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Reportage aus dem befreiten Isjum

Fernsehen
ORF III
Berichte Ukraine
Die ukrainische Gegenoffensive im Nordosten des Landes im Landkreis Charkiw hat die russische Armee kalt erwischt. Teilweise in Panik verließen russische Soldaten ihre Stellungen und ließen ihre Waffen zurück. Militärisch besonders wichtig ist für die Führung in Kiew die Stadt Isjum etwa 120 Kilometer südöstlich von Charkiw, weil damit auch der militärische Druck auf den Nachbaroblast von Donezk nachgelassen hat. Vorgestern hat in Isjum Präsient Volodimir Selenskij bei einem Kurzbesuch die ukrainische Fahne gehisst; gestern hat unser Ukraine-Korrespondent in der Stadt mit Bewohnern über ihre triste Lage gesprochen und die folgende Reportage gestaltet:

Berichtsinsert: Christian Wehrschütz aus Isjum

Insert1: Anton, ukrainischer Soldat in Isjum

Insert2: Aljona, Inhaberin eines Kosmetiksalons in Isjum

Insert3: Aljona, Inhaberin eines Kosmetiksalons in Isjum

Insert4: Aljona, Inhaberin eines Kosmetiksalons in Isjum

Insert5: Tatjana und Igor, Bewohner von Isjum

Aufsager: Christian Wehrschütz aus Isjum

Gesamtlänge: 3’50

Die Befreiung von Isjum bedeutet einen spürbaren militärischen Rückschlag für die russischen Angriffspläne in der Ostukraine. Besetzt war die Stadt mehr als fünf Monate, die Rückeroberung gelang binnen einer Woche. Die Russen ließen viele Waffen zurück; beim Rückzug sprengten sie diese Brücke über den Fluss. Zurück ließen sie eine gezeichnete Stadt:

1'40 - Wie viele Bewohner - 1'56'6
"Bis zum Abgriff am 24. Februar lebten hier etwa 45.000 Einwohner; jetzt sollen es etwa 17.000 sein, das haben mir jedenfalls einige Bewohner gesagt."

"Ich denke, dass die Zivilverwaltung rasch hier arbeiten kann; das Gebiet ist bereits befreit, eine Bedrohung gibt es nicht mehr und man muss Isjum wieder aufbauen."

Und dieser Wiederaufbau wird alles andere als leicht sein, selbst wenn die Behelfsbrücke nicht mehr nötig sein sollte.

Der Zustand des Zentrums ist zum Weinen. Praktisch kein Haus ist ganz, und auch der Supermarkt ist nur mehr ein Trümmerfeld. Strom, Wasser, Gas und Lebensmittel gibt es nicht; der Greißler im Zentrum hat praktisch keine Waren, schon gar keine verderblichen, weil eine Kühlung nicht möglich ist. Verteilt wird im Zentrum humanitäre Hilfe; dazu zählen auch Medikamente. Mit ihrer Kappe sticht Aljona aus der Menge; sie hat sich für Verwandte und Bekannte um Tabletten angestellt:

23'4 - Wofür die Medikamente - 47'9
"Meine Mutter ist Pensionistin und behindert. Mein Schwiegervater ist auch Pensionist; dann gebe ich Tabletten auch alten Frauen, die bei uns im Haus wohnen. Kinder sind einfach weggefahren und haben ihre Eltern dem Schicksal überlassen. Alte brauchen Medikamente, denn es kommen die kalte Jahreszeit und der Winter."

Die Frau hatte einen Schönheitssalon, der nur mehr ein Trümmerfeld ist. Beschäftigt waren hier sechs Mitarbeiter. Friseure braucht man immer; ist ein Wiederaufbau geplant?

08'00 Keine Perspektive für einen Wiederaufbau - 30'3
"Dazu fehlen die Mittel. Wir lebten ein halbes Jahr ohne irgendwelche Einnahmen, auf Kosten unserer Ersparnisse, und haben unseren Eltern geholfen. Meine Mutter ist Pensionisten, viele Angehörige meines Mannes auch. Derzeit ist es sinnlos an Wiederaufbau zu denken, es gibt weder Strom noch Telefon."

Und wer waren die Plünderer, die ihren Schönheitssalon ausgeraubt haben?

2'21'3 - Wer waren die Plünderer? - 2'43'9
"Zu Beginn Russen, dann Milizen aus Lugansk und Donezk; sogar Mitbürger aus Isjum haben geplündert, zu Beispiel Außenfließen hier; das haben mir Nachbarn erzählt."

Mit Glück telefonieren kann man bei der Stadteinfahrt, dort wo das sowjetische Siegesdenkmal zum Zweiten Weltkrieg steht. Hier komme ich mit diesem Ehepaar ins Gespräch; Tatjana hat durch russischen Beschuss zwei Verwandte verloren. Wie lebt es sich in der Stadt, gibt es eine Perspektive?

3'07 - Perspektive und Leben - 3'37'8
"Perspektive, du lebst von einem Tag auf den anderen; der Tag geht vorbei, das ist alles."
"Wenn wir wenigstens Strom hätten. Es gibt Aggregate und Benzin. Damit holt man das Grundwasser herauf, schaltet den Fernseher für zehn Minuten ein, um die Nachrichten zu sehen, lädt das Telefon und die Taschenlampen auf, so ist das."
Beide haben Angst, dass die Russen zurückkommen könnten. Derzeit ist das sehr unwahrscheinlich; die Front ist etwa 20 Kilometer entfernt, doch Frieden ist in der Ukraine weiter nicht in Sicht.

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