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Reportage aus Donezk und Umgebung

Sonstiges
ZiB2
Berichte Ukraine


In der Ukraine wird der vor sechs Wochen in Minsk beschlossene Waffenstillstand immer brüchiger. Mehr als 300 Zivilisten sollen seither getötet worden sein, und auch heute gab es wieder Kämpfe zwischen pro-russischen Rebellen und ukrainischen Truppen. Etwa 100 Soldaten sollen im Bezirk von Lugansk von Rebellen eingekesselt worden sein, sieben Zivilisten starben bei einem Raketenangriff auf ein Dorf in der Nähe der Hafenstadt Mariupol. Weiter gekämpft wird auch um den Flughafen von Donezk; morgen sollen die Präsidenten der Ukraine und Russlands Petro Poroschenko und Vladimir Putin, beim EU-Asien-Gipfel in Mailand zum ersten Mal seit August wieder zusammentreffen. Fraglich ist aber, ob dieses Treffen für die Menschen in der Ostukraine spürbar positive Folgen haben wird.

Berichtsinsert: Christian Wehrschütz aus der Ostukraine

Insert1: Lilia Djulbanowa (48) Milchbäuerin in der Ostukraine

Insert2: Rebellen-Kommandant Givi

Insert3: Ula Solwang, Vertreter von Human Rights Watch in der Ostukraine

Aufsager: Christian Wehrschütz aus der Ostukraine

Gesamtlänge: 2’57

Eine Siedlung in der Gemeinde Novotrojzkoe, 30 Kilometer südlich von Donezk. Hier waren heute Beobachter der OSZE unterwegs, um Kriegsschäden zu dokumentieren. Der Feuerpause zum Trotz wurde das Anwesen dieses Milchbauern vor zwei Tagen mit Artillerie beschossen. Durch Schrapnells getötet wurde ein Kalb; einen Liter Milch verkauft der Bauer um 40 Cent; beschädigt wurden Maschinen und vor allem die Schieferdächer. 60 neue Platten kosteten insgesamt 350 Euro:

„Das haben mich nur die Schieferplatten für den Stall gekostet, doch was ist mit dem Rest. Ich habe alles ausgegeben, damit wir die Kühe über den Winter bringen. Doch wie viel Milch muss ich verkaufen, um den Rest kaufen zu können.“

Im Gegensatz zum Bauernhof ist der Flughafen von Donezk knapp drei Jahre nach seiner Eröffnung nur mehr eine Trümmerlandschaft. Den Großteil der Ruinen kontrollieren pro-russische Rebellen; alle Versuche einer Rückeroberung durch ukrainische Truppen scheiterten bisher, doch die Kämpfe dauern an. Strategisch ist der Flughafen wertlos; seine Bedeutung für die pro-russischen Rebellen hat einen anderen Grund:

„Je weiter weg wir sie verjagen, desto ruhiger können die Bewohner von Donezk schlafen.“

Durch die Kämpfe um den Flughafen leiden vor allem die angrenzenden Bezirke von Donezk. Seit Beginn der Feuerpause vor mehr als sechs Wochen sollen etwa 300 Zivilisten in der Ostukraine getötet worden sein; ein guter Teil dürfte auf das Konto ukrainischer Kräfte gehen:

„Wir analysieren, welche Waffen verwendet wurden, woher etwa Raketenwerfer abgefeuert wurden; dadurch können wir mit einer gewissen Sicherheit die Richtung bestimmen; und in den meisten Fällen kommen die Angriffe auf die Stadt Donezk von Regierungstruppen.“

Trotz alledem haben die Kämpfe um Donezk spürbar nachgelassen; daher sind auch viel mehr Menschen auf den Straßen, das Stadtbild belebt sich, der Verkehr hat zugenommen. Schulen haben seit Anfang Oktober wieder ihren Unterricht aufgenommen; allerdings nicht in der ganzen Stadt, und auch die Zahl der Schüler ist oft geringer als noch vor einem Jahr. Lebenswillen demonstriert auch die Kultur. Mit der Fledermaus von Johann Strauss nahm dieses Theater im Stadtzentrum seinen Spielbetrieb wieder auf. Kriegsbedingt fehlt ein Drittel des Ensembles nach wie vor, während das Publikum in diesen tristen Zeiten für jede Zerstreuung dankbar ist; denn die Probleme, vor denen die Ostukraine steht, sind deprimierend genug.

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