× Logo Mobil

Der Kabarettist als politischer Stern

Zeitung
Kleine Zeitung
Berichte Ukraine

Jörg Haider weiland in Österreich, Beppe Grillo und seine Fünf-Sterne-Bewegung in Italien, der frühere Kabarettist und Ministerpräsident Marjan Sarec in Slowenien und nun der politische Kabarettist Wolodimir Selenskij in der Ukraine – in vier sehr unterschiedlichen politischen Kulturen waren und sind Persönlichkeiten erfolgreich, die gegen die herrschende politische Klasse antreten. Denn es gibt auch gemeinsame Gründe für den Aufstieg. Dazu zählen erstarrte politische Systeme, die zentrale Anliegen weiter Teile der Bevölkerung negieren, gesellschaftliche Krisen und persönliche Faktoren. Zu nennen sind Charisma, schauspielerisches Talent und die Fähigkeit alle jene Mittel zur politischen Werbung zu nutzen, die soziale Netzwerke bieten. Wolodimir Selenskij führte einen ausgezeichneten Wahlkampf, dem Poroschenko, und Co nichts entgegenzusetzen hatten. In all diesen vier Ländern versagte auch die Stigmatisierung des „Anti-Politikers“ als Populist, Clown oder Komiker, ein Begriff den der Autor dieser Zeilen nun im Falle Selenskijs durch „politischen Kabarettisten“ ersetzt hat; das trifft den Beruf des 41-jährigen Ukrainers besser und es fehlt der abwertende Beigeschmack, obwohl die Bezeichnung Oligarch auch nicht zwangsläufig für das Amt des Staatspräsidenten qualifiziert.

Selenskijs Erfolg ist höchstens in seinem Ausmaß nicht aber dem Grunde nach überraschend. Er sprach vier Wählergruppen an: Jungwähler, Wähler, die die politische Klasse satt haben, russische-sprachige Ukrainer, die Poroschenkos nationalistische Rhetorik und Politik ablehnen, sowie Wähler in der Nähe der Kriegsgebiete der Ostukraine; ihnen fehlte nach der Spaltung des „prorussischen Blocks“ eine klare Führungsfigur; außerdem waren sie von Poroschenko enttäuscht, der binnen fünf Jahren vom Friedensbringer zu Kriegspräsidenten mutiert ist. Gewonnen hat Poroschenko im ersten Durchgang auch nur in drei Kreisen im Westen, in denen das ukrainische Nationalbewusstsein besonders stark ausgeprägt ist. Statt der absoluten Mehrheit wie vor fünf Jahren erreichte der Amtsinhaber nur mehr 16 Prozent, das ist etwa die Hälfte der Stimmen, die Selenskij gewann. Die breite Masse der Bevölkerung spürt die Reformen nicht im eigenen Geldbörsel, die Korruption ist weit verbreitet und Poroschenkos Umgebung war und ist in Skandale verwickelt. Trotzdem hat der Amtsinhaber noch immer Chancen auf seine Wiederwahl, denn drei Wochen bis zur Stichwahl sind eine lange Zeit. Die Tatsache, dass 80 Prozent der Ukrainer am Sonntag für oppositionelle Kandidaten stimmten, sollte aber auch den USA und der EU zu denken geben. Gegen Wladimir Putin zu sein, ist keine Garantie für Rechtsstaat und Marktwirtschaft, beides Grundvoraussetzungen dafür, dass die Ukraine den ihr gebührenden Platz in einem vereinten Europa auch einnehmen kann.

Facebook Facebook