× Logo Mobil

Die Hilfe der Caritas in der Ostukraine

Radio
Praxis
Berichte Ukraine
Vor zwei Jahren dominierte die Ukraine die internationalen Schlagzeilen. Doch aus dem Krieg in der Ostukraine wurde ein weitgehend eingefrorener Konflikt mit regelmäßigen Verletzungen der Feuerpause vor allem durch Artilleriebeschuss. Während andere Krisen die Ukraine aus den internationalen Schlagzeilen verdrängten, leidet das Land weiter unter 1,6 Millionen Binnenvertriebener; 400.000 Kinder verloren durch den Krieg in der Ostukraine, Heimat, Herd und Freunde. 60 bis 80 Prozent diese Kinder waren Zeugen von Gewalt, erlebten Bombardierungen. Kindern, Ausgebombten und alten Menschen hilft auch die österreichische Caritas gemeinsam mit der Caritas Ukraine. 2,5 Millionen Euro konnten im Vorjahr durch Spenden aufgebracht werden. Die Hilfe ist dabei oft für die ukrainischen Mitarbeiter der Caritas nicht ungefährlich; denn geholfen wird auch den vielen Menschen, die unmittelbar an der Waffenstillstandslinie wohnen, wobei die Feuerpause immer wieder gebrochen wird. Unser Ukraine-Korrespondent Christian Wehrschütz hat Caritas-Mitarbeiter und eine Delegation der österreichischen Caritas jüngst begleitet; hier sein Bericht:

Wiederaufbau und Hilfe, wo Zerstörung und Hoffnungslosigkeit herrschten. Mitarbeiter einer Firma montieren im Auftrag der ukrainischen Caritas neues Fenster in einem Einfamilienhaus in der ukrainisch kontrollierten Stadt Marinka an der Waffenstillstandslinie. Granatsplitter beschädigten das Haus vor zwei Jahren schwer; nicht nur an Wänden sind die Einschläge deutlich sichtbar. Ekaterina Nosatsch lebt hier mit ihrem Mann und ihrem schulpflichtigen Sohn. Sie zeigt uns die knarrende Haustür und sagt:

„Schauen Sie – hier und hier schlugen die Granatsplitter ein. Die Tür lässt sich nicht wirklich öffnen und schließen; behelfsmäßig haben wir sie repariert.“

Das Budget der Caritas beträgt pro Haushalt umgerechnet 180 Euro; das reicht für sechs Fenster; das Rote Kreuz reparierte bereits das Dach. Durch Hilfe und Wiederaufbau will die Caritas auch die lokale Wirtschaft unterstützen. Betreut wird das Städtchen Marinka, das etwa 20 Kilometer von der prorussischen Rebellenhochburg Donezk entfernt liegt, von der Caritas in der Hafenstadt Mariupol. Aufträge und Anfragen gäbe es genug, erzählt Evgenij, Caritas-Koordinator von Mariupol:

"Wir haben schon etwa 900 Aufträge erledigt. Das sind nicht nur Fenster, sondern auch die Verteilung von Heizmaterial, kleinen Öfen und Heizstrahlern, von Medikamenten, Lebensmitteln und Reparaturarbeiten in Haushalten. Wir überprüfen jedes Ansuchen und zu unseren Kriterien zählen das Alter, das Vermögen, ist der Betreffende arbeitslos oder nicht, , ist das eine Mehrkindefamilie oder eine alleinerziehende Mutter, ist jemand behindert oder nicht.“

24 Tonnen Briketts wurden auch dieses Mal in Marinka ausgeliefert; das Städtchen zählt vor dem Krieg 10.000 Einwohner; wie viele es jetzt sind, ist unklar. In einer lokalen Apotheke verteilte die Caritas auch eine Hausapotheke mit Medikamenten verteilt. Medikamente sind teuer und oft knapp, darunter leiden vor allem Chronisch-Kranke. Auch die Pensionistin Larissa hat sich eine Hausapotheke in dem kleinen roten Täschchen abgeholt. Wie lebt es sich jetzt in Marinka an der Frontlinie, in einer Stadt, die noch immer beschossen wird? Dazu sagt Larissa:

"Ich wohne im dritten Stock; ausgehen können wir oft nicht; immer wieder hören wir die Geräusche, wenn Granatsplitter fliegen. Ich war einige Zeit beim Onkel in Mariupol, doch seit Oktober bin ich wieder in Marinka."

Und wie war es jetzt im Winter? Larissa erzählt:

"Ich habe zu Hause zwei Heizstrahler, doch warm wird es nirgends wirklich. Daher bin ich zum Nachbar in den vierten Stock, wo ich zwei Wochen gewohnt habe, weil es beim ihm wärmer ist. Bei mir hat es Null Grad in meiner Ein-Zimmer-Wohnung. Die Kanalisation ist eingefroren, es hatte draußen minus fünf Grad. Jetzt ist es besser, weil die Außentemperatur bereits wieder 13 Grad beträgt."

Auswandern ist aber für die Bewohner keine Option; das gilt auch für die Familie von Ekaterina Nosatsch, sie will Marinka nicht verlassen:

"Wie soll ich von hier fort, das ist mein Geburtshaus; hier habe ich geheiratet, meinen Bub habe ich hier geboren. Außerdem - wohin sollten wir gehen? Ich muss auch ehrlich sagen - wenn wir Geld hätten, doch wir haben keines."

Die Hafenstadt Odessa war ein Fluchtpunkt für jene, die Geld hatten oder aus anderen Gründen fliehen konnten oder mussten. …. In einem Zentrum betreut die Caritas mehr als 100 Kinder, Binnenflüchtlinge aus der Ostukraine. Pädagogen und Psychologen helfen, die Erlebnisse des Krieges spielerisch aufzuarbeiten. Als wir das Zentrum besuchen, zeichen die Kinder gerade Bilder, die ihren Berufswunsch ausdrücken sollen. Drei Monate werden die Kinder betreut; damit entlastet die Caritas auch die Eltern, die sich eine neue Existenz aufbauen müssen. Dazu zählt auch Viktoria, die alleinerziehende Mutter dreier schulpflichtiger Kinder. Viktoria floh im Sommer 2014 aus Donezk: dort arbeitete sie bei einer Pharafirma, die sie nun auch in Odessa beschäftigt. Die seelischen Folgen des Krieges beschreibt Viktoria so:    

"Erst in diesem Jahr hat uns wieder ein Feuerwerk gefreut; lautes Klatschen, Donner, ich habe gemerkt, dass all das den Kindern nicht behagt hat, und habe die Fenster geschlossen."

400.000 Kinder verloren durch den Krieg in der Ostukraine, Heimat, Herd und Freunde. 60 bis 80 Prozent diese Kinder waren Zeugen von Gewalt, erlebten Bombardierungen; was das konkret bedeutet, schildert der Präsident der ukrainischen Caritas Andrij Waskowycz:

"Meine Mitarbeiter, die in verschiedenen Projekten arbeiten, sagen, dass Kinder im Alter von 14 oder sogar 16 Jahren sich in die Hosen machen, wenn sie einen lauten Knall hören, wenn sie in der Schule sind zum Beispiel. Deswegen haben Mitarbeiter an diese Kinder Windeln ausgeteilt, damit die Kinder nicht stigmatisiert werden. Also diese Kinder sind teilweise sehr, sehr stark traumatisiert."

Die Folgen des Krieges in der Ukraine sind massiv; Friede herrscht immer noch nicht, doch der Konflikt ist durch die Flüchtlingswelle auf der Balkan-Route völlig in den Hintergrund gedrängt worden. Warum ist Syrien präsent, nicht aber die Ukraine – darauf antwortet Andrij Waskowycz so:

"Solange es keine Fernsehbilder gibt von Menschen, von Flüchtlingen, die in Schlangen vor Suppenküchen stehen, die in Sammelstellen sich aufhalten, wird dieses Problem überhaupt nicht wahrgenommen. Dass Menschen irgendwo in Dörfern in irgendwelchen verlassenen Häusern Zuflucht gefunden haben - wenn sie auf der Straße sind, werden sie nicht erkannt, denn sie sehen normal genährt aus, sie sind gekleidet wie alle anderen Bürger auch; aber dass sie in enormer Not leben, das kann man nicht sehen, wenn man nicht tiefer hineinschaut in die Lage dieser Menschen."

In Odessa betreut die Caritas aber einfach auch Kinder aus armen Familien. In der Ukraine waren schon vor dem Krieg viele arm und nur ganz wenige reich diese Gegensätze sind nun noch schärfer geworden. In einem der ärmsten Bezirke der Hafenstadt betreut Vater Pjotr Rosochackij 50 Kinder im Alter von sechs bis 15 Jahren. Der polnische Geistliche war sechs Jahre auf der Halbinsel Krim tätig; nach der Annexion durch Russland ging er vor einem Jahr nach Odessa. … Als wir sein Zentrum besuchen, steht gerade eine Stunde Töpfern auf dem Programm. Die Eltern dieser Kinder hier, könnten sich einen Kurs nicht leisten, erzählt Pjotr Rosochackij:

"Töpfern kostet im Stadtzentrum fünf bis sieben Euro; bei uns ist das gratis. Hier kann man außerdem Englisch lernen, einen Computerkurs machen, und wir haben auch Pädagogen für individuelle Nachhilfekurse für Kinder, die in der Schule Probleme oder etwas nicht verstanden haben."

Die Arbeit der ukrainischen Caritas unterstützt auch die Caritas aus Österreich. Die äußerst breite Palette der Hilfe, schildert in Odessa, der Präsident der österreichischen Caritas, Michael Landau:

"Ich denke an die Hilfe für alte Menschen bis hin in den Bereich der Hauskrankenpflege; ich denke an Mütter, die hier mit dem Thema Aids-kranker Kinder zu kämpfen haben; das ist eine der verborgenen Katastrophen hier im Land. Ich denke an die vielen Binnenflüchtlinge, ich denke aber auch an die Kinderzentren in Kiew, in anderen Teilen. Brüchig wird es für Menschen an den Rändern des Lebens."

Die Ukraine ist eine Nation, geschüttelt von Krise und Krieg. Doch selbst nach einem allfälligen Friedensschluss, werden die Kriegsfolgen noch viele Jahre spürbar bleiben. Was bedeuten diese Kriegsfolgen für die Arbeit der ukrainischen Caritas; deren Präsident, Andrij Waskowycz zeichnet ein düsteres Bild:

„Ich bin in Militärkrankenhäusern gewesen, wo ich junge Menschen gesehen habe, 18,19, 20-jährige, ohne Hände und Füße. Das sind Menschen, die ein Leben lang Betreuung brauchen. Das sind Aufgaben, die die Caritas wahrnimmt und wahrnehmen kann, und auf die wir uns vorbereiten müssen. Dasselbe ist mit den traumatisierten Menschen, die durch den Krieg gegangen sind, die man auch begleiten muss, wo wir jetzt psychologische Programme auflegen müssen. Dasselbe ist mit den Flüchtlingen. Wie können wir die Leute wieder in Arbeit bringen, damit sie Trainings machen, um neue Berufe zu erlernen. Aber eine ganz große Aufgabe steht auch vor dem Staat. Wie kann er diese Flüchtlinge kanalisieren, damit sie in Gebiete kommen, wo sie eine Perspektive haben. Wie kann man einen Lastenausgleich schaffen in den Gebieten, wo es sehr viele Flüchtlinge gibt, und wo es wenig Perspektiven für sie gibt. Das sind enorme Aufgaben, und hier bedarf es einer konzertierten Aktion nicht nur der gesamten Gesellschaft, sondern auch der internationalen Gemeinschaft.“

Facebook Facebook