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Die Ukraine wählt neuen Präsidenten

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Kleine Zeitung
Berichte Ukraine

Stell Dir vor, es gibt eine Fernsehdebatte der drei Spitzenkandidaten für die Präsidentenwahl – und keiner geht hin! So geschehen im öffentlich-rechtlichen Fernsehsender NTU vorgestern in Kiew. Im Studio versammelt waren zwei Moderatoren, Experten und Journalisten; doch der in Umfragen führende Komiker Wolodimir Silenskij und Amtsinhaber Petro Poroschenko kamen nicht. Mit Poroschenko kämpft die frühere Ikone der Organgenen Revolution, Julia Timoschenko, um den Einzug in die Stichwahl. Timoschenko tauchte im Studio auf und verkündete, dass sie bereit zur Debatte gewesen wäre, doch allein wolle sie sich den Journalistenfragen nicht stellen. Auf Fragen, warum sie nur in von Oligarchen kontrollierten TV-Sendern mit Gefälligkeitsfragen auftrete, wollte Timoschenko ebenso wenig antworten wie auf die Frage nach der Finanzierung ihres Wahlkampfes. Journalisten hatten aufgedeckt, dass fiktive Firmen und einfache Kassiererinnen als Spender von umgerechnet 50.000 Euro ausgewiesen wurden, die im Monat nicht einmal 500 Euro verdienen. Timoschenko ging nach sieben Minuten und vertröstete die Anwesenden auf die Zeit bis zur Stichwahl.

Einer der beiden Moderatoren trug ein Ruderleiberl, mit der Aufschrift: „The show must go on“. Tatsächlich wird die Show weitergehen, denn fest steht bereits jetzt, dass kein Kandidat die absolute Mehrheit gewinnen wird, so dass in drei Wochen die Stichwahl zwischen den beiden Erstplatzierten stattfinden wird. Wer das sein wird ist offen, denn diese Präsidentenwahl ist in der 28-jährigen Geschichte der unabhängigen Ukraine die Wahl mit dem bisher ungewissesten Ausgang. Wenn die Meinungsforscher aber nicht völlig danebenliegen, dürfte der Komiker Wolodimir Selenskji sicher in die Stichwahl einziehen. Er führt die Gruppe „Quartal-95“, die im Sender des Oligarchen Igor Kolomojskij mit einem Showprogramm auftritt. Kolomojskij ist derzeit nicht in der Ukraine, sondern er soll vor allem in der Schweiz oder in Israel leben. Der Oligarch ist ein erklärter Gegner von Präsident Petro Poroschenko, weil er die Bank des Oligarchen verstaatlichte, die die Ukraine um Milliarden US-Dollar geschädigt haben soll. Selenskij bestreitet diese Verbindung. Der 40-jährige wurde durch Filme mit dem Titel „Diener des Volkes“ bekannt; darin spielt er einen Lehrer, der von Oligarchen zum Staatspräsidenten gemacht wird, sich aber dann tatsächlich für das Volk einsetzt. Sein Wahlkampf ist hoch professionell, Show und politische Botschaften vermischen sich. Selenskij ist der Kandidat all jener, die die politische Klasse in der Ukraine satt haben; dazu zählen viele junge Wähler, die aber weniger diszipliniert zur Wahl gehen als ältere Menschen.

Ganz auf die nationalistische Karte setzte Petro Poroschenko, auch aus Mangel an Erfolgen, die der einfache Bürger im Geldbörsel spüren könnte. Außerdem löste Poroschenko sein Versprechen nicht ein, den Krieg in der Ostukraine zu beenden. Vielmehr wurde sein Wahlkampf durch einen Skandal in der Rüstungsindustrie überschattet, in den enge Weggefährten des Präsidenten verwickelt sein sollen. Der Krieg ist die größte Sorger der Ukrainer, doch abgesehen von sogenannten „prorussischen“ Kandidaten präsentierte kein Bewerber ein klares Konzept für eine Friedenslösung. Poroschenko selbst präsentierte sich als kompromissloser Verteidiger der Ukraine gegen Russland, als Antipode zu Wladimir Putin, des Wahlkampfslogan aus dem Jahre 2012 Poroschenko kopierte und plakatierte: „Kandidaten gibt es viele, aber nur einen Präsidenten.“

Tatsächlich treten 39 Bewerber an, so viele wie nie zuvor bei einer Präsidentenwahl. Ein Grund dafür ist, dass im Herbst das Parlament neu gewählt wird; die Präsidentenwahl dient somit auch als Stimmungstest für die Parteien. Anderer Bewerber sind sogenannte „technische Kandidaten“, deren Vertreter in den Wahlkommissionen in der Vergangenheit bei der „Korrektur“ von Ergebnissen eine Rolle spielten. Eine besondere Rolle dürfte Juri W. Timoschenko haben, der Namensvetter von Julia W. Timoschenko. Beide stehen auf dem Stimmzettel hintereinander, was Wähler verwirren könnte, denn Juri ist ein Bewerber ohne realen Wahlkampf und Chancen. Julia Timoschenko tritt nun zum dritten Mal zu einer Präsidentenwahl an. Sie verspricht einen neuen politischen und wirtschaftlichen Kurs. Ob man ihr eine Wende nach 20 Jahren politischer Tätigkeit in der Ukraine zutraut ist fraglich.    

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