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Die Lage der Binnenvertriebenen an der Frontlinie

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Berichte Ukraine

Fünf Jahre dauert der Krieg in der Ostukraine bereits; es ist ein vielfach vergessener Krieg in Europa, das durch Brexit, Finanzkrise und Migrationskrise in Anspruch genommen ist. Internationale Hilfsorganisationen klagen immer wieder über Geldmangel für die Ukraine, obwohl dort mehr als drei Millionen Menschen auf Hilfe angewiesen sind. Diese Hilfe betrifft aber nicht einmal nur Lebensmittel, sondern vielfach geht es auch um medizinische Versorgung, Hilfe zur Selbsthilfe und Rechtsbeistand; denn gnadenlos können nicht nur Artilleriebeschuss sondern auch Bürokratien sein; Rechtshilfe leistet auch die in der Hafenstadt Mariupol beheimatete Hilfsorganisation mit dem Namen „Verband der Frauen von Mariupol“. Mit ihr hat unser Ukraine-Korrespondent Christian Wehrschütz über die Probleme vieler Binnenvertriebener gesprochen; hier sein Bericht:

Marina Pugatschowa ist eine energische Frau und seit Kriegsbeginn in der Hilfe für Binnenvertriebene tätig. Ihr Verband der Frauen von Mariupol leistet Hilfe aller Art, von der medizinischen bis zur juristischen Betreuung. Die Rechtshilfe kommt sehr oft zum Einsatz, wenn der ukrainische Pensionsfonds wieder einmal Binnenvertriebenen auf ukrainischer Seite die Auszahlung der Pension verweigert; als Beispiel nennt Marina Pugatschowa folgenden Fall:

2'30 - Pensionen Binnenflüchtlinge - 3'26 (28)

"Jüngst hatten wir einen Fall, wo in einer Ortschaft 60 Personen sechs Monate keine Pension bekamen. Dort herrscht enorme Arbeitslosigkeit und Familien leben von der Pension. Wir konnten dank guter Juristen das Problem lösen. Doch hin und wieder ist auch ein Gerichtsurteil keine Garantie dafür, dass der Pensionist sein Geld bekommt. Dann muss man den Volksanwalt und andere Behörden einschalten."

Der Krieg hat eine de facto Grenze dort geschaffen, wo niemals zuvor eine Grenze war. Diese Grenze trennt nun auch Grundbesitz und führt zu einem Problem der Doppelbesteuerung besonderer Art auf beiden Seiten der Frontlinie, erläutert Marina Pugatschowa:

3'28 - Steuer für besetzte Gebiete - 4'01 (0’28)

"Eine ziemlich ernste Frage betrifft die Besteuerung von Grund und Boden. Die Eigentümer kommen mit der Frage zu uns, wie sie das mit der Besteuerung ihres Landes halten, das auf beiden Seiten der Frontlinie, also sowohl auf besetztem als auch auf nicht besetztem Gebiet liegt. Beide Seiten wollen Steuern eintreiben. Diese Fragen sind rechtlich nicht geklärt, und da treten dann unsere Juristen auf den Plan."

Doch der Krieg spaltet nicht nur Territorien, sondern auch Familien; Gewalt in der Familie kann auch politische Ursachen haben, und auch in derartigen Fällen wird dann die Hilfsorganisation von Marina Pugatschowa gerufen:

4'32 - Politischer Konflikt in der Familie - 5'23 (0’25)

"Vor kurzen hatten wir folgenden Fall: Frau und Tochter vertreten ein proukrainische Haltung, der Vater und der jüngere Sohn sind der Meinung, dass die ukrainische Seite mehr an dem Konflikt schuld ist. Dieser Streit eskalierte und der jüngere Sohn geriet mit seiner Mutter und Schwester aneinander. Das war eine Auseinandersetzung mit ernsthaften Folgen; unser Ärzteteam kam, um zu helfen.“

Nach fünf Jahren Krieg ist die Hoffnung auf Rückkehr und rasche Rückkehr zur Normalität unter den Binnenvertriebenen geschwunden; das wirkt sich auf die Lebensplanung aus. Die Änderungen beschreibt Marina Pugatschowa so:

7'41 - Binnenvertriebene Lage - 8'53 (0’36)

"Erstens wandern die Jungen in die großen Städte ab, während sie früher versuchten, in der Nähe ihrer Geburtsorte zu bleiben. Jetzt wandern sie ab und oft auch gleich ins Ausland. Warum, weil sie genug haben, zu warten. Personen mittleren Alters versuchen entweder abzuwandern, oder kehren in ihre Heimatorte zurück, wobei es ihnen gleichgültig ist, ob der Ort unter Beschuss liegt oder nicht. Das ist einfach die Erkenntnis vieler, dass sie nicht mehr zuwarten können.“

Diese Erkenntnis haben auch viele Pensionisten; nehmen sie ihre Verwandten auf, kommt es ebenfalls oft zur Abwanderung; fehlt diese Möglichkeit, fehlt Hilfe, ist oft Verzweiflung die Folge, die selbst bei sehr alten Menschen auch zum Selbstmord führen kann, sagt in Mariupol Marina Pugatschowa.

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