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Jahrestag des Majdan und seine Folgen

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Berichte Ukraine
Heute vor einem Jahr erreichten die Kämpfe auf die Unabhängigkeitsplatz in Kiew ihren blutigen Höhepunkt. Binnen weniger Stunden wurden fast 50 Personen erschossen; die Opferbilanz stieg damit binnen 48 Stunden auf fast 100 Personen; sie wegen in der Ukraine heute als die „himmlischen Hundert" bezeichnet. Tote gab es aber auch auf Seiten der Polizei. Denn die Scharfschützen schossen auf Demonstranten und Polizisten; wer sie waren, wer ihren Einsatz befahl ist bis heute unklar. Ein Jahr später sind nur zwei ehemalige Sonderpolizisten in Haft, kein einziger Todesfall auf dem Majdan hatte bisher ein juristisches Nachspiel. Offensichtlich ist jedoch die politische Kettenreaktion. Auf den Sturz von Präsident Viktor Janukowitsch folgte die russische Annexion der Krim und schließlich der Krieg in der Ostukraine, der Europa bis heute in Atem hält. Den Rückblick auf den Majdan hat unser Ukraine-Korrespondent Christian Wehrschütz gestaltet, der auch damals auf dem Majdan war.

Berichtsinsert: Christian Wehrschütz aus Kiew

Insert1: Alexander Hodakowskij, ehemaliger Kommandant der Sondereinheit Alpha

Insert2: Pawlo Dykin, Opferanwalt in Kiew

Insert3: Dmitri Firtasch, Ukrainischer Oligarch (13'39 - 14'02)

Aufsager: Christian Wehrschütz aus Kiew

Gesamtlänge: 3'45

Der Unabhängigkeitsplatz im Herzen der ukrainischen Hauptstadt bietet heute ein friedliches Bild. An die Straßenkämpfe vor einem Jahr erinnern eine Ausstellung und die Bilder der etwa 100 Toten, derer heute besonders viele Kiewer gedenken. Einem Schlachtfeld glich der Majdan am 20. Februar des Vorjahres. Die Straßenschlachten eskalierten und ab dem frühen Vormittag wurde scharf geschossen, von den Sondereinheiten der Polizei, aber auch von Demonstranten und von Scharfschützen, die offensichtlich auf beide Konfliktparteien feuerten. Als Chef einer Sondereinheit der Polizei war damals am Majdan auch Alexander Hodakowskij im Einsatz, der heute zur Führung der sogenannten Volksrepublik von Donezk zählt:

„Was die Scharfschützen betrifft, ist die Sache klar. Geschossen haben nicht die Sonderheiten, sondern eine Seite, die einen Konflikt provozieren wollten. Was man im Internet sieht, dass sind Angehörige der Sondereinheit Omega, die den Rückzug der Truppen des Innenministeriums deckten, und die Teilnehmer auf dem Majdan erschossen haben"

Zu den Scharfschützen kursieren viele Theorien; Moskau habe sie eingesetzt, die USA, radikale Majdan-Führer, die keinen politischen Kompromiss wollten lauten die Spekulationen. Was bleibt sind 100 Tote und zwei verhaftete Sonderpolizisten, ohne ein einziges abgeschlossenes Strafverfahren, auch was die getöteten Polizisten betrifft. Für dieses Schneckentempo gibt es auch objektive Gründe:

„Etwa 90 Prozent der Dokumente im Innenministerium wurden sofort vernichtet; das betrifft auch die Einsatzbefehle für alle Einheiten, wobei etwa 15.000 Sicherheitsorgane an der versuchten Zerschlagung des Majdan beteiligt waren. Die Waffen wurden auf die Krim gebracht. Somit haben wir große Probleme mit den Beweisen. Hinzu kommt, dass viele Beteiligte nach Russland und auf die Krim geflohen sind."

Auch Viktor Janukowitsch floh schließlich auf die Krim; noch am Nachmittag des 21. Februar hatten er und die Oppositionsführer unter Vermittlung von drei Außenministern aus der EU einen politischen Kompromiss ausgehandelt; doch einerseits zerfiel seine Herrschaft, andererseits lehnte auch die Majdan-Bewegung diesen Kompromiss ab

„Janukowitsch hatte kein Dokument, sondern seine Kapitulationsurkunde unterschrieben. Leider gelang es den Oppositionsführern nicht, den Majdan auf diese Linie zu bringen. Sonst gebe es heute nicht den Krieg im Donbass, die Krim wäre unser und nichts Besonderes wäre geschehen, hätten die Präsidentenwahlen nicht im Mai sondern im November stattgefunden."

Der Oligarch Dmitri Firtasch sitzt seit einem Jahr in Wien fest, weil das Auslieferungsbegehren noch immer nicht abgeschlossen ist, das die USA angestrengt haben. Bei den Gedenkfeiern am Majdan fehlte er daher heute. Dort spielte ein anderer Oligarch die zentrale Rolle, Petro Poroschenko, der Präsident der Ukraine; das mangelnde Kriegsglück im Osten schadet seiner Popularität. Mit Mozarts Requiem wurde der Opfer am Majdan gedacht, für die Tausenden Opfer des Krieges muss die passende Musik wohl noch gefunden werden.
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