Die Lage in den Rebellengebieten
Mehr als fünf Jahre dauert nun schon der Krieg in der Ostukraine; zwar gibt es nun erste sichtbare Schritte, um die festgefahrenen Friedensverhandlungen in Minsk mit neuem Leben zu erfüllen, doch die Zeit arbeitet gegen eine Reintegration der prorussischen Rebellengebiete von Donezk und Lugansk in den ukrainischen Staatsverband. Denn je länger Krieg und Spaltung dauern, desto mehr entwickeln sich die Landesteile auseinander, desto stärker wird die Integration der Rebellengebiete in Russland. Das Leben in Lugansk und Donezk ist beschwerlich, viele Betriebe stehen still; am beschwerlichsten ist das Leben aber der Bevölkerung auf beiden Seiten der Frontlinie, weil die Feuerpause von beiden Konfliktparteien immer wieder gebrochen wird. Unser Ukraine-Korrespondent Christian Wehrschütz war jüngst wieder in der Ostukraine und hat eine Reportage über das Leben in diesen Rebellengebieten gestaltet:
Berichtsinsert: Christian Wehrschütz aus der Ostukraine
Insert1: Leonid Pasetschnik, Führer der sogenannten Volksrepublik von Lugansk
Insert2: Marina Tkatschenko, Schuldirektorin in Solotoe-5
Insert3: Ludmilla, Marktfrau in Lugansk
Gesamtlänge: 2’30
Anfang Oktober feierte die sogenannte Volksmiliz in Lugansk den fünften Jahrestag ihres Bestehens. Die Heerschau im sogenannten „Patriotischen Park“ zeigt, wie sehr sich die Ausstattung der prorussischen Kräfte mit Hilfe aus Russland geändert hat; eine militärische Lösung des Konflikts ist nun völlig unrealistisch. Die Heerschau dient auch der Stärkung des Durchhaltewillens der Bevölkerung:
„Ich bin überzeugt, dass dieses Territorium ein Zentrum wird für die militärisch-patriotische Erziehung der Jugend und ein Lieblingsplatz für die Erholung unserer Bürger. Das ist ein großes, wichtiges und notwendiges Geschenk für unsere Republik.“
Trist ist das Leben an der Frontlinie wie hier im Ort Solotoe-5. Die Waffenruhe brechen beide Konfliktparteien immer wieder, auf beiden Seiten ist die Abwanderung groß. Die Grundschule des Ortes zählt in den 10. Und 11. Klassen jeweils nur mehr vier Schüler; insgesamt besuchen noch 86 Kinder die Schule, die immer wieder von Granatsplittern getroffen wird. Neben dem Eingang dient ein Keller als Luftschutzkeller für Schüler und Lehrer. Die Schule ist auch das Verteilungszentrum für humanitäre Hilfe; zumeist sind es Grundnahrungsmittel, die an die Familien verteilt werden, Kartoffel, Zucker und Konserven. Die Wirtschaft liegt danieder:
"Es gibt keine Arbeit, die Betriebe stehen still. Manche haben irgendeine Arbeit mit Minimallohn, produziert wird hier nichts. In der Ortschaft arbeiten die Schule, das Krankenhaus und das Magistrat für kommunale Fragen, das ist alles."
In Lugansk ist die Lage weit besser, obwohl es auch in der Stadt Probleme mit der Wasserversorgung gibt. Der Markt zeigt, woher viele Waren stammen; die Schuhe kommen aus China und der Türkei, importiert wird über Russland. Die Grundnahrungsmittel werden selbst produziert, Versorgungsengpässe gibt es nicht, aber die Arbeitsmigration vor allem nach Russland, macht sich auch hier bemerkbar:
„Wir haben weniger Einwohner als Schuhe; auf jeden kommen 20 Paar Schuhe. Wir leben nicht sehr arm, wir sind reich. Berichten Sie, dass hier alles normal ist.“
In Lugansk und Donezk wurden in der ersten Oktoberhälfte Volkszählungen durchgeführt. Tausende Freiwillige gingen von Tür zu Tür, 25 Fragen waren zu beantworten. Die Ergebnisse sollen in sechs Monaten vorliegen. Sie werden zeigen, wie sehr Krise, Krieg und Migration das Leben in Lugansk und Donezk verändert haben.