Religion Ukraine COVID und Krieg
In der Ukraine ist seit Freitag der zweite Lock down in Kraft; dauern wird er bis 24. Jänner. Abgesehen von Kindergärten sind alle Schulen und Universitäten geschlossen; das gilt auch für alle Restaurants, Kaffees und Märkte, wobei es für Märkte, die Lebensmittel verkaufen, gewisse Sonderregelungen gibt. Das Datum des Beginns des zweiten Lock downs ist nicht zufällig gewählt, denn er begann einen Tag nach dem Orthodoxen Weihnachtsfest. In der Ukraine sind die Religionsgemeinschaften in mehrfacher Hinsicht von der Pandemie betroffen; trotzdem gibt es zwischen den beiden großen Orthodoxen Bekenntnissen, der Ukrainisch-Orthodoxen-Kirche des Moskauer Patriarchats und der nationalbewussten Orthodoxen-Kirche-der-Ukraine, keine Zusammenarbeit. Vielmehr herrscht ein massiver Kirchenkonflikt, der auch Teil des politischen Konflikts zwischen der Ukraine und Russlands ist. Eine weitere Rolle spielt der Konflikt innerhalb der Welt-Orthodoxie; er wurde dadurch noch verstärkt, dass der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, die Selbständigkeit der Orthodoxen Kirche der Ukraine gegen den Willen Moskaus anerkannt hat. All diese Konflikte konnte auch das Corona-Virus nicht in den Hintergrund drängen, von dem auch alle Konfessionen in der Ukraine betroffen sind:
Berichtsinsert: Christian Wehrschütz
Schnitt: Mica Vasiljevic,
Kamera: Sascha Alexsejw, Wassilij Rud, Zurab Tedeluri
Insert1: Igor Koslowskij, Religionswissenschaftler in Kiew
Insert2: Dmitro Sawin, Direktor des Wohltätigkeitsfonds „Schutz und Mitleid“
Insert3: Erzbischof Ewstratij Zorja, Pressesprecher der Orthodoxen Kirche der Ukraine
Insert4: Mikola Danilewitsch, Pressesprecher der Ukrainisch-Orthodoxen-Kirche
Insert5: Erzbischof Ewstratij Zorja, Pressesprecher der Orthodoxen Kirche der Ukraine
Insert6: Erzbischof Ewstratij Zorja, Pressesprecher der Orthodoxen Kirche der Ukraine
Insert7: Mikola Danilewitsch, Pressesprecher der Ukrainisch-Orthodoxen-Kirche
Insert: Nina Dmitrewna, Bewohnerin von Donezk
Insert: Ilija Bewohner von Donezk
Insert: Nina, Bewohnerin von Donezk
Gesamtlänge: 8’
Die Corona-Pandemie hat die Kirchen in der Ukraine in mehrfacher Hinsicht getroffen: einerseits durch Erkrankungen von Priestern und Mönchen, sowie dadurch, dass weniger Gläubige Gottesdienste besuchen. Das hat materielle Folgen, die umso spürbarer sind, weil es in der Ukraine keine Kirchensteuer gibt:
"Die Kirche ist abhängig von wohltätigen Gaben sowie vom Verkauf von Kerzen, Devotionalien und Büchern; da gibt es Probleme, auch bei der Unterstützung von Priestern, die von ihren Pfarrmitgliedern leben; Corona hat sich auf die finanzielle Lage von Priestern ausgewirkt. Gestoppt wurde die Renovierung von Kirchen. Die Religionsgemeinschaften sprechen darüber nicht offen, doch es ist so."
Anderseits ist die soziale Aufgabe aller Kirchen nun viel wichtiger als vor der Pandemie. Millionen Ukrainer spüren die sozialen Folgen von Corona, und das in einem Land, in dem das staatliche soziale Netz mehr Lücken als Maschen aufweist. Zu den Hilfeleistungen zählen Volksküchen und Lebensmittelpakete, mit denen Bedürftige - unabhängig von ihrem religiösen Bekenntnis - unterstützt werden. Mangel herrscht in der Ukraine aber auch im Gesundheitswesen. Das gilt für PCR-Tests ebenso wie für den Schutz des medizinischen Personals und Geräte für Patienten, die mit Corona infiziert sind. Ein Beispiel für die kirchliche Hilfe, die auch dank gläubiger Mäzene, erfolgt, ist das Kreisspital in Odessa; es bekam 20 Geräte, die der Luft Sauerstoff entziehen, der bei der COVID-Behandlung eingesetzt wird. Die Kapazität des Spitals erhöhte die Spende um ein Drittel; das Geld stammt von Kirchen und Klöstern der Diözese sowie einer Stiftung:
"Diese Sauerstoff-Konzentratoren haben fast 30.000 Euro gekostet, Geld, das man sammeln musste. Doch die Hauptsache war, diese Geräte zu finden. Das ist am Markt jetzt leider sehr schwer; das ist so wie mit den Masken beim Lock down im März und April. Da gibt es einen Mangel. Leider horten einige Geschäftsleute diese Geräte und steigern die Preise. Vor einem Jahr kostete ein Konzentrator noch etwa 1000 US-Dollar, heute herrschen ganz andere Preise."
Obwohl in der Hafenstadt Odessa ebenso wie in der gesamten Ukraine bis zum orthodoxen Weihnachtsfest kein Lock down herrschte, sind deutlich weniger Personen auf den Straßen als in den Jahren zuvor. Online ist hoch im Kurs; so wurden und werden auch Gottesdienste über YouTube und andere soziale Netzwerke übertragen, doch gerade älteren Personen und auch am Land fehlt ein Zugang zum Internet. Bei Gottesdiensten gelten an sich Maskenpflicht und Abstandsregeln, die nicht überall streng befolgt werden. Empfohlen wurde auch, Ikonen nicht zu küssen. Das Spenden der Kommunion, wo traditionell nur ein Löffel benutzt wird, ist aus medizinischer Sicht problematisch. Im Kampf gegen das Virus ist nun eine andere Form erlaubt:
"Angewandt wird nun eine alte Form der Kommunionsspende, wie das im ersten Jahrhundert der christlichen Kirche üblich war. Der Leib Christi wird nicht mit einem speziellen Löffel gespendet, sondern dem Gläubigen in die Hand gegeben. Dabei bitten wir die Gläubigen, sehr darauf zu achten, dass dieser Teil des Leibes Christi nicht auf den Boden fällt oder auf andere Weise entweiht wird."
Unterschiedliche Positionen bestehen zur Corona-Impfung; die größte Religionsgemeinschaft, zu der auch die drei wichtigsten Klöster gehören, die Ukrainisch-Orthodoxe-Kirche des Moskauer Patriarchats, hat sich in dieser Frage noch nicht festgelegt:
"Darüber wir derzeit diskutiert. Tatsache ist, dass es Menschen gibt, die sich vor einer Impfung fürchten; bei uns sind das mehr Menschen als in Europa. Ich denke, diese Frage wird bald vom Heiligen Synod und auf der Ebene der Kiewer Metropolie erörtert, die sich dann klar äußern werden."
Dagegen hat die Orthodoxe Kirche der Ukraine, klar Stellung bezogen; das ist sehr wichtig, weil in der Ukraine Widerstände gegen Impfungen an sich sehr verbreitet sind:
"In unseren sozialen Medien haben wir eine Rubrik mit dem Titel: "Entlarvung der Mythen über die Orthodoxe Kirche“. Eine dieser Mythen, die wir versuchten zu überwinden, sind Einwände gegen das Impfen an sich. Aus religiöser Sicht gibt es keinen Einwand, sich impfen zu lassen. Doch in extremistischen, ultrakonservativen Kreisen, versucht man zu verbreiten, dass der christliche Glaube einer Impfung widerspricht. Diese Frage ist besonders aktuell, weil wir als Gesellschaft vor massenhaften Impfungen stehen; da werden wir auch mit den staatlichen Gesundheitsbehörden zusammenarbeiten."
Keine Zusammenarbeit gibt es zwischen der Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats und der Orthodoxe Kirche der Ukraine unter Metropolit Epifani; seine Gemeinschaft versteht sich als ein Träger der nationalen ukrainischen Identität. Ihr Ziel ist die völlige kirchliche Eigenständigkeit, die derzeit aber weltweit nur vier andere Orthodoxe Kirchen anerkannt haben. Verschärft hat den Kirchen-Konflikt der Krieg in der Ostukraine, der zur de facto Abspaltung der prorussischen Regionen um Donezk und Lugansk führte. Der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland hat somit auch eine kirchliche Dimension. Abgesehen vom Moskauer Patriarchat führen in den Rebellengebieten alle anderen Kirchen bestenfalls ein Schattendasein. Die kleine katholische Gemeinde feierte auch heuer am 24. Dezember die Mette; doch um die freie Religionsausübung der nationalbewussten ukrainischen Kirchen ist es schlecht bestellt:
"Unsere Kirche wirkt dort de facto im Untergrund, weil die sogenannten Volksrepubliken von Donezk und Lugansk von allen Religionsgemeinschaften eine Registrierung verlangen. Unsere Kirche erkennt diese Jurisdiktion und diese Gesetze nicht an, daher ist eine Registrierung nicht möglich. Daher besteht die ständige Gefahr der Verhaftung und der Beschlagnahme von Räumlichkeiten. die auch bereits stattgefunden hat. Somit finden Zusammenkünfte und Gebete wie in sowjetischer Zeit im Untergrund statt."
Der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats wird vorgeworfen, eine fünfte Kolonne Russlands zu sein und mit den prorussischen Separatisten zu sympathisieren; dieser Vorwurf wird entschieden zurückgewiesen:
"Das ist kein kirchlicher, sondern ein politischer Konflikt. Das ist eine soziale und politische Erschütterung der Ukraine, die durch Einmischung von außen zum Krieg führte. Die Kirche ist kein Gegenstand zwischenstaatlicher Beziehungen, von ihr hängt die Lösung des Konflikts nicht ab. Wir helfen geistlich, sozial und materiell. Die Priester leben mit den Sorgen der Menschen auf beiden Seiten der Front."
Im Krieg durch Beschuss beschädigt wurden auch Kirchen in den Rebellengebieten. Dazu zählt diese Kirche in Donezk, in der das orthodoxe Weihnachtsfest ebenfalls gefeiert wurde. Keinerlei Schutzmaßnahmen gegen Corona wurden befolgt, obwohl das Virus auch die Rebellengebiete nicht verschont hat. Fast sieben Jahre herrscht bereits Krieg; Friedenssehnsucht und Alltagssorgen prägen die Wünsche der Gläubigen:
2'03 - Frau Nina Dmitrewna 2'15
"Wir hoffen, dass es mit Gottes Hilfe besser wird. Das Leben ist schwer, die Krankheit, der Krieg."
1'31 - Junger Mann Ilja 1'48
"Ich hoffe, dass sich die Leute heuer daran erinnern, dass wir Brüder und Schwestern sind, ein slawisches Volk und dass wir einen Gott haben. Ich hoffe darauf, dass der Krieg endet."
2'29 zweite Frau -Nina 2'40
"Wir hoffen auf Gott, gehen in die Kirche und beten, dass es Frieden geben möge."
Traurig ist, dass die Pandemie die Gräben auf beiden Seiten der Front verstärkt hat. Der Sieg über das Virus könnte in Sicht sein, während politischer und religiöser Friede in der Ukraine weiter auf sich warten lassen.