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Interview mit Julia Timoschenko in Kiew

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Berichte Ukraine

Aus Kiew geflohen sind seit Kriegsbeginn nicht nur viele Bürger, sondern auch viele Politiker. Weiter in der Stadt sind aber die politische Führung unter Präsident Volodimir Selenskij, aber auch ein politisches Urgestein – die frühere Ministerpräsidentin Julia Timoschenko. Die Vorsitzende der Vaterlandspartei wurde im Westen durch ihren Haarkranz, durch die Orangene Revolution des Jahres 2004 sowie durch ihre Haft unter Präsident Viktor Janukovic bekannt, die einem umstrittenen Prozess folgte. In Kiew getroffen hat sie gestern unser Ukraine-Korrespondent Christian Wehrschütz; hier sein Bericht:

Im Innenhof der Zentrale der „Vaterlandspartei“ in Kiew herrscht rege Betriebsamkeit. Mitarbeiter be- und entladen humanitäre Hilfe, die sich beim Eingang in das Hauptgebäude stapeln; dazu zählen Decken, Kleidung und unzählige Kartons mit Hilfsgütern; sie stehen auch beim Aufgang zum Büro von Julia Timoschenko, die eigentlich zum politischen Urgestein in der Ukraine zählt. Mehr als 20 Jahre ist ihre Partei ununterbrochen im Parlament vertreten. Nach der Orangenen Revolution im Jahre 2004 war sie auch einige Jahre Ministerpräsident; wie versucht Juli Timoschenko nun ihrem Land in dieser Kriegszeit zu helfen:

„Ich habe herzliche und freundschaftliche Beziehungen zu vielen Politikern in der Welt, zu ehemaligen Regierungschefs, und ich tue alles, um sie und durch sie die Regierungschefs, Präsidenten, Premierminister davon zu überzeugen, dass die Ukraine jetzt eine umfassende militärische Unterstützung braucht.


Außerdem organisieren wir die Evakuierung von Kranken, schwerkranken Kindern, Krebspatienten, Kindern mit Herzinsuffizienz, autistischen Kindern, Kindern mit seltenen Krankheiten; wir evakuieren sie mit Eltern aus der Region Kiew. Wir planen die gesamte Logistik von der Abholung bis zum Empfang, weil es uns wichtig ist, dass unsere Kinder an einem Ort sind, an dem sie medizinisch versorgt werden können, und an dem sie sicher sind.“

Die 61-jährige Frau ist sehr zierlich, spricht mit leiser, aber bestimmter Stimme; mit ihrer Frisur ist sie wieder zum traditionellen, geflochtenen Haarkranz zurückgekehrt; welche Chancen räumt sie den Verhandlungen mit Russland ein? Julia Timoschenko:

„Ich bin an den historischen Grundsatz gewöhnt, dass, wenn die Diplomatie funktioniert, die Waffen schweigen; doch wie soll die Diplomatie funktionieren, wenn die Waffen nicht schweigen, und wenn Verhandlungen geführt werden, und unsere Kinder, die durch humanitäre Korridore gehen, aus nächster Nähe erschossen werden; wenn unsere Städte und Flughäfen sowie Krankenhäuser bombardiert werden; ich glaube nicht an solche Verhandlungen.“

Ihr zentrales militärisches Anliegen ist eine Flugverbotszone, die eine Koalition der Willigen über dem ukrainischen Luftraum errichten soll. Das sei die Voraussetzung nicht nur für den Sieg, sondern auch für den Schutz der ukrainischen Zivilbevölkerung, betont die ukrainische Politikerin. Die Chancen auf Frieden schätzt Julia Timoschenko für sehr gering ein:

„Putin wird nicht aufhören; dieser Krieg ist sein Va-Banque-Spiel – da gibt es nur ein Entweder Oder. Wenn sie gewinnen, wird die Welt nicht mehr in der Lage sein, über die Werte zu sprechen, mit denen wir alle die Welt in unseren Herzen aufgebaut haben; dann wird nicht nur die Ukraine zerstört, sondern die ganze zivilisierte Welt. Das ist der entscheidende Kampf des schwarzen Bösen mit dem Teil der Menschheit, der auf der Seite des Lichts steht; dieser Krieg muss mit einem Sieg für die Kräfte des Guten, die Werte unseres Glaubens, die richtigen Ansichten über die Welt enden.“

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