsent. Im Gegensatz dazu versteht sich die OKU, die Orthodoxe Kirche der Ukraine, als Träger der nationalen Identität; die Ideologie des „Ruskij Mir“ der „Russischen Welt“, des Einflusses Moskaus auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion, wird massiv abgelehnt. Das zeigte auch die Predigt von Epiphani, dem Metropoliten der OKU, die zum ersten Mal in der Hauptkathedrale des Kiewer Höhlenklosters stattfand; auf diese Kirche hat die OKU nach Ablauf des Mietvertrages mit dem Staat Ende Dezember nun keinen Zugriff mehr. Daher sagte Metropolit Epiphani:
Epiphani -
4'27'8 - Lavra Befreiung von Ruskij Mir - 5'09'3
"Jetzt feiern wird auch die zweite Geburt dieser Kathedrale, und damit auch unseres Höhlenklosters. Daraus verschwindet der künstliche Geist des bösen Dämons der "Russischen Welt" des Ruskij Mir" und es kehrt zurück der Geist des wahren geistlichen Dienstes der heiligen Orthodoxie und des ukrainischen Volkes."
An die Mönche des Höhlenklosters gewandt predigte Epiphani:
Epiphani:
6'17'8 - Aufruf zum Übertritt auch an die Mönche - 7'11‘5
"Die Tore unserer Kirchen stehen offen; wir möchten die Einheit aller Orthodoxen um den Kiewer Thron erreichen, und zwar um die autokephale Orthodoxe Kirche der Ukraine - als eine gleichwertige und gleichberechtigte autokephale Tochter-Kirche der ökumenischen Orthodoxie, die auf der ukrainischen Erde dem eigenen Volk dient, ohne irgendeine Kontrolle von außen, Einmischung oder Zwang. Daher wende ich mich auch an die Brüder im Kloster; es ist Zeit, sich zu befreien von der nicht kanonischen Herrschaft durch Moskau.; es ist Zeit, eine neue Seite im Sein des Klosters aufzuschlagen."
Ob es dazu kommt und wie rasch ist derzeit noch unklar; für den unteren Teil des Klosters besteht ein Mietvertrag mit der UOK, der nach Angaben dieser Kirche unbefristet abgeschossen ist, was er nicht heißt, dass er nicht gekündigt werden kann. Etwa 300 Mönche leben in diesem Koster, das Abt-Metropolit Pawlo leitet; sein Vermögen sowie das einiger Bischöfe hat der Nationale Sicherheitsrat der Ukraine auf fünf Jahre eingefroren, bestimmte Handelsgeschäfte wurden untersagt. Der Hauptvorwurf gegen die UOK betrifft die Kollaboration mit dem russischen Angreifer; dazu sagt in Kiew der aus Donezk stammende Religionswissenschaftler Igor Koslovskij:
Igor Koslowskij
9'43'9 - Landesverrat UPZ – 9‘17‘4
"Es gibt keine Beweise, dass das eine Politik der Kirche ist. Doch man kann sagen, dass im Vergleich mit anderen religiösen Gemeinschaften die Zahl der Kollaborateure bei der Ukrainisch-Orthodoxen-Kirche des Moskauer Patriarchats deutlich höher ist. So haben wir bei der Römisch-Katholischen-Kirche einen Fall, während wir beim Moskauer Patriarchat schon Dutzende Fälle haben und es auch schon Urteile gibt. Zu dieser Kollaboration zählt die Korrektur des Feuers für die russische Artillerie durch Geistliche oder gemeinsame Auftritte mit den Besatzern; dazu zählt auch zwei Bischöfe, die mit den Besatzern zusammengearbeitet haben; somit geht es nicht nur um untergeordnete Vertreter dieser Kirche, die kollaboriert haben."
Doch es geht um weit mehr als um Kollaboration mit dem Feind; vielmehr gilt die UOK vielen nationalbewussten Ukrainern als russischer Faktor in ihrem Land; auf den Punkt bringt diese Haltung in Kiew Viktor Jelenskij, der Leiter der staatlichen Behörde für Ethno-Politik und Gewissensfreiheit:
Viktor Jelenskij
7'41 - Problem liegt nicht in der Zahl, sondern in der Ideologie - 9'09'6
"Das Problem liegt nicht in der Zahl der Kollaborateure, sondern darin, dass diese Kirche jahrzehntelang ihre Gläubigen mit russischer Ideologie vergiftet hat. Das haben auch die Durchsuchungen ihrer Kirchen und Klöster gezeigt, wo viele entsprechende Schriften gefunden wurden. Das Problem dieser Kirche liegt darin, dass diese Kirche seit 2014 und bis zu Beginn des großen Krieges im Februar des Vorjahres gesagt hat, dass sich ihre Gläubigen auf beiden Seiten der Frontlinie befinden. Doch mental, geistig war die Kirche auf der anderen Seite; sie verlangte immer von Kiew einen Beitrag zum Frieden aber niemals von Moskau. "
Und wie will der Staat weiter vorgehen? Viktor Jelisenskij:
Viktor Jelenskij
12'04'7 - Gutachten über UPZ - 12'57'5
"Experten werden ein Gutachten vorlegen, ob diese Kirche Teil der russischen Kirche ist. Sollte das Gutachten zu diesem Schluss kommen anhand mehrerer Punkte, dann ist offensichtlich, dass diese Kirche aufgefordert werden wird, diese Punkte und damit die Beziehungen mit dem Moskauer Patriarchat zu beseitigen. Denn unter den heutigen Gegebenheiten und angesichts der Haltung des Moskauer Patriarchs und der russischen Kirche generell können derartige Beziehungen nicht mehr toleriert werden."
Offiziell hat sich die UOK bei ihrer Kirchenversammlung im Mai von Moskau losgesagt; darauf verweist auch ihr Pressesprecher, Mikola Danilewitsch; er kritisiert die ukrainischen Behörden in Zusammenhang mit dem Vorwurf der Kollaboration und sagt:
Mikola Danilewitsch
18'59'4 - Kollaboration - 20'45'8
"Der Leiter der Staatssicherheit der Ukraine sprach von 30 Fällen, in denen ermittelt wird. Es gibt nur fünf Urteile, davon betreffen zwei die Kollaboration; die übrigen drei werden als Aufruf zum religiösen Hass qualifiziert, wobei die Staatssicherheit uns bisher nicht antwortet. Wir wissen darüber aus dem Internet und aus den Medien; doch wir können keine Entscheidungen über Priester auf das Basis von Medienberichten fällen. Wir haben im Gerichtsregister nur ein Urteil über einen Priester aus der Diözese Kiew gefunden, der zu 12 Jahren verurteilt aber bei einem Austausch von Gefangenen mit Russland ausgetauscht wurde. Doch den Text dieses Urteils haben unsere Juristen noch nicht. Wir verurteilen Kollaboration, doch die Verantwortung muss individuell bei jedem Priester liegen und darf nicht kollektiv die ganze Kirche treffen."
Rechnet die Ukrainisch-Orthodoxe-Kirche mit ihrem Verbot durch den Staat? Mikola Danilewitsch antwortet mit einem Appell:
Mikola Danilewitsch
16'58'2 - Erwartung und Appell - 18'22'5
"Ich erwarte nichts Positives, weil derzeit die Regierung ein Gesetz vorbereitet, das gegen unsere Kirche gerichtet ist. Wir hätten gerne, dass der Staat versteht, dass wir nicht sein Feind, sondern sein Teil sind; persönlich empfinde ich diese Angriffe auf die Kirche als künstlich; natürlich gibt es auch bei uns Mängel und Fehler, die wir eingestehen. Doch die Kirche ist Teil des Volkes, und so muss ich als einfacher Staatsbürger sagen, dass diese staatliche Politik falsch ist. Unsere Kirche war auf dem Weg zur völligen Unabhängigkeit, und mir scheint, dass uns dabei Staat und Gesellschaft hätten helfen sollen, und nicht die Zerstörung oder Liquidierung unserer Kirche vorbereiten. "
Die UOK ist insbesondere im Süden sowie im Osten, also dort, wo gekämpft wird, in der Bevölkerung stark verankert; daher warnt in Kiew der Politologe, Konstantin Bondarenko, vor möglichen negativen Folgen, die das staatliche Vorgehen gegen diese Kirche mit sich bringen könne:
Konstantin Bondarenko:
10'25'2 - Armee und Gläubige - 11'08'6
"In den Streitkräften gibt es viele Soldaten, die der Ukrainisch-Orthodoxen-Kirche angehören und genauso für ihr Land gegen Russland kämpfen wie die Angehörigen anderer Konfessionen. Das Vorgehen gegen die Kirche mindert daher in gewissem Ausmaß die Motivation zu kämpfen. Generell ist das eine enorme Provokation, die eine innere Front eröffnet in der Ukraine. Wir haben einen Krieg mit Russland, doch jemand provoziert jetzt noch einen Konflikt zwischen den Konfessionen und die Suche nach Feinden innerhalb der Gesellschaft, und das ist ein sehr gefährlicher Prozess."
Fest steht aber, dass der Krieg in der Ukraine wohl eine Neuordnung des religiösen Lebens mit sich bringen wird, und dass sich der Patriarch der Russisch-Orthodoxen Kirche, Kiril, durch seine unchristlichen Aussagen zum Krieg nicht nur in der Ukraine selbst als religiöser Führer diskreditiert hat.