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Corona und Kirchenkonflikte in der Ukraine

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Berichte Ukraine

Die Ukraine ist derzeit wohl das zentrale Thema der europäischen Sicherheitspolitik. Dabei geht es um die Stellung dieses Landes zwischen EU, NATO und damit den USA auf der einen und Russland auf der anderen Seite. Doch dieser Konflikt ist weit mehr als nur ein machtpolitischer; vielmehr geht es auch um die geistige Orientierung des Landes, das 300 Jahre von Russland beherrscht wurde. Als eine Bastion der russischen Welt gilt ihren Gegnern in der Ukraine die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche, die in einer breiten Autonomie mit dem Moskauer Patriarchat verbunden ist.   Sie ist zwar bei weitem die größte Religionsgemeinschaft der Ukraine, doch erschwert ihre Lage nicht nur der Konflikt zwischen Moskau und Kiew, sondern auch die Tatsache, dass der ökumenische Patriarch in Konstantinopel der Orthodoxen Kirche der Ukraine im Jahre 2019 die Autokephalie verliehen hat. Das führte zu einem massiven Konflikt mit der russisch-orthodoxen Kirche. Hinzu kommt seit mehr als zwei Jahren noch die Corona-Pandemie, die viele Orthodoxen Kirchen in der Welt vor große Herausforderungen stellt, weil sie weit größere Probleme als die Katholiken haben, strenge Maßnahmen gegen das Virus zu befolgen. Zu beiden Themen hat unser Ukraine-Korrespondent Christian Wehrschütz in der Ukraine recherchiert und für die heutige Praxis den folgenden Beitrag gestaltet:

Im Kampf gegen das Corona-Virus sieht die Lage in der Ukraine nach offiziellen Angaben folgendermaßen aus: knapp 15 Millionen oder 40 Prozent der gesamten Bevölkerung sind geimpft, doch weniger als 500.000 Personen haben auch die dritte Dosis erhalten. Mehr als 38.000 neue Fälle und 240 Corona-Tote wurden gestern registriert. Kein Vorbild im Kampf gegen die Pandemie waren und sind in vielen orthodoxen Ländern die Orthodoxen Kirchen, obwohl durchaus auch hochrangige Kirchenführer der Pandemie zum Opfer gefallen sind. Nach Ansicht des ukrainischen Religionswissenschaftlers Igor Koslowskij ist dieses Verhalten ein Ergebnis von Tradition und Kirchengeschichte:

Igor Koslowskij

16'21 - Orthodoxe Kirchen und Traditionalismus - 18'30'2(53)

„Eigentlich haben sich die Orthodoxen Kirchen seit dem 8. Jahrhundert nicht reformiert haben. Das erklärt die Bedeutung der Tradition. Im Gegensatz dazu war die Katholische Kirche immer wieder Reformen ausgesetzt; es gab 21 Konzilien und auch das Vatikanische Konzil. Hinzu kommen die Aktivitäten des Heiligen Stuhls, der durch Bullen und Enzykliken Botschaften an die Katholische Welt ausgesandt hat und aussendet. Auch die protestantischen Kirchen gehen mit der Zeit, während viele Orthodoxe Kirchen nicht reformierte Kirchen sind. Da gibt es viele fundamentalistische Traditionen sogar noch aus dem Mittelalter, die einfach nicht der heutigen Zeit entsprechen. Und das zeigt sich auch am Beispiel der Corona-Pandemie."

In der Ukraine unterschätzte vor allem die Ukrainisch-Orthodoxe-Kirche des Moskauer Patriarchats zu Beginn der Pandemie die damit verbundenen Gefahren; das habe sich geändert, betont Igor Koslowskij:

 

Igor Koslowskij

13'22 - MP und Corona - 14'05(38)

"Das Moskauer Patriarchat hat nicht mehr diese Rhetorik wie zu Beginn der Pandemie als es demonstrativ betont hat, dass kein Bedarf besteht, sich zu schützen. Jetzt ist man ebenfalls bemüht, die Maßnahmen zu befolgen, und Menschen haben auch selbst die Initiative ergriffen; so bestehen Distanzregeln und Mengenbeschränkungen, doch während der Feiertage beobachten wir große Menschenansammlungen, und nicht immer werden die Abstandsregeln eingehalten oder ihnen Beachtung geschenkt."

Im Gegensatz zu anderen Religionsgemeinschaften, die aktiv für eine Impfung eintreten, hat das Moskauer Patriarchat eine andere Haltung dazu. Sie erläutert der Pressesprecher der Ukrainisch-Orthodoxen-Kirche, Mikola Danilewitsch so:

Mikola Danilewtisch:

Pressesprecher der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche

3'31'9 - Keine Impfempfehlung durch die Kirche - 4'04'2(28)

"Wir betrachten diese Frage nicht als religiöse Angelegenheit. Da gibt es keine religiösen Elemente, was wichtig ist, weil manche an den Antichristen denken oder mit der Zahl des Teufels, mit 666, aus der Apokalypse in Verbindung bringen. Daher haben wir gesagt, dass das eine völlig medizinische Sache ist und keine religiöse."

Eine Statistik über die Zahl erkrankter Priester und Mönche hat keine Religionsgemeinschaft veröffentlicht. Klar ist aber, dass auch die Kirchen gelernt haben, mit der Pandemie zu leben, sagt Mikola Danilewitsch:

Mikola Danilewitsch:

1'12'4 - Gewöhnungseffekt und Kirchenbesuche - 2'27'7(46)

"Wir haben uns schon an die Pandemie gewöhnt, und die Kirche hat sich an diese Umstände angepasst. Zu Beginn sind die Kirchenbesuche tatsächlich zurückgegangen, und zwar um bis zu 15 Prozent. Nun steigt die Zahl der Gläubigen wieder, doch wir haben noch nicht das Niveau vor der Pandemie erreicht. Eine bestimmte Anzahl nutzt das Angebot von Online-Gottesdiensten; das sind vor allem ältere Menschen oder Familien mit Kindern. Wir fürchten uns nicht mehr vor der Pandemie, ja es erkranken hin und wieder Personen, doch viele sind schon geimpft; Angst und Panik wie teilweise zu Beginn gibt es nicht mehr, weil die Pandemie Teil unseres Lebens geworden ist."

Untersuchungen zeigen, dass die Religiosität in der Westukraine deutlich höher ist als in anderen Landesteilen; das mag auch damit zu tun haben, dass diese Gebiete dem Terror Stalins zwischen den beiden Weltkriegen nicht ausgesetzt waren, weil sie damals zu Polen gehörten. Umfragen zeigen jedenfalls, dass im Westen auch die Nutzung von Online-Gottesdiensten am höchsten ist, sagt Michajlo Mischenko vom Razumkov-Zentrum in Kiew:

Michajlo Mischenko

4'58'9 - Internet Gottesdienst - 6'40 (46)

"Die Teilnahme an Online-Gottesdiensten ist am zahlreichsten in der Westukraine; an erster Stelle liegen die Gläubigen der mit Rom unierten Griechisch-Katholischen-Kirche. Ihre Teilnahme ist deutlich höher als die aller andere Religionsgemeinschaften. Auch die Anhänger der Orthodoxen Kirche der Ukraine nutzen die Online-Gottesdienste, wenn auch weniger stark. Am geringsten ist diese Nutzung bei den Gläubigen der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats; das kann aber auch demographische Gründe haben. Die Gläubigen des Moskauer Patriarchats gehören am häufigsten der älteren Generation an und sind 60 Jahre und älter."

 

Generell ist auch in der Ukraine die Zahl der Gläubigen unter jungen Menschen am geringsten, betont Michajlo Mischenko:

 

Michajlo Mischenko

7'24'8 - Geschlecht und Alter - 8'30! (45)

"Die meisten Frauen weist die Ukrainisch-Orthodoxe-Kirche des Moskauer Patriarchats auf; etwa zwei Drittel aller ihrer Gläubigen sind Frauen und Angehörige der älteren Generation. Beim Moskauer Patriarchat fallen diese beiden Kategorien meistens zusammen, so dass älter Frauen die größte Gruppe ihrer Gläubigen bilden. Bei der Orthodoxen Kirche der Ukraine und bei der Griechisch-Katholischen Kirche sind die Gläubigen jünger; man muss aber sagen, dass generell in der Ukraine der Anteil der Gläubigen bei der jungen Generation am niedrigsten ist. Das ist eine Tendenz, die nicht nur für die Ukraine zutrifft."

Abgeschwächt hat sich der Kirchenkonflikt zwischen der Ukrainisch Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats und der Orthodoxen Kirche der Ukraine, die 2018 vom Ökumenischen Patriarchen in Konstantinopel des Status der Autokephalie erhielt. Vor allem der ehemalige ukrainische Präsident Petro Poroschenko übte massiven Druck auf das Moskauer Patriarchat aus, das gesetzlich zur Namensänderung gezwungen werden sollte. Ein Verfahren beim Verfassungsgerichtshof in Kiew ist sein drei Jahren anhängig. Zwar habe sich der Konflikt unter Präsident Volodimir Selenskij entschärft, doch die Erblast der Politik von Poroschenko wirke weiter, betont Mikola Danilewitsch:

Mikola Danilewitsch:

14'37'2 - Gesetz Problem Registrierung - 15'09'9 (22)

"Von unseren fast 12.500 Gemeinden sind etwa 1.000 nicht registriert. Sie bestehen von den Gläubigen bis zu den Kirchengebäuden, doch juristisch gibt es Probleme; sie sind für den Staat an sich größer als für die Kirche, weil die Gemeinden ja tätig sind."

Andererseits verzeichnete das Moskauer Patriarchat im Vorjahr keine Übertritte von Gemeinden zur Orthodoxen Kirche der Ukraine; das sei keine Überraschung, sagt der Religionswissenschaftler Igor Koslowskij, der der neuen autokephalen Kirche nahesteht:

Igor Koslowskij

700 Übertritt, insgesamt,

2'37'4 - Langer Prozess - 3'17'0 (27)

"Wir verstehen, dass das ein langwieriger Prozess ist; nationalorientierte, pro-ukrainische Gemeinden haben ihre Entscheidung schon getroffen. Doch es gibt auch viele Personen, die individuell entschieden haben, und jetzt einfach die Gottesdienste der Orthodoxen Kirche der Ukraine besuchen. Da gibt es viele Fälle, doch sie sind schwer zu quantifizieren."

Bemerkenswert ist, dass sich nach der Studie des Razumkow-Zentrums bereits doppelt so viele Christen zur neuen, eigenständigen Kirche bekennen als zum Moskauer Patriarchat. Das zeige auch das Ansehen der Kirchen-Oberhäupter; so sei das Vertrauen in Metropolit Epifani von der neuen Kirche deutlich höher als in Metropolit Onufri von der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats, erläutert Michajlo Mischenko vom Razumkov-Zentrum:

Michajlo Mischenko

17'32'5 - Vertrauen in Epifani größer - 18'52'7 (55)

"Das hängt natürlich mit der Haltung des Moskauer Patriarchats zusammen; das zeigt sich auch daran, dass das Vertrauen in den russischen Patriarchen Kiril noch niedriger ist. Er ist der einzige Kirchenführer, bei dem nach unseren Umfragen das Misstrauen überwiegt. Das hat damit zu tun, dass die Russisch-Orthodoxe-Kirche de facto die Aggression gegen die Ukraine unterstützt hat, und die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats eine doppeldeutige Position einnimmt. Bekannt ist, dass im Jahre 2015 Metropolit Onufri bei einer Sitzung des ukrainischen Parlaments anwesend war und nicht aufgestanden ist, als eine Gedenkminute für die ukrainischen Soldaten abgehalten wurde, die in den Kämpfen in der Ostukraine gefallen sind."

Die Corona-Pandemie wird irgendwann vorbei gehen und auch die Kirchen werden sie hinter sich lassen; doch die Zeit arbeitet gegen das Moskauer Patriarchat in der Ukraine, deren Nationsbildung und Abnabelung von Russland wohl ein unumkehrbarer Prozess ist.

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