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Die Krise in Donezk und die Kirchen

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Berichte Ukraine


Nach der Entscheidung der prorussischen Separatisten ein Referendum in der Ostukraine über die Loslösung von Kiew durchzuführen, haben sich in diesem größten Flächenstaat Europas die Spannungen neuerlich verschärft. Damit steigt unter der Bevölkerung auch die Angst vor einem Abgleiten der Region in einen Bürgerkrieg. In der Provinzhauptstadt Donezk betet jeden Tag eine kleine Gruppe von Gläubigen für den Frieden, wobei an diesem Friedensgebet auch verschiedene Religionsgemeinschaften teilnehmen. Doch eine allumfassende Kooperation der Kirchen für den Frieden gibt es nicht. Grund dafür sind nicht zuletzt Gegensätze zwischen der Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats und den übrigen Religionsgemeinschaften. Dabei geht es nicht nur um nationale Fragen, sondern auch um den Anspruch der russischen Orthodoxe auf die Rolle eines „primus inter pares“, der eine schlagkräftige Zusammenarbeit erschwert. Über die Lage in Donezk hat unser Korrespondent Christian Wehrschütz für die Orientierung einen Beitrag gestaltet.

Insert1: Sergej Kosjak, Koordinator des Gebetsmarathons, Vereinigung Assemblies of God:

Insert2: Igor Koslowski, Präsident des Zentrums für Religionsforschung

Insert3: Igor Koslowski, Präsident des Zentrums für Religionsforschung

Insert4: Bischof Stepan Minjok, Exarch der Diözese von Donezk und Charkiw

Insert5: Andrej Svirsa, Pastor der Christengemeinde „Hütte Davids“

Gesamtlänge:

Die Stadt Donezk zählt fast eine Million Einwohner. Ihr zentrales Verwaltungsgebäude ist seit Wochen in der Hand prorussischer Separatisten, die heute ein sogenanntes Referendum über die Loslösung von der Ukraine abhalten. Zusammenstöße am Leninplatz forderten bisher einen Toten. Die Furcht vor einem Bürgerkrieg ist groß, auch wegen der mehr als 40 Toten in der Hafenstadt Odessa. Für Frieden und Landeseinheit beten Ukrainer täglich am Platz der Verfassung. Zum sogenannten Gebetsmarathon versammeln sich seit 70 Tagen vor allem Gläubige kleinerer Religionsgemeinschaften:

„Wenn die sogenannten Separatisten und die proukrainischen Kräfte verstehen, dass sie dasselbe Ziel haben, und zwar die Korruption in unserer Gesellschaft zu beseitigen, dann werden sie verstehen, dass wir einen Feind haben – das Böse. Hauptsache ist, dass dieses Böse nicht in das menschliche Herz eindringt. Wir erwarten, dass Gott unser Gebet erhört, und das Liebe Frieden und die territoriale Integrität unseres Landes kommt.“

Der Bezirk Donezk weist neben Kiew die größte kirchliche Vielfalt der Ukraine auf. 1.800 kirchliche Organisationen sind registriert, von islamischen Gruppen bis zu protestantischen Kirchen, die besonders aktiv sind. Gering ist aber die Zahl aktiver Gläubiger; sie wird auf weniger als zehn Prozent der 4,5 Millionen Einwohner des Bezirks geschätzt. Der sowjetische Atheismus wirkt noch nach; durch die Krise wächst aber die Bedeutung der Kirchen wieder:

„Die Kirchen haben Einfluss, weil sie Autorität besitzen. Sie gehören dem Komitee der Patriotischen Kräfte an, das für Frieden und für die Landeseinheit eintritt. Auch die Kirchen rufen die Menschen auf, die Waffen niederzulegen und zu verhandeln. Dazu zählt der Gebetsmarathon. Daran nimmt zwar das Moskauer Patriarchat nicht teil, doch Metropolit Ilarion hat alle Gläubigen aufgerufen, nicht an separatistischen Aktionen teilzunehmen."

Die russisch-orthodoxe Kirche ist die relativ größte Religionsgemeinschaft in Donezk. Sie war zu keinem Interview bereit. Der Bezirk ist kulturell russisch geprägt; daher ist die Haltung des Moskauer Patriarchats besonders wichtig. Es beansprucht eine Sonderstellung, darunter leidet natürlich die Zusammenarbeit der Kirchen. Politisch übt es Zurückhaltung; an Barrikaden findet man zwar religiöse Symbole, doch Priester treten kaum in Erscheinung:

Öffentlich werden keine Sympathien für den Separatismus ausgedrückt. Es gibt einige Fälle, wo einige Priester und Mönche dazu aufgerufen haben, dass Menschen an extremistischen Aktionen teilnehmen. Doch das ist keine massenhafte Erscheinung."

Zu den Trägern der ukrainischer Identität in Donezk zählt die Griechisch-Katholische Kirche, eine Orthodoxe Kirche, die das Primat des Papstes anerkennt. In ihren Gottesdiensten wird ebenfalls zum Frieden aufgerufen. Die Angst prorussische Kräfte vor massiver Ukrainisierung wird als übertrieben empfunden; tatsächlich führt die ukrainische Sprache in Donezk nur ein Schattendasein:

"Die russische Sprache wird hier überhaupt nicht unterdrückt. Vielleicht ist es sogar für Ukrainisch schwieriger zu überleben. Wenn sie jetzt im Zentrum ukrainisch sprechen würden, dann würde man sie als Faschisten ansehen, und das nur, weil Du ukrainisch sprichst. Unsere Beziehungen zum Moskauer Patriarchat sind nicht schwierig, weil wir keinen Kontakt haben. Trotzdem kann man nicht von gespannten Beziehungen sprechen.“

Religiöse Konflikte blieben Donezk bisher erspart. Groß sind aber die politischen Gegensätze, die die massive wirtschaftliche und soziale Krise zusätzlich verstärkt. Für ihre Überwindung beten Gläubige täglich auch beim Gebetsmarathon.

„Ich glaube daran, dass Gott für die Ukraine eine neue Zukunft vorbereitet; in der dann jeder Ukrainer gesegnet leben kann, ein Gehalt bekommt, ins Ausland reisen und auf Urlaub fahren kann, die Rentner ihre Pensionen bekommen, ohne dass das eine besondere Erscheinung ist.“

Diese Hoffnungen zeigen auch die triste Realität, die in der Ukraine allein mit Gottes Hilfe nicht zu überwinden sein werden.

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