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Interview zum Reformstau in der Ukraine

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Berichte Ukraine
In der Ukraine ist fast vier Jahre nach dem Sturz von Präsident Viktor Janukowitsch durch die Maidan-Revolution der Reformstau wieder deutlich größer geworden. Zwar gibt es durchaus herzeibare Erfolge wie die Bankenreform, doch der Kampf gegen Bürokratie und Korruption ist nicht nur festgefahren, vielmehr sind nun auch führende Vertreter einer Anti-Korruptions-Behörde selbst unter Korruptionsverdacht geraten. Mit der Lage unzufrieden ist auch die EU, die daher jüngst eine weitere Finanzspritze für die Ukraine ausgesetzt hat; hinzu kommt, dass die Regierung in Kiew nicht einmal in der Lage ist, bereits zugesagte Kredite wirklich zu nutzen; nur die Hälfte des Geldes konnte verwendet werden, kritisierte jüngst der ukrainische Rechnungshof. Über den Stand der Reformen hat unser Ukraine-Korrespondent Christian Wehrschütz mit einem führenden Wirtschaftsexperten gesprochen, hier sein Bericht:

Eine repräsentative Umfrage unter 2000 jungen Ukrainern im Alter zwischen 14 und 29 Jahren ergab, dass bei jedem fünften Jugendlichen das Geld nur für Wohnungskosten und Nahrung reicht; die Hälfte gab an, dass sie auch noch Kleidung aber keine längerfristigen Konsumgüter wie etwa einen Kühlschrank kaufen können. Noch schwieriger ist die Lage der der mehr als eine Millionen Binnenvertriebenen, die wegen des Krieges in der Ostukraine keine Chance auf Rückkehr in ihr früheres Leben haben. Hinzu kommt die starke Abwertung der Landeswährung Griwna, die dazu beigetragen hat, dass das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen gemessen an der gesamten Wirtschaftsleistung von 6000 US-Dollar im Jahre 2013 auf 2.000 US-Dollar gesunken ist. Massiv verstärkt hat sich daher seit der Maidan-Revolution die Arbeitsmigration, erläutert in Kiew der Wirtschaftsexperte der Bleyzer-Stiftung Oleg Ustenko:

BiP pro Kopf etwas mehr als 2.000 USD, 2013 mehr als 6.000 USD, absolute Zahlen, auch wegen der enormen Abwertung des Griwna

"Allein in Polen sind mehr als 1,3 Millionen ukrainische Arbeitskräfte registriert, die dort legal arbeiten. Hinzu kommt, dass nach Schätzungen zwischen drei und fünf Millionen Ukrainer in Russland arbeiten. Einerseits senkt das den Druck auf den ukrainischen Arbeitsmarkt und damit die Gefahr sozialer Konflikte, doch eine Rückkehr dieser Arbeitskräfte ist nur zu erwarten, wenn die Lage besser wird. Das wiederum hängt vom politischen Willen ab; wenn er besteht wird sich die Lage ändern, wenn nicht, dann nicht."

Die Reformpolitik der Ukraine beschreibt Ustenko so:

"Die Entwicklung nach der jüngsten Revolution auf dem Maidan kann man beschreiben als zwei Schritte vorwärts, drei Schritte zurück; dann wieder zwei Schritte vorwärts und einen Schritt zurück. Das ist eine endlose Spirale, und die wirtschaftlichen Probleme, die die Ukraine hatte, sind geblieben und haben sich teilweise sogar noch verschärft."

Hinzu kommt, dass die Ukraine den Wegfall des russischen Marktes nicht durch Exporte in die EU oder in Drittmärkte kompensieren konnte, obwohl Brüssel die Quoten für Agrar-Produkte leicht erhöht hat; trotzdem sieht Oleg Ustenko die EU-Annäherung positiv und auch sonst einige positive Ansätze; Oleg Ustenko:

"Bei Getreide hat die EU die Quoten um eine Million Tonnen pro Jahr erhöht. Das entspricht weniger als zwei Prozent unserer heurigen Getreideernte von mehr als 60 Millionen Tonnen. Positiv ist aber, dass sich in der Ukraine nun langsam aber doch europäische Firmen ansiedeln, vor allem aus der Autozulieferindustrie, und zwar im Westen des Landes, um Transportkosten zu sparen. Da schrittweise die Importzölle aus der EU auf Null sinken werden, wird sich dieser Trend fortsetzen, weil die Ukraine an die EU grenzt und die Arbeitskräfte billiger sind."

Trotzdem werden mit zwei Milliarden US-Dollar die ausländischen Direktinvestitionen auch heuer gering ausfallen; zu den dringendsten Reformen, die Kiew durchführen muss, sagt Oleg Ustenko:

"Erstens die Schaffung des Sondergerichtshofes gegen Korruption; er ist von der politischen Elite nicht besonders gewollt, weil sie dann selbst von diesem Gericht betroffen sein könnte. Dasselbe gilt für die Oligarchen, die sich ihre Abgeordneten im Parlament kaufen. Zweitens muss daher das Wahlrecht geändert werden, damit die Oligarchen keine Möglichkeit mehr haben, das ukrainische Parlament zu beeinflussen. Drittens die Privatisierung; es ist unverständlich, dass sich Hunderte für Direktorenposten in Staatsbetrieben bewerben, wo das Gehalt bei etwa 300 Euro liegt. Das lässt sich nur erklären, wenn es verborgene Interessen gibt, die damit verbunden sind."
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