Mariupol zwischen Umweltbelastung, sozialer Krise und Demonstranten für Russland
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Berichte Ukraine
Mariupol ist im Donbass-Gebiet als Hochburg der griechischen Minderheit und als Standort von drei bedeutenden Industriekombinaten bekannt. Dazu zählt das größte Stahlwerk der Ukraine, das Rinat Achmetow, dem reichsten Oligarchen der Ukraine gehört. Achmetow hat mit der Modernisierung des Werks begonnen, trotzdem ist die Umweltbelastung auch durch dieses Werk nach wie vor hoch. Immerhin ist aber die Luft in Mariupol nicht mehr zum Schneiden, wie das noch vor einigen Jahren der Fall war. Die Wirtschaftskrise zeigt auch der Hafen, wo kaum jemand arbeitet. Das Asowsche Meer macht den Eindruck einer Gloake, trotzdem nutzen es Bewohner zum Baden und Fischen. Die Unzufriedenheit mit Kiew ist groß; prorussische Kräfte halten die Stadtverwaltung besetzt. Versuche einer Rückeroberung scheiterten; Spuren davon tragen die ausgebrannte Bank eines Oligarchen und die zerstörte Zentrale einer pro-ukrainischen Partei. Besonders erbittert sind die Demonstranten über die mehr als 40 Toten in Odessa. Dazu sagt eine Frau:
„Wenn die Regierung angeordnet hat, das Volk zu ermorden, dann stellt sich die Frage, ob eine derartige Regierung überhaupt das Land führen kann. Das sind einfach nur Mörder."
Ausländische Journalisten die mit einem Kameramann vor der Stadtverwaltung auftauchen, werden sofort angesprochen. Sie dienen offensichtlich als Blitzableiter für Bürger, die jedenfalls in Kiew bisher kein Gehör finden. Rasch bildet sich eine Menschentraube von etwa 20 Personen, vorwiegend resolute Frauen in den besten Jahren. Deutlich wird der Hass auf Amerika und auf die neue Führung in Kiew, die als Ansammlung von Faschisten betrachtet wird. Statt für die EU, ist man für die Anbindung an Russland. Dazu sagt eine rothaarige, korpulentere Frau:
„Unsere Fabriken arbeiten mit Russland zusammen. Viele sind seit Jahresbeginn arbeitslos und bekommen kein Gehalt. Wenn die Westukrainer für die EU sind, dann ist das ihre Meinung. Doch auch unsere muss man achten. Wir wollen nur normal leben und unsere Kinder ernähren.“
Deutlich spürbar ist die Existenzangst der Menschen. Pensionisten klagen, dass sie mit ihrer Rente von knapp 100 Euro nicht auskommen können. Ein Familienvater hält seine vierjährige Tochter im Arm und klagt, dass er in ganz Mariupol kein Insulin für seine Tochter bekommen kann. Den Ausweg aus der Misere soll das Referendum bringen, das die prorussischen Kräfte auch in Mariupol in einer Woche abhalten wollen. Dabei soll die de facto Loslösung von Kiew bestätigt werden. Wenn diese Abstimmung stattfindet, wird sie kaum europäischen Standrads entsprechen; das sehen die Demonstranten natürlich nicht so, die es einfach satt haben, zentralistisch aus Kiew regiert zu werden. Umstritten ist unter den Demonstranten, ob mit der Regierung in Kiew ein Kompromiss noch möglich ist:
"Ich sage so: lasst das Volk zuerst das Referendum durchführen, danach wird es klar sein, was das Volk will. Für das Volk kann ich nicht sprechen, doch ich werde mir anschauen, was weiter sein wird. Wenn sie weiter Leute umbringen, wird es keinen Kompromiss geben."
Mariupol zählt 460.000 Einwohner. Daran gemessen ist die Zahl der Demonstranten eher gering, die Stimmung ist trotzdem explosiv.