Der große Krieg rückt näher
„Ist Krieg in Sicht“ – lautete am 9. April 1875 ein Artikel in der deutschen, regierungsnahen Zeitung „Post“; gemeint war damit nach nur vier Jahren ein neuerlicher Krieg mit Frankreich, das nach seiner Niederlage 1871 rasch erstarkt war. Möglich ist, dass der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck testen wollte, wie Russland und Großbritannien auf einen derartigen Krieg reagieren würden. Die Reaktionen waren eindeutig negativ, und Bismarck entwickelte darauf hin sein erfolgreiches außenpolitisches Konzept; er präsentierte Deutschland als saturierte Macht, versuchte Frankreich diplomatisch zu isolieren und pflegte das Bündnis mit Russland, um einen Zweifrontenkrieg vermeiden zu können.
Gewisse Assoziationen zu dieser Krise bietet auch die Lage in der Ostukraine; denn seit Wochen reden USA, Großbritannien und die NATO einen Krieg herbei, den Russland dementierte, und den die Ukraine in dieser Dimension bisher nicht als drohend ansah, während nun seit einigen Tagen, die Gefahr einer Ausweitung des Krieges in der Ostukraine tatsächlich nicht mehr von der Hand zu weisen ist. Dabei geht es nicht nur um den drastischen Anstieg von Feuergefechten an der 450 Kilometer langen Frontlinie in den vergangenen Tagen, sondern vor allem darum, wie die Separatisten-Gebiete von Donezk und Lugansk wohl unter Federführung Russlands reagiert haben. Denn die Evakuierung von Teilen der Bevölkerung aus diesen beiden „Volksrepubliken“ nach Russland sowie die ausgerufene Generalmobilmachung, tatsächliche oder inszenierte Anschläge auf die Infrastruktur in Lugansk und Donezk, schaffen die Bilder und die Atmosphäre, die die russische Führung möglicherweise braucht, um die eigene Bevölkerung von der „Unvermeidlichkeit“ eines militärischen Eingreifens zu „überzeugen“. Das führt zu einem weiteren historischen Anknüpfungspunkt zur Krise von 1875; denn es geht um die Frage, wie europäischen Staaten und die USA schließlich auf den Anspruch Russlands reagieren, als Großmacht anerkannt zu werden. Um diese Anerkennung zu erreichen, und eine weitere (schleichende) Integration der NATO zu verhindern, ist die russische Führung offenkundig bereit, alle Mittel einer psychologischen Kriegsführung anzuwenden, wobei die große Frage ist, ob es nun zu einem Krieg in der Ukraine kommen wird oder nicht. Ihr Präsident beklagte gestern bei der Sicherheitskonferenz in München, dass sein Land in der Frage der NATO-Ambitionen hingehalten werde und keine klare Perspektive habe. Diese Erkenntnis sollte an sich nicht neu sein, doch Konsequenzen hat die politische Führung in Kiew bisher daraus nicht gezogen. Vom Westen nur halbherzig unterstützt, und eindeutig der schwächere Staat im Verhältnis zu Moskau wird ein dauerhafter Frieden nur möglich sein, wenn Kiew und Moskau einen modus vivendi finden; dieser ist nicht in Sicht, wohl aber eine mögliche Ausweitung des Krieges in der Ostukraine mit unabsehbaren Folgen für das Land. Das Außenministerium in Wien hat daher alle Österreicher aufgerufen, das Land so rasch wie möglich zu verlassen; die AUA stellt ab 21.2. ihre Flüge ein; ob der Krieg nur in Sicht ist, oder tatsächlich kommen wird, werden die kommenden Tage zeigen.