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Selenskij als Präsident und im Wahlkampf

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Berichte Ukraine

Kommenden Sonntag finden in der Ukraine vorgezogene Parlamentswahlen statt. Angeordnet hat sie Volodimir Selenskij, der vor knapp drei Monaten die Präsidentenwahl mit 73 Prozent haushoch gegen Amtsinhaber Petro Poroschenko gewonnen hat. In der Ukraine hat der Präsident weit mehr Vollmachten als in Österreich, doch um seine politischen Ziele umsetzen zu können, braucht er eine Mehrheit im Parlament. Die Parlamentswahl am Sonntag könnte für Selenskij ein wichtiger Schritt dahin sein, denn Umfragen sagen seiner Partei „Diener des Volkes“ etwa 40 Prozent der Stimmen voraus. Doch diese Partei lebt nur von der Popularität Selenskijs und von der Hoffnung auf einen politischen Neubeginn in der Ukraine. Als Präsident kann Selenskij keinen direkten Wahlkampf für seine Partei führen; trotzdem setzt er aber in der gesamten Ukraine viele Initiativen und ist medial stark präsent. Aus Kiew berichtet unser Ukraine-Korrespondent Christian Wehrschütz:

In der Ukraine tritt Volodimir Selenskij derzeit in verschiedenen Rollen auf; als Staatsmann beim EU-Ukraine-Gipfel vor einer Woche; als Vorkämpfer für den Frieden bei einem Besuch an der Frontlinie, und als klarer Verteidiger der Ukraine bei der Übung „Seebreeze“ unter NATO-Beteiligung. Wirklich Furore machten aber seine Auftritte vor Zöllnern im Karpatenvorland und in der Hafenstadt Odessa. Anlass dazu war ein Schlag ukrainischer und britischer Behörden gegen den Zigarettenschmuggel. Beschlagnahmt wurden 13 LKW-Ladungen an der ukrainischen Westgrenze und zwei Container in der Hafenstadt Odessa. Die Zigaretten wurden in illegalen Fabriken erzeugt, die Schachteln in einer Fabrik in Odessa gefälscht. Der massenhafte Schmuggel ist ohne korrupte Zollbehörden unmöglich. Im Karpatenvorland nahm sich Volodimir Selenskij vor laufender Kamera die Zöllner zur Brust und sagte:

„Sie haben fast alle die Chancen sich zu bessern. Doch das Land wird ein anderes sein; wir verstehen genau, dass wir einen Monat brauchen; ich möchte alle warnen, dass wir der jetzt nur den neuen Chef der Geheimpolizei haben und wir alle anderen Rechtsschutzorgane nicht kontrollieren, dieses Gefühl geht vorbei, und zwar nach der Parlamentswahl. Wir werden unsere Staatsanwaltschaft und normale Beziehungen mit der nationalen Polizei haben, glauben Sie mir. Daher schlage ich allen vor, wie normale Menschen zu arbeiten. Wir können auch ohne Sie, wenn sie nicht arbeiten wollen, dann kündigen sie.“

Im Falle von vier Zöllnern forderte Selenskij den Leiter der Finanzbehörde, Olexandr Wlasow, auf, eine Kündigung auszusprechen. Doch Wlasow kündigte nur zwei Personen, die anderen zwei gingen unter dem Vorwand familiärer Gründe auf Urlaub. Deswegen kam es wenige Tage später bei Selenskijs Besuch in Odessa zur Konfrontation mit dem ebenfalls anwesenden Wlasow. Als sich dieser wiederum vor laufender Kamera zaghaft zu rechtfertigen versuchte, unterbrach ihn Selenskij und herrschte ihn an:

„Glauben Sie wirklich, dass ich ein Idiot bin? „Halten Sie uns alle für Idioten hier? Ich möchte, dass Sie persönlich Ihre Kündigung schreiben und nicht auf Urlaub gehen. Denn Sie sind nicht in der Lage mit Personen umzugehen, die Ihnen unterstehen.“

In der ukrainischen Bevölkerung konnte Selenskij mit seinem Auftritt zweifellos punkten. Seinen Stilwechsel vom politischen Kabarettisten zum Präsidenten kommentiert in Kiew der Politologe Konstantin Bondarenko so:

"Seit den knapp drei Monaten seit seiner Wahl und nach der Angelobung ist Wolodimir Selenskij bestrebt zu verstehen, dass das Präsidentenamt kein Film ist, in dem man einen Präsidenten spielt. Somit sehen wir jetzt seine Transformation. Das sich Selenskij tatsächlich als Präsident fühlt, sahen wir bei seinem Gespräch mit den Zöllnern im Karpatenvorland. Dort sahen wir nicht mehr den Schauspieler, sondern bereits den Präsidenten Selenskij, der klare Anweisungen gab und mit den Zöllnern in einem Kommandoton sprach."

Doch die Kündigung von Zöllnern ist bestenfalls der erste Schritt auf dem steinigen Weg der Ukraine zum Sieg über die Korruption, die alle Lebensbereiche umfasst. Wie sehr Selenskij tatsächlich innen- wie außenpoltisch neue Akzente setzen kann, wird sich bereits wenige Monate nach der Parlamentswahl zeigen, wenn die neue Regierung gebildet und klar ist, welche Personen sie bilden werden.

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