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Leben an der Front in der Ostukraine

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Berichte Ukraine
500 Kilometer lang ist die sogenannte Waffenstillstandslinie in der Ostukraine, an der die Feuerpause immer wieder gebrochen wird. Die Ukrainer leben entlang der Front nicht nur unter Lebensgefahr, sondern auch ihre soziale und wirtschaftliche Lage ist sehr angespannt. Während viele jüngere Menschen abwandern, weil es zu wenig Arbeit gibt, könnten viele Pensionisten ohne internationale Hilfe nicht überleben. Doch diese Hilfe wird geringer, weil es viele neue Krisenherde gibt, die auch noch stärker im internationalen Bewusstsein sein, als der schon beinahe vergessene Krieg in der Ostukraine; unser Korrespondent Christian Wehrschütz war jüngst wieder an der Frontlinie und hat die folgende Reportage über das Leben der Menschen dort gestaltet:

Granitne liegt direkt an der Waffenstillstandslinie auf halbem Wege zwischen der Hafenstadt Mariupol und der prorussischen Rebellenhochburg Donezk. Die Folgen des Krieges sind sichtbar, obwohl es heuer viel ruhiger ist. Den Kindergarten besuchen 40 Mädchen und Buben; die Erzieherinnen sind bemüht, eine positive Stimmung zu verbreiten, obwohl der Krieg natürlich Spuren hinterlassen hat, betont die Leiterin des Kindergartens, Marija Tschurman: "Die Kleinkinder sind verängstigt und vorsichtiger; sie reagieren sofort auf laute Geräusche, etwa wenn eine Tür zuschlägt. Die älteren Kinder reagieren entspannter und sagen: „Jetzt brauchen wir keine Angst haben, da schießen nur Kalaschnikows.“ Das wissen sie bereits. Ja die Psyche der Kinder hat sich geändert." Renoviert wurde die Schule; statt 300 Schülern lernen hier nur mehr 150; sieben Schüler und zwei Lehrerinnen müssen die Waffenstillstandslinie am Fluss Kalmius täglich queren, die einen Teil des Ortes durchtrennt. Hinzu kommt die Gefahr durch Minen und Sprengmittel, erläutert die Schuldirektorin Lesa Kosse: "Im Vorjahr ist ein Schüler im Garten seines Elternhauses auf eine Mine getreten. Gott sei Dank konnte er noch rechtzeitig ins Krankenhaus gebracht werden; jetzt ist er ein Invalide, kann aber trotzdem die Schule besuchen."Ein weiteres Problem sei die Infrastruktur, sagt Lesa Kosse: "Nur drei Mal pro Woche fährt ein Autobus aber nur in die Kreisstadt Volonvacha; für die Schule ist das schwierig, weil alle Wettbewerbe vor allem am Wochenende stattfinden und da fährt kein Bus; trotzdem nehmen unsere Kinder aber an Wettbewerben teil, obwohl es sehr teuer ist, weil ein Taxi nach Volnovacha 20 Euro kostet." Granitne zählt vor dem Krieg 4.000 Einwohner; jetzt sind es etwa 3.200; zwar wurde der Ort in diesem Jahr kaum mehr direkt beschossen, doch in der Umgebung sei immer wieder Gefechtslärm zu hören, erzählen Einwohner. Kriegsschäden sind in Granitne noch sichtbar, doch Häuser wurden auch instand gesetzt, vor allem mit internationaler Hilfe. Diese leistet auch das Flüchtlingshilfswerk der UNO, das UNHCR, mit seinem lokalen Büro in der Hafenstadt Mariupol; dessen Leiter, Dinu Lipcanu, schildert das Wiederaufbauprogramm so: "Wir haben fast 2000 Haushalte bei Wiederaufbau und Instandsetzung der Häuser unterstützt. Diese Hilfe setzten wir auch 2018 fort, damit die Menschen nicht abwandern müssen. Zwar dauert der Beschuss an, doch das Ausmaß der Schäden ist geringer geworden. Darüber hinaus unterstützen wir die Bevölkerung auch mit Decken, Gegenständen, die man in der Küche braucht oder warmer Kleidung. Diese Güter verteilen wir an Flüchtlinge oder Personen, deren Häuser beschädigt wurden."Doch grundlegende staatliche Aufgaben kann auch das UNHCR nicht lösen; so gibt es in Granitne es keinen Bankomaten wohl aber eine Post. Sie zahlt einen Teil der Pensionen aus, doch Pensionisten und Angestellte, die Geld auf ihr Konto bekommen, müssen Fahrgemeinschaften bilden, um Bares in Volnovacho oder Mariupol beheben zu können. Auch der Ort Stara Michajlovka auf der prorussischen Seite der Front zeigt, dass alte Menschen neben Kindern vom Krieg besonders hart getroffen; die Hälfte der 3000 Einwohner sind Pensionisten; sie sind umso mehr auf Hilfe angewiesen, wenn sie gehbehindert sind. Internationale Organisationen haben bisher aber nur beschränkten Zugang zu den Rebellengebieten, was die Lage dort noch schwieriger macht.  
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