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Vor Referendum und nach Siegesfeier

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Berichte Ukraine
In den ukrainischen Bezirken Donezk und Lugansk wollen morgen die prorussischen Separatisten eine sogenannte Volksabstimmung über die Abspaltung der beiden Bezirke von der Ukraine durchführen. Angebracht ist das Wort „sogenannt“, weil mit dem Wort Volksabstimmung Vorstellungen von rechtstaatlichen und demokratischen Standards verbunden sind, die in der Ostukraine vollkommen fehlen. Zu den anarchischen Zuständen tragen auch die Gefechte zwischen ukrainischen Verbänden und Aufständischen bei, die gestern wieder intensiver geworden sind und mehrere Menschenleben gekostet haben. Aus der Stadt Donezk berichtet unser Korrespondent Christian Wehrschütz:

Am stärksten waren gestern die Gefechte in der Stadt Mariupol am Asowschen Meer, etwa zwei Autostunden von Donezk entfernt. Nach Angaben des Gouverneurs des Bezirks wurden bis zum Abend sieben Personen getötet und 39 verletzt; der ukrainische Innenminister veröffentlichte auf seiner Facebook-Seite die Zahl von 20 Toten, eine Form der Medienpolitik, die von so manchem Bewohner in Donezk als geschmacklos empfunden wird, weil es für Mitteilungen des Innenministers eigentlich primär andere Foren geben sollte. Abgesehen von den Toten ist besonders besorgniserregend, dass die Ostukraine immer mehr in Anarchie, Chaos und Kriminalität versinkt. Menschrechte werden immer mehr missachtet, und auch Übergriffe auf Journalisten nehmen zu, wie die OSZE in einer Presseerklärung gestern betonte. Denn auf beiden Seiten tragen immer mehr Personen Waffen, die nur als zweifelhafte Elemente bezeichnet werden können. So besteht auch die sogenannte ukrainische Nationalgarde aus Freiwilligen, die im Schnellverfahren bewaffnet wurden und kaum mit regulären Truppen gleichgesetzt werden können. Abgesehen von diesem Chaos gibt es noch viele andere Gründe, warum man das sogenannte Referendum prorussischer Kräfte nur als Farce bezeichnen kann. Dazu zählt das Fehlen flächendeckender Wählerlisten. Dazu sagt in Donezk Boris Litwinow, einer der Verantwortlichen für die Volksabstimmung:

"Der ukrainische Staatssicherheitsdienst hält die Wählerlisten unter Verschluss, weil er nicht will, dass sie uns in die Hände fallen. In einigen Städten haben wir diese Listen trotzdem; wo wir sie nicht haben, wird es offenen Listen geben. Jeder Bewohner seiner Stadt, der mit seinem Pass ins Wahllokal kommt, wird dann in die Wählerliste aufgenommen und er kann abstimmen."

Mehrfacher Stimmabgabe ist damit Tür und Tor geöffnet, weil wohl niemand sich die Mühe machen wird, die Einträge nach der Abstimmung zu vergleichen. Hinzu kommt das Fehlen von organisierten Wahllokalen und deren Kundmachung. Formel sind im Bezirk Donezk 3,2 Millionen Bürger stimmberechtigt. Zu den gestrigen Siegesfeiern zum Ende des Zweiten Weltkrieges konnten die prorussischen Kräfte in der 900.000 Einwohner zählenden Stadt Donezk bestenfalls 1.000 Anhänger auf dem Lenin-Platz zusammentrommeln. Mehr als ein Programm zur Minderheitenfeststellung dürfte das Referendum eigentlich nicht werden, doch unter diesen anarchischen Verhältnissen ließe sich ein Volkswille auch beim besten Willen nicht ermitteln.

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