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Bondarenko zur politischen Lage in der Ukraine

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Berichte Ukraine

In der Ukraine beginnt Bundespräsident Alexander Van der Bellen heute den offiziellen Teil seines Staatsbesuches. Höhepunkt des Programms in Kiew ist ein Treffen mit Staatspräsident Petro Poroschenko. Die Van der Bellen begleitende Außenministerin Karin Kneissl wird dabei heute ein Abkommen über kulturelle und wissenschaftliche Zusammenarbeit unterzeichnen. Gestern traf Van der Bellen in Kiew mit Vertretern der ukrainischen Zivilgesellschaft und mit österreichischen Investoren in der Ukraine zusammen. Die ausländischen Direktinvestitionen sind weiter gering, nicht nur wegen des Krieges in der Ostukraine, sondern auch wegen der schleppenden Reformen, etwa im Kampf gegen Korruption und Bürokratie. Über die Lage in der Ukraine und ihr Verhältnis zu Russland hat unser Korrespondent Christian Wehrschütz mit dem Politologen Kost Bondarenko gesprochen; hier sein Bericht:

Monatelang nervte der sogenannte Micho-Maidan vor dem Parlament in Kiew die Autofahrer, weil die Sperre einer stark befahrenen Straße noch größere Staus verursachten als sie in Kiew ohnehin an der Tagesordnung sind. Während der Namensgeber, der Oppositionspolitiker und georgische Ex-Präsident Michail Saakashvili nach einem monatelangen politischen Zirkus schließlich Ende Februar ins Ausland abgeschoben wurde, räumte die Polizei schließlich Anfang März auch die Zeltstadt der Demonstranten vor dem Parlament. Diese Räumung könnte ein Indiz dafür sein, dass zwei der wichtigsten Politiker und Koalitionspartner der Ukraine, Präsident Petro Poroschenko, und Innenminister Arseni Awakow, nun wieder eine gemeinsame Linie gefunden haben. Dazu sagt in Kiew der Politologe Kost Bondarenko:

"Der Micho-Maidan war ein Fehlstart oppositioneller Kräfte; als die Energie dieser Kräfte verbraucht war, haben Präsident und Innenminister gehandelt, und zwar auch unter der schweigenden Zustimmung der großen Mehrheit der Bevölkerung. Politisch versteht Innenminister Awakow sehr gut, dass er nicht mehr Innenminister sein würde, sollte bei der Präsidentenwahl im kommenden Jahr Julia Timoschenko siegen. Daher haben sich Awakow und Poroschenko zu einem Zweckbündnis zusammengefunden, und das führte auch zur Räumung des Micho-Maidan."

Kaum vorgegangen wird von den Sicherheitskräften jedoch gegen ultranationalistische Organisationen, die Journalisten aber auch Richter und Organisationen attackieren, die als antiukrainisch oder prorussisch gebrandmarkt werden. Auch für diese Enthaltsamkeit hat Bondarenko eine klare Antwort:

"Sollten das der Präsident und der Innenminister wollen, wäre es prinzipiell möglich, die Aktionen dieser Organisationen zu beschränken. Doch heute nutzen Machtfaktoren wie der Geheimdienst oder das Innenministerium diese jungen Nationalisten; so wären ohne schweigende Zustimmung des Geheimdienstes wohl die Angriffe auf Kirchen des Moskauer Patriarchat kaum möglich gewesen. Das gilt auch für Angriffe auf bestimmte Journalisten, die ohne Duldung von Machtstrukturen wohl nicht möglich wären. Offensichtlich werden diese nationalistischen Gruppen genutzt, um Druck auf oppositionelle Bewegungen auszuüben."

Zwiespältig ja paradox ist das Verhältnis zwischen Kiew und Moskau; einerseits herrscht wegen des Krieges in der Ostukraine politische Eiszeit, anderseits ist Russland weiter einer der wichtigsten Handelspartner; dazu sagt Bondarenko:

"Das ist wahrlich eine völlig abnormale Lage; dafür haben wir uns das Wort "Hybrider Krieg" ausgedacht. Sollte wir die Wirtschaftsbeziehungen abbrechen, dann stünde die Ukraine vor einem wirtschaftlichen Kollaps; das wissen alle. Das bedeutet eines; früher oder später wird dieser Krieg enden, wobei ich hoffe früher. Dann wird es zu einer Normalisierung der Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine kommen müssen."

Doch eine Lösung für den Krieg in der Ostukraine werde nur möglich sein, wenn es zwischen den USA und Russland zu einem Tauwetter komme; ansonsten werde der Krieg wohl so weitergehen wie bisher, sagt der Politologe Kost Bondarenko.

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