Wiederaufbau und Streit um die Brücke Stanica Luganska
In der Ostukraine gibt es an der Frontlinie fünf Übergänge in die prorussischen Rebellengebiete. Vier Übergänge im Kreis Donezk sind mit dem Auto passierbar. Am schwierigsten für Zivilisten zu passieren ist Stanica Luganska auf dem Weg in die Rebellenhochburg Lugansk. Hier müssen die Menschen mehr als einen Kilometer zu Fuß gehen, weil ein Teil der Brücke zerstört ist. Über ihren Wiederaufbau und die dazu nötige Truppenentflechtung wurde vier Jahr lang zwischen Kiew und Lugansk gestritten. Doch nach dem Amtsantritt des neuen ukrainischen Präsidenten Volodimir Selenskij gelang die Vereinbarung, und die Vorarbeiten haben begonnen. Überschattet wird der Wiederaufbau durch das tiefe Misstrauen zwischen der ukrainischen Führung in Kiew und den prorussischen Rebellen in Lugansk. Die Brücke hat unser Ukraine-Korrespondent Christian Wehrschütz schon mehrfach besucht, jüngst auch von Lugansk aus. Hier seine Reportage über einen Wiederaufbau, der auch Hoffnungen auf Frieden insgesamt wecken könnte.
Etwa 30.000 Personen queren täglich die Frontlinie in der Ostukraine. Beim Kontrollposten Stanica Luganska, 30 Kilometer von der prorussischen Rebellen-hochburg Lugansk entfernt, queren täglich 8000 bis 10.000 Personen. Das Nadelöhr liegt etwa einen Kilometer vom ukrainischen Kontrollposten entfernt. Über zusammengezimmerte Holzplatten mit einem Geländer auf beiden Seiten geht es etwa zehn Meter hinunter, dann etwa 20 Meter gerade aus und auf der anderen Seite über die gleiche Holzkonstruktion wieder hinauf. Für alte Menschen, Behinderte und Mütter mit Kinderwagen ist das eine Tortur, die lange Zeit noch dadurch verschärft wurde, dass lokale Helfer für ihre Dienste drei Euro pro Person verlangten. Seit Beginn der Arbeiten an der Brücke hat sich die Lage gebessert. Jetzt sind offiziell Freiwillige im Einsatz die kostenlos beim Tragen helfen. Die Baustelle ist nun entmint und Arbeiten an einer Behelfsbrücke haben begonnen; sie soll gewährleisten, dass der Übergang offen bleibt, wenn die eigentlichen Bauarbeiten beginnen. Beobachtet werden die Arbeiten auf beiden Seiten von Mitgliedern der OSZE-Mission in der Ukraine; das ist gut, weil das Vertrauen zwischen den beiden Konfliktparteien praktisch nicht vorhanden ist. So ist etwa auch umstritten, welche Breite die Brücke haben soll, die nun gebaut werden soll. Lugansk ist für eine Breite von drei Metern, während Kiew 2,5 Meter plant. Dazu sagt die Vertreterin von Lugansk in der humanitären Arbeitsgruppe bei den Friedenverhandlungen von Minsk, Olga Kobzewa
"Wenn alten Menschen schlecht wird, brauchen sie medizinische Hilfe. Doch wenn die Breite der Fahrbahn nur 2,5 Meter beträgt, kann ein Rettungsauto dort nicht fahren, dazu muss die Breite drei Meter betragen."
Kiew argumentiert, dass bei einer Spurbereite von drei Metern auch gepanzerte militärische Fahrzeuge die Brücke nutzen könnten. Das bestreitet Lugansk, weil die Tragkraft des neuen Brückenteils nur fünf Tonnen betragen werde und die gesamte Brücke auf Lugansker Seite außerdem in schlechtem Zustand sei. Und was bedeutet all das für die Zivilbevölkerung, die die Brücke nutzen wird. Dazu sagt Olga Kobzewa:
"Auf ukrainischer Seite fährt die Strecke von 800 Metern vom Kontrollposten bis zur zerstörten Stelle ein Autobus. Auf unserer Seite wären der Einsatz von kleinen Elektroautos und die Hilfe von Freiwilligen des Roten Kreuzes möglich, die Personen im Rollstuhl helfen können. Doch ein ständiger Transport mit Bussen ist nicht möglich, weil die Brücke baufällig ist, und das wäre ein zu großes Sicherheitsrisiko."
Noch ist das letzte Wort in Stanica Luganska nicht gesprochen, auch was die Spurbreite betrifft. Sicher ist, dass für die Bevölkerung eine neue Brücke eine spürbare Erleichterung bedeuten wird. Doch die Debatten zeigen auch wie schwer es sein wird, für die Ostukraine eine Friedenslösung zu erreichen.