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Interview mit Leonid Kutschma

Zeitung
Kleine Zeitung
Berichte Ukraine
Vorspann:

Mit ersten Jänner übernimmt Österreich den Vorsitz in der OSCE, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Daher wird Außenminister Sebastian Kurz bereits Anfang Jänner in die Ostukraine kommen, um sich in der Nähe der Frontlinie selbst ein Bild von der Lage zu machen. Eine ihrer zentralen Aufgaben der OSZE ist es, einen stabilen Waffenstillstand durch eine Truppenentflechtung an der etwa 500 Kilometer langen Frontlinie zu erreichen; auch darüber wird bei den Friedensgesprächen in Minsk ebenso verhandelt wie über eine politische Lösung. Chefverhandler in Minsk ist der Österreicher Martin Sajdik, während 16 österreichische Beobachter in der Ukraine im Einsatz sind. Die Chancen auf Frieden beurteilt im Exklusivinterview mit Christian Wehrschütz für die Kleine Zeitung, der ukrainische Delegationsleiter in Minsk, der zweite Präsident der Ukraine, Leonid Kutschma, alles andere als rosig.



Interview:

KZ: Sehr geehrter Herr Kutschma! Zwei Jahre Gespräche blieben in Minsk bisher ohne Ergebnis; die Feuerpause hält nicht. Was kann Österreich als OSZE-Vorsitzender in einer derart verfahrenen Situation überhaupt erreichen:      



LK: "Zu Beginn muss man versuchen, das wichtigste Problem zu lösen, das ist die Beendigung der Kämpfe, dass man aufhört, einander zu töten. Wenn die Feuerpause eingehalten wird, kann man am Verhandlungstisch alle anderen Probleme lösen. Hier haben Österreich und die OSZE eine wirklich grundlegende Rolle zu spielen."



KZ: Besteht bei den Konfliktparteien überhaupt der politische Wille zu einer Friedenslösung?



LK: "Ich sehe vor allem nicht den Wunsch Russlands, in nächster Zeit diesen Konflikt zu beenden. Das ähnelnd schon mehr allen anderen Konflikten im post-sowjetischen Raum, von denen kein einziger bisher beendet worden ist. Für Berg-Karabach wurde 1992 eine Kommission geschaffen, und wie viel Zeit ist vergangen. Daher glaube ich nicht, dass der Konflikt in der Ukraine morgen oder übermorgen enden wird; das entspricht heute mehr einem eingefrorenen Konflikt, weil das im Interesse einer Seite liegt."



KZ: Als zweiter Präsident der Ukraine haben Sie Wladimir Putin mehrfach getroffen; auch die prorussischen Rebellen in Donezk und Lugansk kennen Sie von vielen Gesprächsrunden. Warum tut sich die Ukraine mit deren Forderungen so schwer?



LK: "Leider werden von Donezk und Lugansk und das heißt somit auch von Russland Forderungen erhoben, die für uns unannehmbar sind. Das einfachste Beispiel ist Russlands Forderung nach einer Föderalisierung der Ukraine. Daher frage ich immer meine russischen Kollegen: "Wie heißt ihr Land?" – „Russländische Föderative Republik“. Doch wo ist diese Föderation? Das ist eine mit eiserner Disziplin gestaltete hierarchische Struktur. Sie wollen eine föderale Struktur der Ukraine mit der Perspektive, dass die Ukraine als Staat zerfiele. Wenn Lugansk und Donezk einen Sonderstatus erhielten, warum sollte er dann Odessa, Charkiw oder dem Transkarpaten-Gebiet verwehrt werden, das ebenfalls seine besondere Geschichte hat?“



KZ: Wie beurteilen Sie die Haltung der EU und vieler ihrer Mitgliedsstaaten? Der Widerstand gegen die Russland-Sanktionen ist doch beträchtlich?



LK: "Europa gestaltet seine Beziehungen zu uns bis heute über Moskau. Das gilt auch für die Konfliktlösung, weil viele europäische Hauptstädte überlegen, was Moskau darüber denkt, und was sie verlieren könnten. Wie viele Tränen wurden über die Handelssanktionen vergossen, obwohl die EU nur vier Prozent ihres Außenhandelsvolumens dadurch eingebüßt hat, die es auf anderen Märkten bereits wieder wettgemacht hat. Niemand ist interessiert, die Ukraine wirklich als gleichberechtigten, strategischen Partner zu betrachten; das gilt natürlich nicht für Polen und die drei Baltischen Staaten, doch ihre Stimmen reichen nicht aus; und Sie kennen auch die Haltung Österreichs - was ist das die Ukraine? Russland dagegen, das ist ein großer Markt."



KZ: Den russischen Markt hat die Ukraine durch Krieg und Handelskrieg verloren. Die Neuorientierung auf den EU-Markt sowie auf Drittmärkte ist gerade für die Industrie ein schwieriger Prozess. Andererseits ist die EU bis heute nicht bereit, der Ukraine eine Beitrittsperspektive zu geben. Wie bewerten sie die einseitige außenpolitische Orientierung von Staatspräsident Petro Poroschenko?



LK: "Ich war, bin und bleibe der Anhänger eine Außenpolitik, die mehrere Richtungen hat. Da kam der Herr Poroschenko und sagte, wir brauchen Russland nicht, wir orientieren uns nur auf Europa hin und haben nur eine Richtung. Das was Kutschma gemacht hat, war schädlich für die Ukraine. Und was zeigte sich: Europa braucht uns nicht, und Russland und den Markt der anderen post-sowjetischen Staaten haben wir verloren."

KZ: Liegt die Zukunft der Ukraine überhaupt in der EU



LK: "Heute ist die Ukraine von einer EU-Integration viel weiter entfernt als in der Zeit als ich Präsident war. Damals waren die Verhandlungen und die Positionen offener und klarer. Wahrscheinlich haben uns damals auch die Europäer besser verstanden als heute in Verbindung mit all den Ereignissen in der EU selbst, wie zum Beispiel dem Brexit. Ich habe mehrmals gesagt, dass die Ukraine die Verhandlungen über eine EU-Annäherung abbrechen soll. Sie ist für uns deshalb nicht vorteilhaft, weil im Falle einer völligen Marktöffnung unsere Produkte einfach nicht konkurrenzfähig gegenüber den europäischen Produkten sind. Die Ukraine muss zu aller erst daran interessiert sein, eine starke Industrie mit Hochtechnologie zu haben; dadurch sollen wir in Europa bekannt sein, damit soll Europa rechnen müssen; wir müssen unser eigenes Gesicht haben und nicht nur, weil man sich daran erinnert, dass sich bei uns Tschernobyl ereignet hat und mehr weiß man nicht."



KZ: Welche Zukunft hat die Ukraine? Was muss für eine positive Entwicklung getan werden?



LK: "Man muss verstehen, dass die Ukraine sich im Krieg befindet; es ist Zeit, mit dem Verteilen von Pfründen aufzuhören, es ist Zeit aufzuhören nach dem Prinzip zu leben, zwei Ukrainer - drei Hetmane und sich hinter einem gemeinsamen Ziel zu vereinen; das Ziel muss sein, aus dieser Lage ohne Niederlage, sondern mit einer Perspektive herauszukommen, die auch den morgigen Tag sieht. Das Potential der Ukraine sehr groß, und im Prinzip bin ich überzeugt, dass die internationale Geschäftswelt daran interessiert ist, in der Ukraine zu investieren. Warum das nicht passiert, ist auch klar, und da ist nicht einmal der Krieg der Hauptgrund. Internationale Firmen und Investoren brauchen Sicherheit und Stabilität. Daher sind das Justizsystem und die Korruption die Probleme; dem Land muss man Stabilität geben, der Mensch muss unbeschwert ans Morgen denken können und der Staat muss seine Interessen schützen - wenn dem so sein wird, dann können wir uns binnen zwei, drei Jahren von den Knien erheben, auf denen wir heute liegen.“



KZ: Der Sturz von Viktor Janukowitsch begann mit den Demonstrationen am Maidan; Auslöser war zunächst die Nicht-Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU. Sie haben in ihrem Buch „Nach dem Maidan“ bereits die Orangene Revolution des Jahres 2004 negativ bewertet. Wie bewerten Sie den Maidan des Jahres 2014?



LK: "Ich habe Revolutionen immer abgelehnt. Ich bin Anhänger wissenschaftlich-technischer Revolutionen. Unsere orangene Revolution und unsere zweite Revolution, führten nicht zu einer Verbesserung des Lebens des Volkes. Gewöhnlich machen Revolutionen Menschen, doch den Nutzen davon haben andere. Immer organisiert das jemand, immer steht jemand dahinter, immer verfolgt jemand seine Ziele - insbesondere hinter diesen Maidans. Wenn sich nach der Revolution die wirtschaftliche Lage drastisch verschlechtert, wenn danach die Lage des Landes in der Welt eine völlig andere ist, dann denke ich, dass diese Maidans nicht notwendig sind."



KZ: In ihrem Buch „Nach dem Maidan“ schrieben Sie im Jahre 2006, dass die Ukraine ein Staat aber keine Nation mit einem eigenen nationalen Selbstbewusstsein sei. Ändert sich das nun durch den Krieg in der Ostukraine?



LK: "Ja, das ist 100 Prozent so; wahrlich hat sich das ukrainische Selbstbewusstsein drastisch geändert durch diesen Krieg. Putin hilft hier der Ukraine. Uns hilft in Wahrheit bei der Identifizierung zu einer vollwertigen Nation der heutige Krieg. Wir waren derart überzeugt, dass im Osten unser Freunde, Genosse und Bruder ist, doch eines Tages wachten wir auf und es erwies sich, dass der im Osten nicht unser Bruder ist, sondern, dass er einen Teil unseres Territoriums beansprucht, und dass wir nicht nach unseren, sondern nach ihren Regel leben. Doch, dass die Ukraine nie ein Staat war, dass hat überall seine Spuren hinterlassen. Wir hatten niemals unsere Elite, und so ist es bis heute; ein Teil blickt mehr nach Russland, der andere mehr nach Westen, doch es gibt leider auch heute kein einheitliches strategisches Ziel in der Ukraine."



KZ: Wann wurden Sie zum bewussten Ukrainer?



LK: "Im Kern war ich ein Sowjetmensch; umso mehr, da wir uns mit Raketentechnik befasst haben, dachten wir, dass wir unser Land schütz, weil sich die "Raketschiki" wirklich als Elite verstanden haben. So war es, und wir halfen, den Frieden zu sichern in der Sowjetunion, am europäischen Kontinent. Mein Selbstbewusstsein, dass ich Ukrainer bin, dass die Ukraine ihre Geschichte und ihre Entwicklung haben muss, begann in der Ära von Gorbatschow. Insbesondere begann das auch mit dem Verfall des militär-industriellen Komplexes, zu dem auch mein Unternehmen gehörte. Damals begann ich mich mehr mit den historischen Wurzeln zu befassen, was ist das eigentlich - ein Ukrainer, die Ukraine. Ich wurde Abgeordneter, auch deshalb, weil ich mein Unternehmen schützen musste, denn die Raketen brauchte schon keiner mehr. Daher werde ich nicht sagen, dass mein Selbstbewusstsein schon von Beginn an bestand, dass ich ein Kämpfer für die Unabhängigkeit der Ukraine war; doch das entwickelte sich und wurde vollständig aufgenommen, in der Seele, im Herzen und auch in meinen Handlungen."



KZ: Sie haben Raketentechnik studiert; waren schließlich in Dnipropetropws der Generaldirektor des größten Raketenproduzenten der UdSSR, „Juschmasch“, der auch die SS-20 Interkontinentalraketen erzeugt hat. Auch im Kosmodrom von Baikonur haben Sie gearbeitet. Haben Sie den sowjetischen Raketenpionier Sergej Koroljew, den Vater des Sputnik, noch gekannt? Gab es eine enge Zusammenarbeit?



LK: "Ja, habe ich. Es gab das Programm für den Flug zum Mond. Unser Konstruktionsbüro sollte die oberste Stufe bauen, die in einer Umlaufbahn um den Mond kreisen und warten sollte, bis die Mondfähre wieder zurückgekommen wäre. Das war eine enge Zusammenarbeit mit Koroljew und seiner Firma, wo wir alle technischen Probleme gemeinsam erörtert und technische Lösungen gesucht haben."



KZ: Warum hat die Sowjetunion das Rennen um die erste Mondlandung gegen die USA verloren?



LK: "Da gab es viele Gründe. Dazu zählen wirtschaftliche Gründe und wahrscheinlich auch Fehleinschätzungen bei der Konstruktion und technische Probleme. Ich will die Sowjetunion nicht beleidigen, doch technologisch waren die USA ebenfalls voraus."

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