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Religion und Kriegsgeschehen

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Berichte Ukraine

Der Krieg in der Ukraine beeinflusst auch das religiöse Leben massiv. Dabei geht es nicht nur um die Zerstörung von Kirchen und religiösen Denkmälern; vielmehr geht es um die Neuordnung der kirchlichen Beziehungen, die zwischen Kiew und Moskau bereits vor dem russischen Krieg gespannt waren. Dazu zählte die religioöse Spaltung in der Ukraine in eine national-orientierte Orthodoxie, die erst Ende 2019 vom ökumenischen Patriarchen in Konstantinopel die Autokephalie verliehen bekommen hat. Dieser Schritt führte zu massiven religiösen Spannungen zwischen Konstantinopel und Kiew auf der einen und Moskau auf der anderen Seite; seit Kriegsbeginn am 24. Februar gibt es nun aber auch Spannungen zwischen dem Moskauer Patriarchat und der mit ihm verbundenen Ukrainischen Orthodoxen Kirche; unter dem Druck des Krieges setzt sich diese Kirche nun von Moskau ab, während die Russisch-Orthodoxe Kirche sich etwa die Kirchen einverleibt, die auf der Krim bisher der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche unterstanden haben; aus der Ukraine berichtet über die schwierige kirchliche Lage unser Korrespondent Christian Wehrschütz:

In der Ukraine ist der Krieg allgegenwärtig, und zwar selbst in den Landesteilen, die wie die Stadt Lemberg ganz im Westen des Landes liegen. Zu dieser Präsenz zählen nicht nur Plakate und Souvenirs, die vom T-Shirt bis zum Kaffeehäferl reichen und Durchhalteparolen oder bekannte Bilder des Krieges tragen. Im Zentrum von Lemberg steht auch die Garnisonskirche; sie ist nun sehr oft der Ort, an dem Angehörige und Soldaten ihren gegen Russland gefallenen Kameraden das letzte Geleit geben. …

Als wir dort am Wochenende im Einsatz waren, wurde gerade ein Oberleutnant verabschiedet, der Anfang Juni gefallen ist. Der Offizier wurde nur 31 Jahre alt. Der Schmerz der Hinterblieben ist leider kein Einzelfall; das zeigen die Bilder gefallener Soldaten in der Kirche und der Schmerz der Kinder, die ihre Familienväter zurücklassen. Der Krieg Russlands und die Unterstützung durch den Moskauer Patriarchen Kiril hat die mit der Russischen Orthodoxie verbundene Ukrainisch-Orthodoxe Kirche zum Handeln gezwungen. Bei einem Sabor Ende Mai erfolgte eine Absetzbewegung von Moskau; sie führte zu einer Statuten-Änderung, die der Pressesprecher der Ukrainisch-Orthodoxe Kirche, Mikola Danilewitsch, so erläutert:

3’30 – Was geändert im Statut – 4‘49‘3

"Wir habe alle jene Bestimmungen geändert, die die Beziehungen zwischen unserer Ukrainisch-Orthodoxen Kirche und der Russisch-Orthodoxen Kirche betreffen. Zum Beispiel hieß es in dem Statut, dass unsere Kirche mit den anderen autokephalen Kirchen durch die Russisch-Orthodoxe Kirche verbunden ist. Weiter hieß es, dass die Beschlüsse des Sabor der Russisch-Orthodoxen Kirche verpflichtend für die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche sind. All das wurde geändert, so dass die Kirche nun de facto unabhängigen ist, obwohl formell noch nicht der Status einer autokephalen Kirche besteht."

Ein Angebot zum Dialog wurde der Orthodoxen Kirche der Ukraine unter Metropolit Epifani gemacht. Sie wurde Ende 2019 vom Ökumenischen Patriarchen in Konstantinopel als autokephale anerkannt, was zu einem massiven Konflikt mit der russischen Orthodoxie führte. Der Beginn des Dialogs über kirchliche Einheit ist aber an Bedingungen geknüpft; dazu zählt eine Beendigung der gewaltsamen Übernahme von Kirche der Ukrainischen Orthodoxie durch Gläubige anderer Jurisdiktionen. Mehr als 70 Kirchen sollen seit Kriegsbeginn gewaltsam der Orthodoxen Kirche der Ukraine übertragen worden sein. Zu den Bedingungen des Dialoges sagt daher Mikola Danilewitsch:

5'57'5 - Bedingungen für Dialog - 7'25'1

"Dazu zählt die Beendigung des Kirchenraubes und die Beseitigung von Konflikten. Schließlich sagt auch Präsident Volodimir Selenskij, dass er bereit ist, mit Vladimir Putin zu sprechen, doch dazu müssten zuvor die Kämpfe eingestellt werden; das ist eine normale Praxis für den Beginn eines Dialogs. Jetzt ist es nur wichtig, die kirchliche Lage zu beruhigen, die im Land geschaffen wurde. Dazu zählt der Kirchenraub; es gibt auch Übertritte von Pfarren, die wir anerkennen; dann kann man weiterreden."

Zu einem Interview oder zu einer Stellungnahme war die Orthodoxe Kirche der Ukraine nicht bereit. Der mit ihr eng verbundene Religionswissenschaftler Igor Koslovskij sieht in der Distanzierung vom Moskauer Patriarchat eine durch den Krieg erzwungene Rettungsaktion: Igor Koslowskij:

3'50 - UPZ war gezwungen zu reagieren - 5'49'4

"Mehr als 400 Pfarren sind zur Orthodoxen Kirche der Ukraine übergetreten. Mehr als 400 Priester haben dem Sabor geschrieben und darum gebeten, den russischen Patriarchen Kiril vor Gericht zu stellen und die Ideologie der sogenannten "Russischen Welt" als häretisch zu verurteilen. Das sind pro-ukrainische Priester; mit vielen von ihnen habe ich gesprochen. Die innere Unzufriedenheit zwang die Bischöfe, eine Entscheidung zu treffen. Schließlich kam es zu diesem Sabor, dessen Ziel es war die Orthodoxe Kirche der Ukraine zu retten.“

Kritisch bewertet Koslovskij auch das Dialogangebot; im christlichen Sinne müsste die Ukrainisch-Orthodoxe-Kirche ihre Irrtümer zuerst bekennen und bereuen: außerdem könne von einem Bruch mit Moskau bisher keine Rede sein, betont Igor Koslowskij:

6'24'9 - Bewertung des Status - 7'44'6

"Es gibt keinen wirklichen juristischen Bruch mit der Russisch-Orthodoxen Kirche; diese Stellungnahme, dass die Erklärungen des Moskauer Patriarchen zum Krieg nicht gebilligt werden, ist noch keine Verurteilung von Kiril; auch Putin und Russland wurden nicht verurteilt. Es gibt keine Erklärung, dass Metropolit Onufri aus dem heiligen Synod der Russisch-Orthodoxen-Kirche ausgetreten ist. Hinzu kommt, dass nach einem Bruch mit dieser Kirche sich die Frage stellt, in welchem Ausmaß die Kirche in Kiew dann noch kanonisch ist, sprich, wie sie dann mit der orthodoxen Welt verbunden ist."

Als wesentliches Merkmal einer tatsächlichen Abkehr wertet der emeritierte Professor für Orthodoxes Kirchenrecht an der Universität Wien, Richard Potz, die sogenannte Kommemoration; das ist die Nennung des Moskauer Patriarchen bei den Gottesdiensten; darüber gebe es derzeit keine Klarheit; interessant sei jedoch, dass der Sabor der Ukrainisch-Orthodoxen-Kirche Ende Mai, den Eparchien ausdrücklich und kriegsbedingt in vielen Bereichen Entscheidungsfreiheit eingeräumt habe; das interpretiert Richard Potz so:

4'59'3 - Kommemoration und freie Hand - 5'24'1 (25)

"Ich nehme an, man hat die Sorge, ... und daher auch diese Freigabe an die einzelnen Eparchien."

Als einen wichtigen Schritt auf einem langen Marsch bewertet Richard Potz das Dialogangebot der ukrainisch-Orthodoxen-Kirche an die Orthodoxe Kirche der Ukraine:

9'42'0 - Dialogbereitschaft - 10'13'7

"Die Betonung, dass man aufeinander ... die sind ja bekannt."

 

Vielleicht erleichtert den Dialog der Umstand, dass auch die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats wie etwa in Odessa Menschen hilft, die unter den Folgen des Krieges leiden; Ausspeisungen von Vertrieben und Kriegsopfern gibt es auch am Bahnhof, der für viele Flüchtlinge eine Zwischenstation ist. Zweifellos ist die Stellung der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche nun sehr schwierig; einerseits werden auch ihre Kirchen im Krieg beschossen; andererseits wird die Russisch-Orthodoxe Kirche wohl in den besetzten Gebieten Klöster und Kirchen wohl ihrer Jurisdiktion einverleiben wollen. Fest steht somit, dass der Krieg das religiöse Leben in der Ukraine tiefgreifend verändern wird – wohl mit massiven Folgen für die Orthodoxe Christenheit weltweit.

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