× Logo Mobil

„No risk – no fun“ – Österreichische Investoren in der Ukraine

Fernsehen
ECO
Berichte Ukraine
„No risk – no fun“, kein Spaß ohne Risiko, dieses Sprichwort gilt auch für so manche österreichische Firma, die in der Ukraine tätig ist; 150 Firmen sind es etwa, davon nutzt ein Fünftel dieses postsowjetische Land als Produktionsstandort. Die meisten Betriebe sind schon viele Jahre in diesem Land, dessen Image von mächtigen Oligarchen, Korruption und Rechtsunsicherheit geprägt ist. Zwar ist die Realität jetzt weit besser als der Ruf, doch auch fast vier Jahre nach dem Sturz von Präsident Viktor Janukowitsch durch die Revolution am Maidan, sind tiefgreifende Reformerfolge eher rar. Rar machen sich daher neue Investoren nicht nur aus Österreich, obwohl die Lohnkosten weit niedriger sind als in Tschechien oder Ungarn. Positiv ist, dass die Ukraine trotz des Krieges im Ostteil des Landes Anzeichen einer leichten wirtschaftlichen Erholung zeigt. Reformdruck versucht auch die EU aufzubauen, die in den vergangenen drei Jahren das Land mit 12 Milliarden Euro unterstützt hat und die Reformen mit 200 Millionen Euro pro Jahr unterstützt. Und wie schätzen österreichische Wirtschaftstreibe Lage und Perspektive ein – ein Lokalaugenschein von unserem Korrespondent Christian Wehrschütz

Berichtsinsert: Christian Wehrschütz aus der Ukraine

Kamera: Wasilij Rud, Sascha Alexejew

Schnitt: Wasilij Rud

Insert1: Iwan Grod, Firma Matimex in Kiew

Insert2: Tobias Grolitsch, Firma Eurogold in Schitomir

Insert3: Tobias Grolitsch, Firma Eurogold in Schitomir

Insert4: Franz Enser, Firma Agrana in Winitza

Insert5: Gerhard Bösch, Raiffeisen Bank Ukraine

Insert6: Cornelius Granig, Unternehmensberater in der Ukraine

Insert7: Michael Wareka, Marzek-Etiketten, Dnipro

Insert8: Gerhard Bösch, Raiffeisen Bank Ukraine

Gesamtlänge: 8’47

Das diesige Wetter über Kiew passt ganz gut zur Lage der Ukraine. Mehr als drei Jahre nach der Maidan-Revolution ist eine politische und wirtschaftliche Aufbruchsstimmung nicht in Sicht. Die aus sowjetischer Zeit stammende „Mutter Heimat“ sollte einst symbolisch vor Invasoren aus dem Westen schützen; westliche Investoren kämpfen aber weiterhin mit Rechtsunsicherheit und Willkür; dieser Importeur von Gewürzmischungen aus Oberösterreich ist seit 20 Jahren in der Ukraine tätig; im Vorjahr besuchten Mitarbeiter des Geheimdienstes den Betrieb und wollten offensichtlich Schutzgeld kassieren. Die Firma zahlte nicht; diese Weigerung hatte Folgen:  

„Im April 2016 wurde beim Zoll einer unserer LkW beschlagnahmt; im Juli dann bei einer Hausdurchsuchung einige Dokumente. Behauptet wurde, dass unsere Gewürzmischungen, die wir seit 20 Jahren importieren, nicht den Gesundheitsstandards entsprechen. Wir informierten sofort die österreichische Botschafterin, die uns sehr half, in dem sie sich auch an die Regierung wandte. Schließlich zeigte sich, dass alle Anschuldigungen haltlos waren. Ende Oktober 2016 wurde das Verfahren eingestellt, und die verantwortlichen Mitarbeiter des Geheimdienstes wurden entlassen.“

Seit damals herrscht Ruhe, doch die Reform des Geheimdienstes SBU steckt noch in den Kinderschuhen. Das Beispiel zeigt, dass Gegenwehr und die Ablehnung von Schmiergeld-Zahlungen der richtige Weg sind. Nicht-Zahlen zählt auch zum Prinzip dieser Firma, die in Schytomyr, 150 Kilometer westlich von Kiew, Bügelbretter erzeugt. 90 Prozent der Produktion wird exportiert, vor allem in die EU. Paradox ist, dass ein und dasselbe Bügelbrett in Deutschland knapp 20 Euro, in der Ukraine aber umgerechnet 22 Euro kostet, obwohl ein Arbeiter hier nur etwa 150 Euro im Monat verdient:

"Wenn wir einen Distributeur in Deutschland haben, der eine Gewinnmarge von drei bis fünf Prozent hat, hat der Ukrainer halt 15 Prozent."

Denn der Zwischenhändler muss offensichtlich bei ukrainischen Abnehmern auch dafür zahlen, dass der Bügeltisch in die Regale kommt. Aufgebaut haben den Betrieb die Brüder Tobias und Nils Grolitsch aus Kärnten. Sie haben in den vergangenen sechs Jahren die Zahl der Mitarbeiter um 600 auf 1200 aufgestockt, auch um von lokalen Zulieferern unabhängig zu sein, von denen viele nur kurzfristig denken:

"In den Staat habe ich kein Vertrauen, ich will heute Geld verdienen, heute reich werden, und dadurch sind Preise übertrieben, Qualität ist nicht da, die Maschinen, die die Zulieferer haben, sind veraltet, es wird nicht reinvestiert, und dadurch verlieren sie die Möglichkeit, uns zu beliefern."

Trotz des Kriegs in der Ostukraine und des Handelskrieges zwischen Kiew und Moskau kann weiter nach Russland exportiert werden.

Kein Nischenprodukt sind Lebensmittelerzeugung und Landwirtschaft, die wichtigsten Devisenbringer der Ukraine. Direktexporte nach Russland sind nicht mehr möglich, doch 90 Prozent der Fruchtzubereitungen bedienen den lokalen Markt; bei Konzentraten sind es 1/3, zwei Drittel werden in die EU exportiert. Für den Standort in der Stadt Winnitza in der Westukraine sprechen die gute Rohstoffbasis, niedrige Lohnkosten sowie gut ausgebildete und fleißige Mitarbeiter. Wie viele Betriebe aus Österreich ist auch dieser seit 20 Jahren in der Ukraine erfolgreich tätig:

"Das Entscheidende hier ist ein gewisses Maß an Beharrlichkeit; es braucht unternehmerisches Gespür, es braucht ein sehr gutes lokales Management, und sie müssen dieses Management natürlich auch sehr, sehr gut intensiv steuern."

Diese Bereitschaft zur Beharrlichkeit ist beschränkt; österreichische Firmen investierten binnen 20 Jahren, 1,3 Milliarden US-Dollar in die 40 Millionen Einwohner zählenden Ukraine. In Slowenien mit seinen zwei Millionen Einwohnern waren es mehr als 3,5 Milliarden Euro. Die gesamten ausländischen Investitionen liegen in der Ukraine bei 39 Milliarden US-Dollar; eine Viertel entfällt auf Zypern, was den Rückfluss von Schwarzgeld nahelegt; die Investitionszyklen spiegeln wobei die Krisen wider:

Graphik und Text:

„Nach der Organgenen Revolution 2004 floss mehr Geld in das Land; doch die internationale Finanzkrise 2009 traf die Ukraine besonders hart. Der bisherige Tiefpunkt kam im ersten Kriegsjahr 2014. In den vergangenen zwei Jahren entfiel der Großteil der Investitionen auf Kapitalzuflüsse durch Banken, erst heuer wird wieder mehr in den realen Sektor investiert.“

Die Krise gemeistert hat Raiffeisen, die wichtigste Bank des Landes. Viele ihrer ukrainischen Firmenkunden entwickelt sich gut. Doch warum sind ausländische Investoren weiter sehr zurückhaltend?

"Zum einen ist die Ukraine noch immer in allen Vergleichen, wenn es um die Effizienz der öffentlichen Verwaltung geht, der Bürokratie im allgemeinen, um die Komplexität des Steuerwesens im Besonderen, wenn es darum geht, wie leicht ist ein Unternehmen zu gründen, aufzubauen und zu führen, überall dort schneidet die Ukraine traditionell schlecht ab."

Kiew ist mit mehr als drei Millionen Einwohnern auch die größte Stadt der Ukraine. Mondäne Konsumtempel in Zentrum sind ein Hinweis auf die Schattenwirtschaft, die auf 50 Prozent der offiziellen Wirtschaftsleistung geschätzt wird. In der Ukraine gibt es wenige Superreiche, kaum eine Mittelschicht aber viele Arme, die dieses Geschäft bestenfalls von außen sehen.

Zehn Jahre Ukraine-Erfahrung hat auch Cornelius Granig, der nun als Unternehmensberater tätig ist. Seit der Revolution am Maidan vor fast vier Jahren wurden wichtige Reformen durchgeführt; die Nationalbank schloss die Hälfte aller Banken, auch die von Oligarchen; die Reform des korrupten Energiesektors machte große Fortschritte, nicht aber die Justizreform:

"Ich glaube, dass die neue Regierung sehr ambitionierte Vorhaben hat; dass sie im Bereich der Korruptionsbekämpfung und der Modernisierung des Landes, zum Beispiel E-Gouvernement, einige Dinge unternimmt; im Bereich von Transparenz im öffentlichen Einkauf; das ist eine Entwicklung, die halt lange dauern wird."

Dnipro in der Ostukraine stieg durch den Krieg zum wichtigsten Industriezentrum auf. Investiert wird in die Infrastruktur, viele Straßen sind aber noch in katastrophalem Zustand. In Dnipro produziert diese Firma aus Niederösterreich Etiketten für den lokalen Markt. Auch diese Firma glaubt an eine mittelfristig positive Entwicklung und sieht großes Wachstumspotential, auch was die Kaufkraft betrifft, denn derzeit verdient eine Hilfskraft nur 120 Euro im Monat:

Hier ist ein Potential, dass sich das Gehalt verdoppelt, verdreifacht oder vielleicht sogar vervierfacht in den nächsten zehn Jahren. In Österreich liegen wird derzeit bei einem Helfer-Gehalt von vielleicht 1500 Euro. Wo wird das Potential in Österreich in zehn Jahren liegen. Da gehen wir davon aus, dass es vielleicht bei 1.800 Euro ist, was jetzt eine Steigerung von 20 Prozent ist.

Durch das Freihandelsabkommen mit der der EU sinken bereits die Zölle für importierte Rohstoffe, obwohl die Zollabwicklung weiter zu wünschen übrig lässt. Darüber hinaus bedeutet das Assoziierungsabkommen eine schrittweise Integration in die EU, die mit sehr vielen Experten und Geld die Reformen unterstütz:

"Ich glaube ein Beitritt ist in weiter, weiter Ferne; aber es gibt eine Perspektive und es gibt eine Geste von Europa, dass die Ukraine als Partner willkommen ist. Und das hilft mir absoluter Sicherheit den Reformern, die in allen Institutionen in der Ukraine jetzt kämpfen, um Reformen wirklich weiter zu führen und umzusetzen natürlich enorm. Ich denke, dass das Land zum ersten Mal eine wirkliche Chance hat, sich zu europäisieren, sich zu modernisieren, und einen Reformprozess nicht nur zu beginnen, sondern auch weiterzuführen und vielleicht auch gar zu Ende zu führen.“

Ohne Visum dürfen die Ukrainer bereits in die EU reisen, doch die endgültige Europäisierung wird davon abhängen, ob die starken Kräfte der alten Nomenklatura oder die Reformer in der Ukraine siegen werden.
Facebook Facebook