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Gerüchteküche um Wahlbetrug und die Realität

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Berichte Ukraine

Am Sonntag wird in der Ukraine der Präsident neu gewählt. Eine absolute Mehrheit ist für keinen Kandidaten in Sicht. In allen Umfragen führt der Komiker Wolodimir Selenskij; um den zweiten Platz kämpfen Amtsinhaber Petro Poroschenko und Julia Timoschenko, die einstige Heldin der Organgenen Revolution. Doch Umfragen sind in der Ukraine mit besonderer Vorsicht zu genießen, daher könnten auch noch ein bis zwei weitere Bewerber Chancen auf den Einzug in die Stichwahl haben. Überschattet wird der Wahlkampf nicht nur durch Korruptionsaffären, sondern auch durch Vorwürfe des massiven Stimmenkaufs, den die Lager von Timoschenko und Poroschenko gegeneinander erheben. Über den Wahlkampf in der Ukraine berichtet unser Korrespondent Christian Wehrschütz

Auch in der Ukraine hat die politische Führung weit mehr Möglichkeiten, Wähler geneigt zu stimmen als oppositionelle Kandidaten. So wird Präsident Petro Poroschenko und seiner Regierung vorgeworfen, die Auszahlung von Sozialleistungen, die bisher bargeldlos erfolgte, nun bewusst in eine Barauszahlung umgewandelt zu haben, um auf diese Weise Bürger beeinflussen zu können. Außerdem sollen die Teams von Petro Poroschenko und Julia Timoschenko versuchen, Wähler mit finanziellen Zusagen zu kaufen. Beide Lager weisen diese Vorwürfe entschieden zurück. Selbst wenn sie stimmen sollten, wird die Freiheit des Wählers dadurch nicht eingeschränkt, weil er den Stimmzettel allein ausfüllt. Weit schwerwiegender können Manipulationen am Wahltag oder nach Wahlschluss sein. Eine Methode erläutert in Kiew Michael Ochendowskij, der von 2013 bis 2018 Vorsitzender der Zentralen Wahlkommission war:

"Meiner Ansicht nach gewannen bei der Parlamentswahl 2014 in einigen Mehrheitswahlkreisen Personen, die nicht die Mehrheit der Stimmen erhalten haben. Wie ging das? Nach Auszählung der Stimmen wurden in einigen Wahllokalen einfach die Ergebnisprotokolle umgeschrieben und von der Mehrheit der Wahlkommissionen abgezeichnet. Ein Beispiel: in einem Wahllokal wählten 295 Personen; zu dieser Zahl wurde vorne einfach eine eins dazugeschrieben, und die Beteiligung um 1000 Personen erhöht. Wenn jetzt der begünstigte Kandidat nur 55 Stimmen hatte, wurden ihm die überzähligen 1000 Stimmen gutgeschrieben und er hatte dann plötzlich 1055 Stimmen."  

Die Zentrale Wahlkommission wollte im November 2014 eine Neuauszählung in diesen Wahllokalen durchführen; diese Überprüfung wurde durch Gerichtsbeschluss untersagt, und die Kommission musste auf der Basis dieser Protokolle das Endergebnis verlautbaren. Gescheitert sei auch der Versuch der Zentralen Wahlkommission, diese Möglichkeit des Betruges zu beseitigen, sagt Michael Ochendowskij:

"Wir schlugen vor, dass alle lokalen Wahlkommissionen mit Computern arbeiten. Dann hätten diese Kommissionen sofort nach der Auszählung alle Daten in ein computerisiertes System eingetragen, auf das die Zentrale Wahlkommission online sofort Zugriff gehabt hätte. Damit wäre es unmöglich gewesen, dass Protokolle auf dem Weg zur Bezirkswahlbehörde oder dort selbst manipuliert werden. Das Projekt der Computerisierung haben wir unserem Parlament vorgelegt, doch alles blieb bis heute totes Papier, weil offensichtlich der politische Wille fehlt."

Ochendowskij ist derzeit im Stab eines der Kandidaten für die Präsidentenwahl tätig. In der Ukraine war die politische Führung stets bestrebt, die Wahlkommission auf allen Ebenen zu ihrem Vorteil zusammenzusetzen. Umso wichtiger werden daher internationale und lokale Beobachter sein, damit der korrekte Ablauf der Präsidentenwahl gewährleistet werden kann.

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