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Mariupol zwischen Frontstadt und Wahlkampf

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Berichte Ukraine


Am Sonntag in einer Woche finden in der Ukraine Parlamentswahlen statt. Gewählt wird auch in Mariupol, im Kreis Donezk. Die Hafen- und Industriestadt ist von besonders großer Bedeutung für die ukrainische Wirtschaft. Zunächst monatelang in der Hand prorussischer Rebellen konnten ukrainische Truppen erst im Juni das 480.000 Einwohner zählende Mariupol wieder unter ihre Kontrolle bringen. Ende August stand die Stadt wohl neuerlich knapp vor einem Machtwechsel, doch der Waffenstillstand verhinderte nicht nur eine Übernahme durch die Rebellen, sondern auch massive Zerstörungen in der Stadt selbst. Über die Lage in Mariupol als Frontstadt im Wahlkampf berichtet aus Mariupol unser Korrespondent in der Ukraine Christian Wehrschütz

Mariupol zählt zu den wenigen Städten der Ostukraine, in denen alle Urnengänge der vergangenen sechs Monate stattgefunden haben. Das gilt für das sogenannte Referendum über die Abspaltung des Kreises Donezk am 11. Mai ebenso wie für die Wahl des ukrainischen Präsidenten, die am 25. Mai stattfand; möglich war diese Wahl in Mariupol, weil der Oligarch der Stadt, Rinat Achmetow, mit seinem Werkschutz die Sicherheit der Wahllokale gegen die prorussischen Rebellen garantierte. Bereits damals in einer Wahlkommissionen tätig war die ehemalige Journalistin Tetjana Tjurewa; für die Parlamentswahl leitet sie nun eine von zwei Bezirkswahlkommissionen; die Lage in Mariupol beschreibt Tetjana Tjurewa so:

„Zweifellos ist der Wahlkampf viel leichter als bei der Präsidentenwahl, vor allem in psychologischer Hinsicht; jetzt gibt es nicht mehr die Banden der Volksrepublik von Donezk, es gibt keine Personen, die die Sicherheit in der Stadt unmittelbar gefährden. Denn unsere ukrainischen Truppen halten die Lage in der Stadt unter Kontrolle. Daher ist es im Vergleich zu den Präsidentenwahlen viel ruhiger.“

Große Parteiveranstaltungen gab es in Mariupol bisher nicht; vereinzelt sind kleine Zelte zu sehen, in denen Parteiaktivisten um Stimmen werben. Weit massiver ist die Plakatwerbung die das Stadtbild sogar stärker prägt als die ukrainischen Truppen, die als Verstärkung in die Hafenstadt entsandt wurden. Den Charakter als Frontstadt betont auch Bürgermeister Juri Hotlubej:

"Wir haben drei Verteidigungslinien um die Stadt, deren Befestigung wir fortsetzen. Dazu zählt die Vorbereitung auf den Dienst unserer Soldaten im Winter, die wir teilweise ebenfalls finanzieren. So haben wir aus dem Stadtbudget etwa 60.000 bereitgestellt, um warme Jacken für die Soldaten zu kaufen. Ihnen helfen wir auch mit Lebensmitteln und mit Treibstoff für Autos. All das finanzieren wird aus dem Budget oder über unsere gemeindeeigenen Betriebe, doch seriöse Hilfe leisten auch private Unternehmen in der Stadt."

Finanzielle Hilfe leistet die Stadt auch den etwa 15.000 Binnenvertriebenen, die aus anderen Teilen der Ostukraine gekommen sind. Dazu sagt Juri Hotljubej:

"Wir haben die Ausgaben für die Binnenvertriebenen übernommen, die in unseren Studentenheimen und Internaten wohnen; wir helfen mit Lebensmitteln und Medikamenten und wir bezahlen auch alle kommunalen Dienstleistungen aus der Stadtkasse."

Für diese Binnenvertrieben wird es in der Stadt zwei gesonderte Wahllokale geben. Fraglich ist die Höhe der Wahlbeteiligung, allerdings nicht nur der Binnenvertriebenen sondern auch der Bewohner von Mariupol überhaupt. Dazu sagt die Leiterin einer Kresiwahlkommission, Tetjana Tjurewa:

„Es gibt verschiedene Untersuchungen der Wahlkampfstäbe der Parteien. Die pessimistischste Prognose geht von einer Wahlbeteiligung von zehn Prozent aus; die optimistischste rechnet mit 33 Prozent.“

Bei der Präsidentenwahl lag die Beteiligung in Mariupol bei etwa 14 Prozent der 345.000 Stimmberechtigten. Damals herrschte auch Angst, heute dürfte die Apathie das größte Problem sein, weil viele Bürger nicht daran glauben, dass die Parlamentswahl zu Frieden und einer Besserung der sozialen Krise führen wird, in der die Ukraine steckt.

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