Reportage aus Odessa
13 Seehäfen gibt es in der Ukraine; davon sind nun vier in russischer Hand und weitere sechs durch die russische Schwarzmeerflotte blockiert. Für die Ukraine ist das wirtschaftlich eine enorme Belastung; 150 Millionen Tonnen an Waren exportierte das Land im Vorjahr über seine Häfen; ein Drittel davon entfiel auf Getreide; der größte Umschlagsplatz für Container war bis zu Kriegsbeginn am 24. Februar die Hafenstadt Odessa, die auch zu den wichtigsten Kulturdenkmälern der Ukraine zählt. Ein besonders Prunkstück ist die Oper, die dieselben Architekten gebaut haben, die auch die Wiener Staatsoper geplant haben. In Odessa ist unser Ukraine-Korrespondent Christian Wehrschütz; hier sein Bericht:
Die Sehenswürdigkeiten der Hafenstadt Odessa sind derzeit für Normalsterbliche kaum zu erreichen. Die aus einem sowjetischen Film von Sergej Eisenstein so berühmte Stiege führt zum Hafen, und auch die Oper liegt in der Nähe dieses strategischen wichtigen Objekts; davon gibt es zwar zuhauf Videos im Internet, doch mit Logik darf man weder den ukrainischen Streitkräften noch der Militärzensur kommen. Das Zentrum ist jedenfalls durch Straßensperren abgeriegelt, die nur passieren darf, wer dort wohnt, arbeitet oder einen Termin hat. Mit Sandsäcken eingerüstet, sind auch viele Denkmäler, doch nur bruchstückhaft die berühmte Oper, die außen wie innen an ihr Wiener Vorbild erinnert. Zum nicht wirklich überzeugend wirkenden Kulturgüterschutz sagt Bürgermeister Gennadi Truchanow:
10'25'5 - Kulturgüterschutz - 11'55'9
„Zu den einfacheren Maßnahmen zählt, dass wir am ersten Kampftag alle Denkmäler mit Sandsäcken eingedeckt haben, auf die Odessa stolz ist. Gegen einen Volltreffer durch eine russische Rakete können wir unsere Kulturgüter nicht schützen, gegen kleinere Kaliber aber schon. Generell haben wir unsere Meldungen und Anträge an die UNESCO erneuert; das ist heute sehr wichtig für Odessa. Den ersten Schritt haben wir bereits 2009 getan; damals kamen wir auf die vorläufige Liste der UNESCO; jetzt haben wir eine enorme internationale Unterstützung, um auf die Liste der UNESCO zu kommen. Jetzt können wir das Verfahren auch beschleunigen, weil die Bestimmungen der UNESCO vorsehen, Kulturgüter eines Landes im Schnellverfahren in die Liste aufzunehmen, das von Zerstörung und Krieg bedroht ist.“
Massive Zerstörungen sind Odessa bisher erspart geblieben; natürlich ist jeder Tote einer zu viel, doch mit etwa zehn Toten und 40 schwerer Verletzten hat die Hafenstadt bisher wirklich Glück gehabt; dessen ist sich auch Gennadi Truchanow bewusst:
3'32'2 - Opferzahlen viel geringer - 4'27'2
"Es gibt keinen Vergleich etwa mit dem Beschuss von Charkiw, wo mehrere Tausend Häuser beschädigt oder zerstört wurden. Gott sei Dank hat Odessa viel weniger gelitten. Zerstört oder beschädigt wurden ein Einkaufszentrum, Infrastruktur und ein Haus, auf das eine Rakete fiel. Da starben acht Bewohner, darunter ein Baby und eine schwangere Frau. Einen Direkttreffer gab es in einem Hotelkomplex, das ist die bisherige Bilanz."
Trotzdem ist auch Odessa vom Krieg gezeichnet; etwa ein Fünftel der eine Million Einwohner hat die Stadt verlassen; viele Geschäfte haben geschlossen; geöffnet haben einige Restaurants, allerdings nur bis 20 Uhr, während die Ausgangssperre ab 22 Uhr gilt. Massiv von der russischen Seeblockade betroffen ist jedenfalls der Hafen von Odessa; dazu sagt Gennadi Truchanow:
6'14'3 - Wirtschaftliche Folgen - 7'40'5
"In der Ukraine haben sich mehr als 4,5 Millionen Tonnen Getreide angesammelt, die wir nicht exportieren können. Doch bald kommt die nächste Ernte, die wir nirgends lagern können, weil die Silos voll sind. Somit leidet die Wirtschaft und darunter leidet auch die Stadt Odessa, die mit einem Sechstel weniger an Budgeteinnahmen rechnen muss."
Somit trifft Russland die Ukraine und die Stadt Odessa massiv, auch wenn eine Eroberung der Hafenstadt ebenso wenig im Bereich des militärisch Möglichen liegt, wie die Besetzung des gesamten Landes.