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Reportage aus Donezk und Umgebung

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Berichte Ukraine
Anfang August soll in der Ostukraine auch mit dem Abzug leichterer Waffen begonnen werden. Das haben die ukrainische Führung in Kiew und prorussische Rebellen vereinbart. Ob dieser weitere Schritt zur Entspannung wirklich umgesetzt wird ist fraglich, denn in der Ostukraine wird weiter geschossen – auch mit schwereren Waffen, die bereits längst abgezogen sein sollten. Der Krieg dauert bereits ein Jahr und seine langfristigen Folgen werden immer sichtbarer, nicht wegen der fast zwei Millionen Flüchtlinge und Vertriebenen. Anderseits bemüht sich die Ukraine um Reformen und in den Rebellengebieten gibt es ebenfalls einige Beispiele für den Wiederaufbau; aus Donezk berichtet unser Korrespondent Christian Wehrschütz:

Aus dem Bewegungskrieg vor einem Jahr ist in der Ostukraine ein Stellungskrieg geworden, der vor allem an der sogenannten Waffenstillstandslinie tobt. Natürlich werden auch immer wieder Wohngebiete beschossen, doch der Frontverlauf ist bereits seit Monaten stabil. Immer sichtbarer werden in den Rebellen-Gebieten nun die langfristigen Folgen des Krieges. Dazu zählen die Abwanderung vieler qualifizierter Arbeitskräfte sowie die sinkende Geburtenrate. In einer der Frauenkliniken in Donezk hat sie sich halbiert. Das hat auch damit zu tun, dass das Einzugsgebiet kriegsbedingt kleiner wurde, hängt aber auch damit zusammen, dass Geburtsurkunden, die mit dem Stempel einer der Rebellen-Republiken versehen sind, nirgends anerkannt werden. Häufiger geworden sind Frühgeburten ebenso Blutarmut, Neurosen und Organbeschwerden durch weniger gesunde Ernährung. Stress und Krieg zeitigen aber noch weitere Folgen, erläutert Valentina Sviridowa, stellvertretende Chefärztin der Frauenklinik von Donezk:

„Die Übertragung von Infektionskrankheiten beim Geschlechtsverkehr ist stark und in sehr kurzer Zeit angestiegen. Das hat mit der persönlichen Hygiene zu tun, weil sie natürlich Probleme mit der Wasser- und Stromversorgung beeinflusst.“      

Ein weiteres Problem ist die Arbeitslosigkeit; genauere Statistiken fehlen, doch die Arbeitsämter sind wieder in Betrieb. Gesucht wird etwa ein Busfahrer für 180 Euro im Monat; Friseure, Köche und Schweißer können um die 50 Euro verdienen; dazu sagt der arbeitssuchende Alexander:  

„Ich bin Schweißer; schon ein halbes Jahr suche ich Arbeit. Wenn wir anrufen heißt es immer, wir brauchen zwar einen Schweißer, haben aber kein Geld für den Lohn. Oder man will nur 50 Euro zahlen; so viel brauche ich bereits für die Wohnung; für die Fahrt zur Arbeit reicht es nicht mehr; außerdem haben wir Kinder.“

Nicht nur in Donezk, sondern in jeder größeren Stadt auf dem Gebiet der sogenannten Volksrepublik von Donezk, sind bereits Arbeitsämter aktiv. Zu kämpfen haben sie mit Mängeln aller Art, etwa bei kommunalen Betrieben, die Erwerbslose einstellen könnten. Dazu sagt die Leiterin des Arbeitsamtes der Stadt Harzisk, 30 Kilometer östlich von Donezk, Nadeschda Kiseljewa

„Wir haben nicht genug Autos, um den Müll zu beseitigen; und es gibt zu wenig Treibstoff für die Autos. Außerdem haben wir zu wenige Rasenmäher in der Stadt.“

Zu den positiven Beispielen zählt die Kohlegrube Progress in der Stadt Torez, 70 Kilometer östlich von Donezk. Durch Beschuss fiel im Vorjahr der Strom aus und die Schächte liefen voll Wasser. Vor kurzem konnte sogar ein zweiter Schacht wieder die Förderung aufnehmen; 1900 Kumpel haben wieder Arbeit; sie will aber nicht jeder annehmen, sagt Alexander Serikow, Amtierender Bürgermeister Torez:

„In einer Siedlung sagte der Generaldirektor der Zeche, ich bringe euch 270 Arbeitsplätze, vom Kumpel bis zum Sicherheitsdienst. Wir bauen eure Zeche wieder auf; doch bisher haben nur etwa 60 Personen eine Arbeit angenommen. Die Menschen hängen an der humanitären Hilfs-Nadel, und sind bereit tagelang in der Schlange für Nudeln und Getreide anzustehen. Man muss arbeiten und wiederaufbauen, wobei ich sagen muss, dass Torez am wenigsten von allen Städten beschädigt wurde.“

Torez liegt im Hinterland, wo Ruhe herrscht. Sie darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, wie schwerwiegend die langfristigen Folgen des Krieges für die Rebellengebiete und die Ukraine insgesamt sein werden.

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