Analyse des Ukraine Gipfels in Paris
Ukraine-Gipfel in Paris:
„Neuer Wein in alte Schläuche“?
Drei Jahre nach dem bisher letzten Ukraine-Gipfel im sogenannten Normandie-Format haben die Staats- und Regierungschefs aus Deutschland, Frankreich, Russland und der Ukraine nun in Paris einen neuen Anlauf genommen, um dem Friedensprozess in der Ostukraine ein neues „Moment“ zu verleihen, wie es Angela Merkl bei der Abschlusspressekonferenz formulierte. Um diese neue Dynamik zu wahren soll ein weiterer Ukraine-Gipfel binnen vier Monaten stattfinden. Bis dahin sollen die gestern getroffenen Vereinbarungen umgesetzt werden.
Dazu zählen Punkte, die für die Bevölkerung des Kriegsgebietes sehr wichtig sind. So soll die Trilaterale Kontaktgruppe bei den Friedensgesprächen in Minsk binnen Monatsfrist erreichen, dass weitere zwei Kontrollposten an der Frontlinie eröffnet werden; diese zwei Punkte dürften wohl jene im Kreis Lugansk sein, über die Kiew und Lugansk seit drei Jahren streiten. Die Eröffnung des Kontrollpunkts bei Zolote wurde bereits beim Ukraine-Gipfel vor drei Jahren vereinbart; die dazu nötige Infrastruktur hat bisher nur Kiew geschaffen, das wiederum die Eröffnung eines zweiten Punkts bei Schtastija ablehnt, der direkten Verbindung von der Rebellenhochburg Lugansk nach Norden. Zolote ist einer von drei Orten, an dem vor zwei Monaten eine Truppenentflechtung stattgefunden hat. Den Ort teilt die Frontlinie; um von einer Seite auf die andere zu kommen, brauchen die Bewohner derzeit statt 20 Minuten etwa 20 Stunden, statt fünf Kilometern sind 300 Kilometer zurückzulegen; dabei wird der Übergang bei Stanica Luganska genutzt, der nur zu Fuß passierbar ist; doch die Fußgängerbrücke wurde vor etwa einem Monat erneuert, eine wesentliche Erleichterung für die Zivilbevölkerung. Dieser Übergang wird auch für den Transport von Waren aller Art genutzt; Kiew und Lugansk lassen nun viel mehr Güter durch, wobei bedauerlich ist, dass beim Gipfel in Paris keine weiteren Vereinbarungen getroffen wurden, um die Wirtschaftsblockade stärker aufzuweichen, die Kiew unter dem nationalistischen Präsidenten Petro Poroschenko im Februar 2017 verhängt hat.
Vereinbart wurden in Paris aber weitere zwei wichtige Punkte. So soll so rasch wie möglich ein Gefangenenaustausch stattfinden und zwar auf der Basis der bisher auf beiden Seiten identifizierten Gefangenen; die Festlegung, wer diesen Status haben kann, und wer überhaupt ausgetauscht werden will, ist eine langwierige Prozedur; sie soll nun wohl auch dadurch erleichtert werden, dass das Internationale Komitee vom Roten Kreuz uneingeschränkten Zugang zu allen Gefangenen erhält; bisher scheiterte das am Widerstand der prorussischen Separatisten. Andererseits handelt es sich bei ukrainischen Gefangenen oft um Personen, die ukrainische Staatsbürger sind, aber für die Separatisten waren oder für sie gekämpft haben, und vielfach gar nicht ausgetauscht werden wollen.
Bestätigt hat der Gipfel, dass die OSZE-Beobachtermission in der Ostukraine uneingeschränkten Zugang zu allen Gebieten und zur russischen Grenze haben muss; ob diese Bewegungsfreiheit nun endlich umgesetzt wird, wird vor allem davon abhängen, wie sehr Russland auf seine Statthalter in Donezk und Lugansk Druck ausübt. Bestätigt hat der Gipfel Punkte, die in der Ukraine umstritten sind; dazu zählt, dass die sogenannte Steinmeier-Formel, benannt nach dem ehemaligen deutschen Außenminister und nunmehrigen Bundespräsidenten, Teil der ukrainischen Rechtsordnung werden muss. Diese Formel legt fest, in welcher zeitlichen Abfolge die Gesetze über den Sonderstatus für die Rebellengebiete, über ihre Amnestie und die Lokalwahlen zu beschließen und durchzuführen sind. Diese Wahlen sollen nun im Frühjahr 2020 stattfinden. Die Steinmeier- Formel ist in der Ukraine ebenso umstritten wie der gesamte Friedensplan von Minsk, dessen Umsetzung der Gipfel aber bestätigt hat. Nicht nur Russland, auch Deutschland und Frankreich beharren auf dem Friedensplan von Minsk, eine „bittere Pille“, die Kiew aber wird schlucken müssen, soll Frieden erreicht werden.
Wie weit die Positionen auseinanderliegen, zeigten die Schwerpunkte, die Vladimir Putin und Volodimir Selenskij bei ihren Stellungnahmen bei der Pressekonferenz setzten. Ihr Vier-Augen-Gespräch brachte auch keine Einigung in der Frage des Gastransits durch die Ukraine, der für die Versorgung der EU sehr wichtig ist. Der Vertrag läuft mit Ende Dezember aus. Für Volodimir Selenskij war der Gipfel eine doppelte Feuertaufe; einerseits stand er unter enormem innenpolitischen Druck; andererseits war er der absolute Politneuling bei einem derartigen Gipfeltreffen; dafür hat sich Selenskij nicht schlecht geschlagen.
Die überwiegende Mehrheit der Vereinbarungen, die der Gipfel in Paris beschlossen hat, sind nicht neu; neu sind der ukrainische Präsident (Volodimir Selenksij) und die Dynamik, die nun erzeugt werden soll, in dem eine Folgetreffen vereinbart wurde. Ob dieses „kosmische Fenster“ genutzt wird, werden die kommenden Wochen zeigen; da sind die Außenminister der vier Staaten, die politischen Berater der Staatskanzleien und die Verhandler in Minsk am Zug. Ihre Ergebnisse werden zeigen, ob in Paris nur alter Wein in neue Schläuche gegossen wurde, oder ob nun tatsächliche eine realistische Chance auf Frieden für die Ostukraine und ihre Bevölkerung besteht.