Leben unter dem AKW
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Berichte Ukraine
Nikopol und Energodar liegen an einem riesigen See, der durch die Aufstauung des Dnipro in sowjetischer Zeit entstanden ist. Brücken über den Stausee gibt es nicht, doch vor dem Krieg verkehrten Fähren zwischen den beiden Städten. Energodar ist russisch besetzt; das gilt auch für größte Atomkraftwerk der Ukraine, in dem nach wie vor die ukrainische Bedienungsmannschaft Dienst tut. Das Kraftwerk liegt am Ufer des Stausees und ist vom etwa fünf Kilometer entfernten Nikopol gut zu sehen; benannt ist diese Stadt nach den griechischen Worten für Stadt und der Siegesgöttin Nike. Vor dem Krieg zählte Nikopol etwas mehr als 100.000 Einwohner; derzeit sind es etwa 50.000, erläutert der Bürgermeister Oleksandr Sajug. Zur russischen Besetzung des AKWs sagt er:
Sajug 17'37'1 AKW und die Lage - 18'15'7
"Ja, sie sind im AKW, ja sie fahren heraus und beschießen uns dann, ja und man kann keine Gegenmaßnahmen treffen, doch das ist eine Sache des Militärs. Doch was sollen wir tun? Wir müssen leben und arbeiten. Nicht alle Bewohner wollen weg, denn auch viele sind hiergeblieben."
Hiergebliebene trifft man am Markt der Stadt, der etwas freier übersetzt bei uns wohl Bauernmarkt heißen würde. Dort gibt es aber nicht nur Lebensmittel und insbesondere Gemüse, das Kleinbauern verkaufen, sondern auch Kleinkram wie gebrauchte Kleider und Schuhe. Betreiberin dieses Geschäfts mit dem bezeichnenden Namen Second Hand ist die schwarzhaarige Tatjana; sie spricht mich bei einem Kiosk an und fragt, ob ich als Ausländer Nikopol helfen könne. Welche Hilfe braucht die Stadt, frage ich Tatjana:
Tatjana 1'09'0 AKW Schließt den Himmel - 1'26'9
"Schließt den Luftraum über dem Atomkraftwerk; das ist das, was wir wirklich brauchen. Lebensmittel und Kleidung beschaffen wir selbst. Doch wichtig ist, dass der Himmel über dem AKW geschlossen wird. Das ist eine Frage der Sicherheit für ganz Europa."
Der Luftraum wird wohl offenbleiben, wiewohl das AKW eine Frage der Sicherheit für ganz Europa ist. In den vergangenen Wochen haben auch die ukrainischen Streitkräfte das AKW mit Bajraktar-Drohnen wiederholt beschossen, wohl den präzisesten Waffen, die sie haben. Zu vermuten ist, dass die Russen am AKW-Gelände auch Kommandozentralen unterhalten, eben weil ihr Beschuss schwierig und gefährlich ist. Militärexperten gehen davon aus, dass nur ein Volltreffer mit einem großen Kaliber, einen Reaktor zerstören und Strahlung freisetzen könnte. Auf ukrainischer Seite des Stausees mit freier Sicht auf das AKW liegt ein kleines Kaffee. Die Atmosphäre könnte man fast idyllisch nennen, wüsste ich nicht, dass die Ruhe trügerisch und die Folgen für die Ukraine und Europa nicht abschätzbar wären, sollte der Krieg das AKW tatsächlich in Mitleidenschaft ziehen.