Lukas Hasler in Lemberg
Kriegsbedingt lag das Kulturleben in der Ukraine wochenlang danieder. Doch nun haben viele Opernhäuser und Konzertsäle wieder geöffnet, zwangsweise vor allem in den Städten, die von Kriegsgeschehen nicht direkt betroffen; dazu zählt Lemberg; hier trat der junge österreichische Organist Lukas Hasler im Konzertsaal auf; die Anreise erfolgte mit dem Zug über Polen bis zur Grenzstadt Przemyśl und von dort dann weiter nach Lemberg; dabei gab es Wartezeiten wegen eines Fliegeralarms, der in der Ukraine geografisch aber nicht sehr genau eingeschränkt ertönt. Die Rückreise erfolgte auf demselben Wege. Unterbrochen wurde die Anfahrt.
Mit Bachs Toccata und Fuge in D-Moll eröffnete Lukas Hasler in Lemberg sein Konzert, das etwa eine Stunde dauerte. Der 26-jährige Steirer ist der erste Ausländer, der nach Kriegsbeginn wieder in diesem Konzertsaal spielt. Geplant war das Konzert schon vor Kriegsbeginn, sagt Lukas Hasler: "Das Konzert, bzw. ... Jetzt war es mit einem vertretbaren Risiko möglich hierherzukommen; ich bin der erste jetzt hier, der als Nicht-Ukrainer hier wieder spielt nach der Öffnung dieses Konzertsaales wieder; aus diesem Grunde war es für mich klar, das mach ich jetzt, und ich nehme die Reise jetzt auf mich."
Der Künstler lebt in Gaishorn und spielt seit 17 Jahren Orgel; dazu kam es so: "Das könnte man fast als Integrationsmaßnahme betrachten, weil ich bin in einen neuen Ort in die Obersteiermark gezogen; und da war es möglich eben einerseits in den Fußballklub zu gehen oder als Ministrant zu beginnen; und da bin ich zum ersten Mal mit der Orgel in Kontakt gekommen, und so bin ich bis heute dabeigeblieben; es hat mich immer fasziniert schon."
Zeit für einen kurzen Stadtbummel blieb zwischen den Konzerten und den Proben. Lemberg gehörte fast 150 Jahre zu Österreich; es war eine der größten Städte der Monarchie; die Architektur im Zentrum ist durch diese Zeit geprägt, und daher fühlt sich auch Lukas Hasler heimisch in Lemberg: „Für mich ist das ganz wie in Österreich; wunderschöne Barockbauten, die man sieht, die ganzen Kirchen da, eine wirklich wunderbare, prächtige Stadt. Es ist faktisch wie in Österreich; man geht da so durch und sieht wirklich die Geschichte, das könnte Salzburg sein, Graz oder Wien."
Auf der Flaniermeile im Zentrum steht das Denkmal des ukrainischen Nationaldichters Taras Schewtschenko. Davor geben sich Jugendliche und Lehrer ein Stelldichein, die eine Schule dahinter besuchen. Gefeiert wurde der Ferienbeginn – wegen des Krieges bescheidener aber doch, wie die Lehrerin sagt, die den patriotischen Geist aller betont. Lemberg ist als Stadt selbst kein militärisch wichtiges Ziel; das wissen die Bewohner, deren Kinder Abkühlung in den Fontänen vor der Oper suchen, die auf einer rechteckigen Fläche Wasser in der Höhe spritzen; doch ganz überzeugt das friedliche Bild auch unseren Besucher aus der Steiermark nicht:
"Ich glaube, man kann da wirklich sagen, dass die Menschen eine Widerstandskraft entwickelt haben, und irgendwie versuchen, eine gewisse Art von Normalität wieder zu leben; das ist ja ziemlich schwer; ich habe da schon mehrere Raketenalarme erlebt. Also es ist nicht so, dass wir jetzt in der ganz normalen Normalität wieder wären; aber die Menschen versuchen einfach das Beste daraus zu machen, ja."
Und dazu zählt die Kultur, die Zerstreuung und Ablenkung bietet. Daher wird die Oper wieder bespielt. Über dem Haupteingang hängen Plakate, die den Durchhaltewillen der Ukrainer stärken und auf die Leistungen ihrer Soldaten im Krieg verweisen. Doch auch die Aufführungen überschattet der Krieg; von den 1000 Plätzen dürfen nur 300 verkauft werden, weil der Luftschutzkeller nicht mehr Personen fasst. Und was passiert im Falle von Fliegeralarm? Die Maßnahmen für diesen Fall erläutert Michajlo Schwed, Künstlerischer Direktor der Oper in Lemberg: "Dauert der Alarm bis zu einer Stunde, dann wird die Aufführung fortgesetzt. Dauert der Alarm länger, dann setzen wir nicht fort, doch der Besucher hat die Möglichkeit, eine andere Aufführung gratis zu besuchen oder zu warten, bis dasselbe Stück wieder auf dem Programm steht, das er dann ebenfalls gratis besuchen kann."
Kunst als Ablenkung vom Krieg zählt auch zu den Motiven des Direktors des Konzertsaales, Taras Demko, in dem Lukas Hasler aufgetreten ist. Auf dem T-Shirt des Direktors steht denn auch: „Ich atme Musik.“ Das ist auch Demkos zentrales Motiv:
"Im Orgel-Saal atmen wir wirklich Musik; und wir möchten, dass mehr Menschen Musik atmen, weil Musik als Kunst heute so ist wie die Luft. In einer derart schwierigen Zeit, in der Zeit des Krieges, ist es außerordentlich wichtig, sein Leben etwas mit Kultur anzureichern, weil Kunst und Klassische Musik beruhigen, und sich etwas von den Problemen zu entfernen, die es derzeit in der Ukraine gibt."
Mit einem Online-Projekt sammeln Demko und seine Mitarbeiter ukrainische Komponisten, um sie, Auszüge ihrer Werke und ihre Noten der Welt zugänglich zu machen; sie soll die Kultur der Ukraine besser kennenlernen. Auf Lukas Hasler aufmerksam wurde der Konzertdirektor über Instagram, wo der Steirer sehr aktiv ist und über eine große Anhängerschaft verfügt.
Beim Konzert spielte Hasler auch Sonaten von Mozart und Beethoven, die er selbst für die Orgel arrangiert hat. Der Künstler trat an zwei Abenden auf, und beide Male war das Publikum von dem jungen, sympathischen Steirer völlig begeistert.