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Kirchenkonflikt in der Ukraine

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Kleine Zeitung
Berichte Ukraine

Die Ukraine ist derzeit wohl das zentrale Thema der europäischen Sicherheitspolitik. Dabei geht es um die Stellung dieses Landes zwischen EU, NATO und damit den USA auf der einen und Russland auf der anderen Seite. Doch dieser Konflikt ist weit mehr als nur ein machtpolitischer; vielmehr geht es auch um die geistige Orientierung des Landes, das 300 Jahre von Russland beherrscht wurde. Als eine Bastion der russischen Welt gilt ihren Gegnern in der Ukraine die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche, die in einer breiten Autonomie mit dem Moskauer Patriarchat verbunden ist.   Sie ist zwar bei weitem die größte Religionsgemeinschaft der Ukraine, doch erschwert ihre Lage nicht nur der Konflikt zwischen Moskau und Kiew, sondern auch die Tatsache, dass der ökumenische Patriarch in Konstantinopel der Orthodoxen Kirche der Ukraine im Jahre 2019 die Autokephalie verliehen hat. Das führte zu einem massiven Konflikt mit der russisch-orthodoxen Kirche. Der Kirchenkonflikt in der Ukraine und um die Ukraine hat somit drei Dimension: eine innerukrainische, einen Konfliktebene zwischen Kiew und Moskau, sowie eine gesamtorthodoxe Dimension, weil es auch um einen Konflikt zwischen der russisch-orthodoxen Kirche in Moskau und dem ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, geht.

Zwangsvereinigung und Abspaltung von Kirchen hat auf dem Territorium der Ukraine eine lange „Tradition“ und stand stets unter dem Einfluss der politischen Großwetterlage. Dabei spielte zwangsläufig die Tatsache eine Rolle, dass Teile der Ukraine verschiedenen Staaten mit unterschiedlich dominanten Religionsbekenntnissen angehörten (Polnisch-Litauisches Großfürstentum, Habsburger Monarchie, Russisches Reich). Am stärksten war die Unterdrückung jedoch nach dem Sieg der Bolschewisten nach der Oktoberrevolution und nach dem Bürgerkrieg. Nach einer kurzen Phase der sogenannten Ukrainisierung unter Lenin verbanden sich dann der kommunistische Atheismus und russischen Bestreben die ukrainische Identität zu unterdrücken auch im Kampf gegen die ukrainischen Kirchen, die ein wesentlicher Träger der nationalen Identität waren und sind.

So erfolgte unter Stalin nach dem Anschluss der Westukraine an die Sowjetunion im Zuge des Molotow- Ribbentrop-Paktes (1939) und nach dem Sieg der Sowjetunion im II. Weltkrieg die Zwangsvereinigung zwischen der (mit Rom-unierten) Griechisch-Katholischen Kirche mit der russisch-orthodoxen Kirche. Nach dem Zerfall der UdSSR Ende 1991 zerbrach auch die kirchliche Zwangsehe, deren Scheidung von Konflikten insbesondere um das Kircheneigentum begleitet war. Wenn sich eine Pfarre insbesondere in Dörfern zum Übertritt zu einer anderen Konfession entschied, blieb der Rest meistens ohne eigenes Gebäude für das Lesen einer Messe.

Das Kiewer Patriarchat der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche bildete sich dann unter Filaret Denissenko, der von 1995 bis 2018 Patriarch dieser von der Weltorthodoxie nicht anerkannten Kirche war, die sich vom Moskauer Patriarchat abgespalten hatte. Somit gab es in der Ukraine mehrere Konfessionen, von denen jedoch die Ukrainisch-Orthodoxe-Kirche (des Moskauer Patriarchats) die bei weitem größte war und ist. Eine neue Dynamik und Bedeutung erhielt der Kirchenkonflikt in den Jahren, die auf die Annexion der Halbinsel Krim und den Beginn des Krieges in der Ostukraine im Jahre 2014 folgten. Aus dem russischen „Brudervolk“ wurde Schritt um Schritt der „Aggressor“, und diese Entwicklung traf zwangsläufig auch die Kirche des Moskauer Patriarchats; sie ist bis heute die einzige Organisation, die noch auf dem gesamten Territorium der Ukraine präsent ist, das bis zum Februar 2014 auch von Kiew kontrolliert wurde (Halbinsel Krim, prorussische Separatisten-Gebiete von Donezk und Lugansk). Daher ist diese Kirche – abgesehen von möglichen weltanschaulichen Sympathien („Russische Welt“) zum Lavieren gezwungen; dieser Bedarf fehlt bei den anderen Kirchen weitgehend, weil sie – vielleicht abgesehen von der Katholischen Kirche - auf der Krim sowie in Lugansk und Donezk entweder de facto in den Untergrund gedrängt wurden oder kaum mehr Gläubige haben, weil die meisten ausgewandert sind.

In der Hoffnung auf ein griffiges Wahlkampfthema und natürlich auch unter dem Einfluss ukrainischer Nationalisten betrieb Petro Poroschenko im Jahre 2018 massiv die Anerkennung der Autokephalie der „Orthodoxen Kirche der Ukraine durch den ökumenischen Patriarchen in Konstantinopel, der schließlich Ende 2018 den Tomos ausstellte, ein Akt, der in Moskau auf massive Ablehnung stieß und den schwersten Konflikt in der Orthodoxen Welt seit Menschengedenken auslöste. In der Ukraine selbst kam es neben Übertritt von Gemeinden aus dem Moskauer Patriarchat auch zum Kirchenraub. Poroschenko übte massiven Druck auf das Moskauer Patriarchat aus, das gesetzlich zur Namensänderung gezwungen werden sollte. Ein Verfahren beim Verfassungsgerichtshof in Kiew ist sein drei Jahren anhängig. Genutzt hat Poroschenko seine Kirchenpolitik nicht, weil das Thema nach Umfragen ein Randthema in der Ukraine ist, und so verlor er die Präsidentenwahl haushoch gegen den Kabarettisten und Schauspieler Volodimir Selenskij. Unter seiner noch andauernden Amtszeit schwächte sich der Konflikt ab, doch wurden Erblasten aus der Zeit seines Amtsvorgängers nicht beseitigt. Zwar ist das Moskauer Patriarchat was die Zahl der Kirchengemeinden betrifft nach wie vor mit Abstand die größte orthodoxe Kirche der Ukraine; doch, wenn eine Studie des Razumkow-Zentrums in Kiew stimmt, arbeitet die Zeit für die junge autokephale Kirche. Einerseits sollen die Anhänger der Ukrainisch-Orthodoxen-Kirche die ältesten Gläubigen der Ukraine sein (vor allem Frauen), zum anderen sollen sich nach dieser Untersuchung bereits doppelt so viele Christen zur neuen, eigenständigen Kirche bekennen als zum Moskauer Patriarchat. Das zeige auch das Ansehen der Kirchen-Oberhäupter; so sei das Vertrauen in Metropolit Epifani von der neuen Kirche deutlich höher als in Metropolit Onufri von der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats, erläutert Michajlo Mischenko vom Razumkov-Zentrum:

"Das hängt natürlich mit der Haltung des Moskauer Patriarchats zusammen; das zeigt sich auch daran, dass das Vertrauen in den russischen Patriarchen Kiril noch niedriger ist. Er ist der einzige Kirchenführer, bei dem nach unseren Umfragen das Misstrauen überwiegt. Das hat damit zu tun, dass die Russisch-Orthodoxe-Kirche de facto die Aggression gegen die Ukraine unterstützt hat, und die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats eine doppeldeutige Position einnimmt. Bekannt ist, dass im Jahre 2015 Metropolit Onufri bei einer Sitzung des ukrainischen Parlaments anwesend war und nicht aufgestanden ist, als eine Gedenkminute für die ukrainischen Soldaten abgehalten wurde, die in den Kämpfen in der Ostukraine gefallen sind."

Zwar haben die jüngsten Spannungen zwischen Russland und der Ukraine keinen unmittelbaren Niederschlag im Kirchenkonflikt gefunden; klar ist aber, dass die Zeit gegen das Moskauer Patriarchat in der Ukraine arbeitet, deren Nationsbildung und Abnabelung von Russland wohl ein unumkehrbarer Prozess ist.

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