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Kirchenkonflikt in der Ukraine

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Berichte Ukraine

Die Ukraine ist ein Land mit großen religiöser Vielfalt aber auch mit massiven kirchlichen Konflikten. Einerseits sind im ukrainischen Kirchenrat 19 Konfessionen vertreten, andererseits bestehen in der Ukraine vier orthodoxe Kirchen, die auch die schwierige Geschichte des Landes und seine enorme Heterogenität widerspiegeln. Die größte orthodoxe Kirche ist die des Moskauer Patriarchats, die einzige autokephale Kirche der Ukraine. Von ihr spaltete sich nach dem Zerfall der Sowjetunion das Kiewer Patriarchat im Jahr 1992 ab; sie ist die zweitgrößte Kirche der Ukraine. Eine Gründung in der Endphase des Ersten Weltkrieges ist die sogenannte Ukrainisch-orthodoxe Autokephale Kirche; sie war nach dem Scheitern der Staatsbildung durch die Teilung der Ukraine zwischen Warschau und Moskau bis zum Zerfall der Sowjetunion vor allem in der Diaspora verankert. Schließlich gibt es noch die mit Rom unierte Griechisch-katholische Kirche, die ebenfalls eine orthodoxe Kirche ist. Vor allem zwischen dem Moskauer und dem Kiewer Patriarchat gab es immer wieder kirchenpolitische Konflikte, die nun durch den de facto Krieg zwischen der Ukraine und Russland eine neue Dimension gewonnen haben. Denn die politische Führung in Kiew forciert das Kiewer Patriarchat mit dem derzeit unrealistischen Ziel, einen autokephalen Status zu erreichen. Andererseits ist das Moskauer Patriarchat politische zum Lavieren gezwungen, weil es auch auf der annektierten Halbinsel Krim und im Kriegsgebiet in der Ostukraine als größte Konfession präsent ist. Aus der Ukraine berichtet über den Kirchenkonflikt unser Korrespondent Christian Wehrschütz:

Anfang Februar demonstrierten im Zentrum von Kiew mehrere Hundert Personen gegen die orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats; gefordert wurde, dass die Stadtverwaltung überprüft, ob der Bau einer Kapelle des Moskauer Patriarchats rechtmäßig erfolgt sei; außerdem forderten die Demonstranten die Freilassung zweier Architekten, die die Polizei Ende Jänner verhaftete; ihnen wird vorgeworfen, einen Brandanschlag auf die Kapelle geplant zu haben. Anhänger des Moskauer Patriarchats hatten sich ebenfalls versammelt, um die Kapelle zu verteidigen; sie wurde bereits vor 12 Jahren errichtet, was die Frage aufwirft, warum gerade nun, die Rechtmäßigkeit des Bauwerks zum Thema gemacht wird. Eine Erklärung dafür bietet in Kiew der Politologe Kost Bondarenko:

Heute laufen in der ukrainisch orthodoxe Kirche drei Entwicklungen ab. Erstens mischt sich der Staat, im Widerspruch zur Verfassung, die eine Trennung von Kirche und Staat vorschreibt, in kirchliche Angelegenheiten ein. Das beginnt mit dem Wunsch, eine Staatskirche zu schaffen, eine Kirche, die von staatlichen Interessen geleitet und vom Staat geführt wird. Zweitens ist der Staat bestrebt, den Einfluss der ukrainisch orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats zu minimieren. Diesem Ziel dient der Versuch, diese Kirche durch Abspaltungen zu schwächen, eine neue Kirche zu schaffen, um so die Anerkennung der Autokephalie durch den Patriarchen von Istanbul zu erreichen. Drittens läuft derzeit eine planmäßige politische Kampagne zur Diskreditierung der ukrainisch orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats.“  

Zusammen hängt diese Kampagne zweifellos mit dem Krieg in der Ostukraine und mit der Kirchenpolitik der von Moskau massiv unterstützen prorussischen Machthabern in Lugansk und Donezk. Eines ihrer Opfer war der angesehene Religionshistoriker Igor Koslowskij; er war 2014 einer der Organisatoren des Gebetsmarathons in Donezk, bei dem Gläubige verschiedener Konfessionen für Frieden und Landeseinheit beteten. Koslowskij wurde Anfang 2016 in Donezk verhaftet und kam erst im Dezember 2017 bei einem großen Gefangenenaustausch frei. Nunmehr lebt er in Kiew; den Umgang mit Gläubigen und Konfessionen im Donbass beschreibt Igor Koslowskij so:  

„Mit Kriegsbeginn im Frühsommer 2014 kam es zu schrecklichen Ereignissen. Kirchen und Gebetshäuser wurden zerstört, ausgeraubt, viele Gebäude wurden von den Besatzern übernommen, Teilnehmer am Gebetsmarathon und andere Gläubige wurden verfolgt, einige sogar getötet. Diese Politik änderte sich unter internationalem Druck schrittweise zu Beginn des Jahres 2015; da wurde dann den religiösen Organisationen gesagt, dass sie tätig sein können, aber nur im Stillen. Die größte Freiheit fühlt die Ukrainische Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats, alle anderen werden geduldet aber von der Staatssicherheit überwacht."

Andererseits ist die Lage der ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats auch besonders schwierig. Sie ist nicht nur auf der Krim, sondern auch in den Kriegsgebieten der Ostukraine am stärksten von allen Konfessionen präsent; von insgesamt 12.500 Pfarren liegen 1.000 in den Rebellengebieten, dort wirken 300 Mönche und 1000 Personen des geistlichen Standes. Dazu sagt in Kiew der außenpolitische Sprecher des Moskauer Patriarchats, Mikola Danilewtisch:

"Wir sind die einzige Kirche, die auf beiden Seiten der Barrikaden stark präsent ist. Das ist eine sehr schwierige Lage für uns. Daher sind wir bestrebt, uns nicht in die Politik einzumischen. So haben wir zu Beginn des Konflikts auch unsere Geistliche angewiesen, nicht auf die Barrikaden zu steigen und keinerlei politische Führung zu unterstützen. Dazu ein Beispiel aus dem Jahre 2014 aus der Ostukraine; da rief einer unserer Priester bei der Messe auf, die Ukraine zu unterstützen und hielt eine patriotische Rede. Darauf ging am Ende der Messe kein einziger Gläubiger zum Priester, um das Kreuz zu küssen, wie das vorgeschrieben ist. Dieser Priester musste versetzt werden. Daher sind wir nur pastoral tätig, um die Menschen nicht zu spalten."

Diese Zurückhaltung dokumentiert auch die Zahl der Militärgeistlichen in den ukrainischen Streitkräften; am wenigsten Militärkaplane stellt das Moskauer Patriarchat, obwohl es die bei weitem mitgliederstärkste Kirche der Ukraine ist. Andererseits werfen ukrainische Nationalisten dem Moskauer Patriarchat im Kriegsgebiet Fraternisierung mit dem Feind vor; hinzu kommt der Vorwurf, eine sogenannte fünfte Kolonne Russlands in der Ukraine zu sein; diese Anschuldigung bewertet der Religionshistoriker Igor Koslovskij so:    

„Der Begriff „Fünfte Kolonne“ impliziert, dass diese Kirche mit Absicht gegen die Ukraine auftritt; dem ist nicht so. Andererseits repräsentiert diese Kirche einen Faktor, der nicht für die Einheit der Ukraine arbeitet; vielmehr orientiert sich diese Kirche an der Einheit der russischen Welt, das ist ihre Ideologie. Sind das Bürger der Ukraine – ja; haben sie ein Recht auf ihre Weltsicht – ja; aber aus der Sicht einer staatlichen Politik wäre es wünschenswert, dass sich diese Bürger nicht nur formell als Bürger der Ukraine fühlen, sondern auch dem Herzen nach, dass sie ukrainische Patrioten sind, obwohl sie dem Moskauer Patriarchat angehören. In dieser Zeit des schweren Konflikts mit Russland weckt diese Haltung auch Sorge in der Zivilgesellschaft und führt zu Spannungen in der Zivilgesellschaft.“    

Verständnis für die schwierige Position des Moskauer Patriarchats zeigt dagegen Alexander Sajez vom Institut für Religiöse Freiheiten in Kiew:

„Die Mehrheit der Pfarreien und der Kirchgänger des Moskauer Patriarchats befindet sich in der Zentral- und der Westukraine. In der Süd- und der Ostukraine ist das nur etwa ein Drittel der Pfarreien. Daher wäre ich sehr vorsichtig mit Bezeichnungen wie „fünfter Kolonne“. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn die ukrainische Kirche des Moskauer Patriarchats ihre Haltung zum Konflikt in der Ostukraine und zur Aggression Russlands konkreter ausdrücken würde, so wie das auch andere Religionsbekenntnisse getan haben. Das Moskauer Patriarchat hat sich ziemlich vorsichtig geäußert; doch ausgehend von ihrer Lage, dass ihre Gläubigen auch auf der Krim und in der Ostukraine leben, halte ich es nicht für richtig, von einer „fünften Kolonne zu sprechen.“

Kategorisch weist den Vorwurf Mikola Danilewtisch zurück. Der außenpolitische Sprecher der orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats verweist auf die Rolle, die Priester seiner Kirche abseits der Öffentlichkeit bei der Vermittlung des Gefangenenaustausches Ende Dezember gespielt haben; außerdem betont er die weitgehende Autonomie gegenüber Moskau; Mikola Danilewitsch:

„Nach dem Zerfall der Sowjetunion erhielten wir die Selbstverwaltung; de facto ist unser Status nur mehr einen Schritt von der Autokephalie entfernt; hätte es die Spaltung im Jahre 1992 nicht gegeben, so glaube ich, dass diese Statusfrage schon längst gelöst wäre, weil diese Abspaltung die Änderung unseres Status erschwert hat. Wir wählen unsere Bischöfe selbst, wir ändern die Grenzen unserer Pfarreien selbständig und das Zentrum unserer Kirche ist Kiew. Wir erfüllen alle unsere Verpflichtungen gegenüber dem ukrainischen Staat selbständig; unserer Beziehungen zur Russisch-Orthodoxen Kirche haben geistlichen und kirchenrechtlichen Charakter.“

Zweifellos wird nach einer allfälligen Friedenslösung für die Ostukraine die Reintegration von Donezk und Lugansk Zeit brauchen; bei der Überwindung der tiefen Gräben könnte auch die ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats eine Rolle spielen. Diese mögliche Rolle sieht in Kiew auch der Politologe Kost Bondarenko, der aber seine Zweifel hat, ob es auf absehbare Zeit dazu kommen wird; Kost Bondarenko:

„Denn da stellt sich die Frage: „Braucht Präsident Petro Poroschenko diese Territorien und die Bürger, die dort leben. Da habe ich meine großen Zweifel. Denn aus dem Präsidenten-Lager kann man hören, dass es nicht schrecklich sei, dass wir den Donbass und die Krim verloren haben. Denn diese Bürger dort, würden heute vielleicht für die Opposition stimmen. So geschah es auch nach dem ersten Majdan im Jahre 2004, nach der Orangenen Revolution. Denn die Wähler auf der Krim und im Donbass verhalfen der Partei der Regionen von Viktor Janukowitsch zur Macht. Heute gibt es diese Wähler nicht.“

Regulär sollen die Präsidentenwahl im Frühling 2019 und die Parlamentswahl im Herbst 2019 stattfinden. Hat Kost Bondarenko Recht, ist bis dahin wohl weder mit einem Frieden noch mit einem Ende des Kirchenkonflikts in der Ukraine zu rechnen.

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