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Die Ukraine vor der Präsidentenwahl

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In der Ukraine wird am 31 März der Präsident neu gewählt. 38 Kandidaten treten an, das ist ein Rekord, der auch damit zu tun hat, dass viele Bewerber sich für die Parlamentswahl in Stellung bringen möchten, die im Herbst stattfinden wird. Die Vielzahl an Kandidaten wirkt hat aber auch machtpolitische und wahltaktische Gründe. So kandidiert auch bisher fast unbekannter Politiker, der Juri Wolodimirowitsch Timoschenko heißt und Abgeordneter der Regierungskoalition im Parlament ist. Auf dem Stimmzettel wird er mit denselben Initialen aufscheinen wie Julia Wolodimiriwna Timoschenko, die einzige Ikone der Organgenen Revolution. Julia Timoschenko beschuldigt denn auch Staatspräsident Petro Poroschenko, ihren Namensvetter nur ins Rennen zu schicken, um ihre Chancen auf den Einzug in die Stichwahl zu schmälern, die am 21, April stattfinden wird. Nach Umfragen liegen Timoschenko und Poroschenko in der Wählergunst auf dem zweiten oder dritten Platz und kämpfen um den Einzug in die Stichwahl. In Führung liegt demnach der Komiker Volodimir Selenski, der Kandidat all jener, die das politische Establishment satt haben. Über den Wahlkampf und die Chancen der wichtigsten Kandidaten berichtet nun unser Ukraine-Korrespondent Christian Wehrschütz:

Show und Wahlkampf gehen bei Auftritten von Wolodimir Selenskij Hand in Hand. Er ist die Führungsfigur der Gruppe mit dem Namen „Bezirk 95“, die in der ganzen Ukraine durch ihre politischen Satiren bekannt ist. Bei den Auftritten der Gruppe ist oft ein Lied zu hören, in dem Selenskij die Geschichte der unabhängigen Ukraine Revue passieren lässt, aber auch zum selbständigen Handeln auffordert. So heißt es in dem Text: „Such keine Schuldigen außer Dir selbst, wichtig ist die Ordnung in deinem Kopf, das Land gestaltet niemand außer Dir.“

Umfassend populär wurde der Schauspieler, Komiker und Drehbuchautor durch seine Filme mit dem Titel „Diener des Volkes“. Darin spielt Selenskij einen Durchschnittsbürger, der von Oligarchen zum Staatspräsidenten gemacht wird, sich aber im Amt emanzipiert und dem Volk zu dienen versucht. Wolodimir Selenskij führt mit Abstand den professionellsten Wahlkampf in der Ukraine; der 41-jährige nutzt die sozialen Netzwerke für seine Video-Botschaften optimal, in denen Themen vom illegalen Holzschlag über die Kritik an der politischen Elite bis hin zum würdevollen Gedenken an die Maidan-Revolution verpackt werden. In einem Spot steht Selenskij auf einer Brücke, hält eine große Tasche in der Hand und sagt:    

„In dieser Tasche habe ich Sachen, die ich euch nicht nenne; doch wenn ihr die Sachen kauft, dann wird euer Leben viel leichter und ihr viel reicher werden. Natürlich kauft ihr nicht; doch sagt mir, warum funktioniert dieses Prinzip dann in der Politik, warum wählen wir auch nach 28 Jahren Politiker, die wir gar nicht kennen. Das Volk hat das Recht zu wissen, wen es zum Präsidenten wählt. Daher will ich euch unser Wahlprogramm live zeigen; ihr könnt alles sehen, wer sind wir, wie bereiten wir unser Programm vor, wie wählen wir unser Team aus, wie sammeln wir Geld; und am wichtigsten: wie man Präsident wird und ein Mensch bleibt.“

Selenskijs politische Gegner stempeln ihn zu einer Marionette des Oligarchen Igor Kolomaiskij, der derzeit im Ausland lebt und die Ukraine um viel Geld geprellt haben soll. Diesen Vorwurf weist Selenskij zurück. Sehr oberflächlich ist sein politisches Programm, ein Mangel an Präzision, den der Schauspieler auch mit anderen altgedienten Politikern teilt. Klar sind seine Bekenntnisse zu einem EU- und NATO-Beitritt der Ukraine; um den Krieg in der Ostukraine zu beenden hält Selenskij Verhandlungen mit Russland für unvermeidlich. In Umfragen liegt der Schauspieler klar an erster Stelle, aber weit entfernt von einer absoluten Mehrheit. Selenskijs Wähler beschreibt in Kiew der Politologe Konstantin Bondarenko so:

"Er wendet sich vor allem an Wähler der Opposition, an Wähler, die von allen Politikern enttäuscht sind oder an junge Wähler. Die Mehrheit dieser Wähler ist bis zu 40 Jahre alt. Am besten kommt Selenskij im Osten und im Süden der Ukraine an, wo vorwiegend russisch gesprochen wird. Diese Wähler waren nicht für die Maidan-Bewegung und die jetzige Führung in Kiew. Selenskij wird weniger als Vertreter einer konkreten Politik angenommen, sondern als Antiheld, als wahrheitsliebend, als Person, die ein verantwortungsvoller Präsident wäre."

Selenskij ist kein Nationalist; auf die Frage nach der Nationalidee der Ukraine antwortete er: „wohlhabende Ukrainer“. Im Gegensatz dazu setzt Präsident Petro Poroschenko ganz auf die nationalistische Karte. Poroschenkos politischer Dreiklang lauten „Armee, Sprache, Glaube“. Angesichts der 38 Bewerber plakatiert Poroschenko: „Kandidaten gibt es viele, Präsidenten einen“. Dieses Motto verwendete bereits der russische Präsident Wladimir Putin im Jahre 2012 im Wahlkampf. Mit demselben Motto präsentiert sich Poroschenko nun als der einzig wahre Anti-Putin und verkündet:

„Wir Ukrainer sind ein stolzes, freiheitsliebendes und friedliches Volk. Wir beanspruchen keinerlei fremdes Gebiet, doch wir werden niemals unser Land hergeben. Wir werden darum kämpfen, dass unsere Flagge und Souveränität in das besetzte Gebiet zurückkehren. Wir geben weder die Krim noch das Donezk-Becken her, auch nicht das Asowsche Meer. Putin fürchtet uns, weil wir frei sind.“

Doch nationalistische Parolen machen nicht satt; als Abstimmung mit den Füßen kann die massive Arbeitsmigration gewertet werden, die weit mehr als zwei Millionen Ukrainer binnen fünf Jahren nach Polen und in andere Staaten trieb, auf der Suche nach besserem Leben und Stabilität. Bescheiden sind auch Poroschenkos Ergebnisse im Kampf gegen die Korruption. Trotzdem halten ihm führende EU-Mitglieder weiter die Stange, während einstige ukrainische Weggefährten Poroschenkos den Rücken kehrten. Dazu zählt der Journalist und nunmehr fraktionslose Abgeordnete Sergij Leschtenko, der auch den Westen kritisiert:

"Das ist Doppelmoral, wenn der Westen beginnt die Augen davor zu verschließen, dass Gesetze verletzt werden, Korruption herrscht, und Stimmen gekauft werden. Nötig ist eine größere Neutralität des Westens; sie hat in den vergangenen Wochen zugenommen. Das mag damit zu tun haben, dass der Verfassungsgerichtshof auf Antrag von Abgeordneten die Paragraphen für verfassungswidrig erklärt hat, die gesetzwidrige Bereicherung unter Strafe stellen. Möglicherweise haben nun viele im Westen verstanden, dass Poroschenko ein unzuverlässiger Partner ist, der den Westen ebenso betrügt wie seine eigenen Bürger.“

Wenn dem so ist, warum hat dann Poroschenko noch immer eine Chance auf den Einzug in die Stichwahl. Nach Umfragen jedenfalls liefern sich Poroschenko und die einstige Ikone der Orangenen Revolution, Julia Timoschenko , ein Kopf an Kopf Rennen um Platz zwei hinter Wolodimir Selenskij. Der Politologe Konstantin Bondarenko bietet folgende Erklärung an:

"Das Volk misstraut Petro Poroschenko aber gleichzeitig misstraut es seinen Gegnern noch mehr. Das ist das große Dilemma der ukrainischen Wähler, die bestrebt sind, das geringere Übel zu wählen. Hinzu kommt, dass sich gewisse Wählerschichten einfach davor fürchten, dass Selenskij oder Timoschenko an die Macht kommen, dass dann mit harter Hand regiert wird, und es zu Änderungen kommt."

Julia Timoschenko hat noch ein weiteres Handicap zu tragen. Sie ist seit mehr als 20 Jahren in der Politik und verkörpert kaum ihren Anspruch, frischen Wind gewährleisten zu können. Dabei war es gerade Timoschenko, die programmatische Alternativen anzubieten suchte, von einer neuen Verfassung bis hin zu einer Beschäftigungsinitiative, um junge Ukrainer stärker im Land zu halten. Doch konkrete Inhalte waren bisher Mangelware im Wahlkampf; dazu sagt Julia Timoschenko  

"Wir verstehen, dass derartige inhaltliche Debatten die Machthaber heute nicht brauchen und führen wollen. Nach der Revolution der Würde am Maidan wurden einige alte Strukturen zerbrochen, doch das alte System, hat bei uns überlebt; damit meine ich nicht nur das von Viktor Janukowitsch, sondern das System, das sich in den vergangenen 15 bis 20 Jahren gebildet hat."  

Was aus diesem System wird, wird die Präsidentenwahl nur teilweise entscheiden. Für umfassende Reformen braucht der Präsident eine klare Mehrheit im Parlament, die derzeit fehlt. Erst die Parlamentswahl im Herbst wird somit Klarheit bringen, welche Perspektive die Ukraine hat, ein moderner europäischer Staat zu werden.  

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