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Makroökonomische Lage der Ukraine zu Jahresbeginn

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Berichte Ukraine
Wirtschaftlich hat die Ukraine ein äußerst schwieriges Jahr hinter und ein weiteres schwieriges Jahr vor sich. Positiv sind die steigenden Budgeteinnahmen und eine umfassende Reform der Steuerbehörden sowie teilweise rückläufige Rückgänge bei wirtschaftlichen Kennzahlen sowie ein prognostiziertes Wirtschaftswachstum von 2 Prozent nach einer neuerlichen Schrumpfung von 10 Prozent im abgelaufenen Jahr. Mit mehr als 40 Prozent wieder enorm hoch war die Inflation, gesunken sind auch wieder die Realeinkommen. Über die wirtschaftliche Perspektive und die Herausforderungen für die Ukraine hat unser Korrespondent Christian Wehrschütz in Kiew mit einem führenden Experten gesprochen, hier sein Bericht:

Wie schwierig die Lage in der Ukraine weiter ist, zeigt ein schon fast paradox anmutender Umstand; so ist der relativ geringere Rückgang der Industrieproduktion nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass der Waffenstillstand in der Ostukraine weitgehend hält; daher nahm in den prorussischen Rebellen-Gebieten von Donezk und Lugansk die Industrieproduktion wieder deutlich zu. Deutlich gestiegen sind im Herbst auch Investitionen in die Landwirtschaft, dem wichtigsten Exportsektor der Ukraine. Doch für die EU gelten Quoten und Russland will Agrargüter der Ukraine überhaupt mit einem Embargo belegen und für übrige Güter Zölle von 15 einheben. Wegen der angespannten Beziehungen zwischen Kiew und Moskau, aber auch wegen der Schwäche des Rubels ist das Handelsvolum massiv gesunken. Dazu sagt in Kiew der Wirtschaftsexperte der Bleyzer-Stiftung Oleg Ustenko:

"In den vergangenen zwei Jahren sind die Exporte nach Russland um zwei Drittel gesunken. 2013 lag der Exportanteil Russlands noch bei etwa 30 Prozent, was nach heutigem Wert etwa 20 Milliarden Dollar ausmachte. 2015 wird der Exportanteil mit Mühe noch bei sieben Milliarden US-Dollar liegen. Somit liegen die Verluste bei 13 Milliarden."

Diese Verluste wird die Ukraine trotz des seit 1. Jänner bestehenden Freihandelsabkommens mit der EU durch Exporte nach Europa nicht kompensieren können. Die Gründe liegen für Oleg Ustenko auf der Hand:

"Die ukrainische Produktion auf dem europäischen Markt nicht konkurrenzfähig. Das gilt sowohl für Qualität und Preis. Daher habe ich große Zweifel, dass die Ukraine 2016 ihren Anteil am EU-Markt wird erhöhen können. In einigen Jahren kann das möglich sein, doch dazu braucht es ernsthafte Investitionen in der Ukraine. Doch wer investiert in einem Land mit der höchsten Korruption in Europa, mit enormen bürokratischen Hindernissen, mit einem schlechten Justizsystem? Somit besteht die grundlegende Herausforderung für die politischen Eliten heuer und 2017 darin, das Investitionsklima zu verbessern. Gelingt das nicht, riskiert man, Produkte mit geringer Wertschöpfung zu exportieren; damit handelt die Ukraine traditionell, Getreide, Metall, und chemische Produkte, und mehr nicht."

Im Vorjahr lagen die ausländischen Direktinvestitionen bei 500 Millionen US-Dollar, 2011 waren es noch 7 Milliarden. Die Regierung muss daher Korruption und Schattenwirtschaft massiv bekämpfen, die auf mehr als 60 Prozent der Wirtschaftsleistung geschätzt wird. Daher klafften statistische Daten und Lebensrealität natürlich auseinander. Zweifellos lebt die Bevölkerung seit zwei Jahren aber unter enorm schwierigen Bedingungen, die Oleg Ustenko so beschreibt:

" 2014 lag die Inflationsrate bei etwa 15 Prozent, 2015 werden es etwa 50 Prozent sein; andererseits sind die Realeinkommen gesunken. So hat die Landeswährung binnen zwei Jahren zwei Drittel ihres Wertes verloren. Das einzige, was den Durchschnittsukrainer derzeit rettet, das ist die Schattenwirtschaft. Wenn die Wirtschaftsleistung pro Kopf heuer offiziell etwa 2.000 US-Dollar beträgt, so kommen durch den Schatten noch etwa 2.000 Dollar dazu. Sollten wir heuer wieder eine hohe Inflation von sagen wir etwa 20 Prozent haben, sollte die Bevölkerung keine Besserung spürt, dann würde ich politische Turbulenzen nicht ausschließen. Dazu können auch Massenproteste zählen, weil sich Wirtschaftsrückgang auch auf den Arbeitsmarkt auswirkt. Das versteht auch die politische Elite, die versucht, eine neue soziale Explosion in der Ukraine zu verhindern."

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