Wirtschaftslage in der Ukraine
Die anhaltende internationale Krise um die Ukraine sowie die Möglichkeit eines umfassenden russischen Angriffs wirken sich natürlich auch auf die Wirtschaft der Ukraine aus. So klagte Präsident Volodimir Selenskij jüngst, dass ausländische Investoren bereits mehr als 400 Millionen US-Dollar aus der Ukraine abgezogen hätten; hinzukommt, dass kein ausländisches Unternehmen in ein Land längerfristig investiert, im dem ein großer Krieg ausbrechen könnte. Andererseits hat sich die Ukraine in den vergangenen zwei Corona-Jahren wirtschaftlich doch deutlich besser gehalten als erwartet, berichtet aus Kiew unser Ukraine Korrespondent Christian Wehrschütz:
Makroökonomisch weist die Ukraine für das Vorjahr vorzeigbare Daten auf. Die Staatsverschuldung liegt unter 50 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung, die Arbeitslosigkeit ist nicht stark gestiegen, der IT-Sektor blüht und die landwirtschaftlichen Exporte erzielten dank der stark gestiegenen Weltmarktpreise Rekorderlöse, der Bankensektor wurde reformiert, und die Währungsreserven sind so hoch wie schon lange nicht mehr. Auf den ersten Blick nur positiv wirkt auch das Wirtschaftswachstum von 3,6 Prozent; doch dieses Wachstum halten Wirtschaftsexperten und Ukraine-Kenner für viel zu niedrig, um den enormen Rückstand zu den Nachbarstaaten aus der EU verringern zu können; so sagt etwa der Professor der Georgetown Universität, Anders Aslund:
Anders Aslund: 2‘32‘2 - ABER zu Wirtschaftswachstum – 2‘57‘5
"Die Ukraine müsste jetzt normalerweise ein Wachstum von sieben bis acht Prozent pro Jahr aufweisen; sie ist das ärmste Land in Europa; abgesehen vom Jahre 2020 hat Moldawien, das davor das ärmste Land war, in den vergangenen sieben Jahren ein höheres Wirtschaftswachstum aufgewiesen als die Ukraine."
Doch warum ist das Wachstum nicht höher, und warum sind die echten ausländischen Direktinvestitionen so gering? Anders Aslunds Antwort lautet so:
Anders Aslund: 3'09'3 - Grundprobleme der Ukraine - 4'25'5
"Das Grundproblem ist, dass es keine Rechtssicherheit beim Eigentum gibt. Auch in diesen Tagen werden die Betriebe des größten Unternehmers des Landes, Rinat Achmetow, unter Druck gesetzt. Das erfolgt durch die Geheimpolizei SBU und durch die Staatsanwaltschaft auf eine klare politische Anstiftung durch den Staatspräsidenten hin, der beide Organe voll kontrolliert. Das geschieht in einem Augenblick als wir uns alle die Frage stellen, ob sich die Ukraine gegen Russland wird verteidigen können. Doch offenbar interessiert es den Präsidenten mehr, den größten Unternehmer und seinen Amtsvorgänger Petro Poroschenko anzugreifen. Unter diesen Umständen wird niemand bereit sein, in der Ukraine zu investieren, und das ist das Grundproblem, das die Regierung lösen muss."
Doch die Regierung hängt völlig von Volodimir Selenskij ab, der mit Achmetow und Poroschenko offensichtlich Gegner schwächen will, die seine Wiederwahl als Präsident gefährden könnten. Merkwürdig ist, dass Selenskij noch immer nicht auf das Angebot von Julia Timoschenko und ihrer Vaterlandspartei reagiert hat, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden. Aber vielleicht schätzt Selenskij die russische Bedrohung anders ein als Jo Biden und der Rest der westlichen Welt? Nach seinem morgen Treffen mit den Außenministern aus Österreich, Tschechien und der Slowakei werden wir hoffentlich mehr darüber wissen.