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Russlands Sicht auf die Ukraine und den Westen

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Berichte Ukraine
Vier Wochen trenne die Ukraine noch von der vorgezogenen Präsidentenwahl, die durch den Sturz von Amtsinhaber Viktor Janukowitsch notwendig wurden. Doch im Osten und Süden der Ukraine kommt es nach wie vor zu Zusammenstößen zwischen prorussischen und proukrainischen Demonstranten. Ob in diesen Regionen reguläre Wahlen möglich sein werden, bleibt ebenso abzuwarten wie die Reaktion Moskaus auf diese Wahlen. Leonid Petrowitsch Reschnikow, ein hochrangiger ehemaliger sowjetischer Spion, glaubt nicht daran, dass Russland die Wahlen anerkennen wird. Reschnikow wurde im April 2009 vom damaligen Präsidenten Medwedew zum Direktor des Instituts für strategische Studien in Moskau ernannt. Mit ihm hat in Belgrad unser Korrespondent Christian Wehrschütz über die Krise in der Ukraine und ihre mögliche Lösung gesprochen:

Der 1947 als Sohn eines sowjetischen Offiziers in Potsdam geborene Leonid Petrowitsch Reschetnikow sieht in einer Föderalisierung der Ukraine die einzige Lösung für die Krise. Der kulturell russisch geprägte Osten wolle nicht von Kiew dominiert werden und die Mehrheit der Bevölkerung werde dort die Präsidentenwahl boykottieren, die Russland wahrscheinlich nicht anerkennen werde. Dass Moskau die Abspaltung der Ostukraine betreibt, bestreitet der Reschetnikow ebenso wie die Möglichkeit, dass die Sanktionen des Westens Moskau zu einer Änderung seiner Ukraine-Politik veranlassen könnte; Leonid Reschetnikow:

„Wir wissen, dass Europa diese Sanktionen nicht sehr will, dass Europa sehr bemüht ist, selektiv vorzugehen. Doch es gibt einem enormen Druck durch Präsident Obama und die USA. Die europäischen Sanktionen werden uns nicht ernsthaft schaden. Aber sie erschweren die wirtschaftliche Zusammenarbeit, die Russland und Europa brauchen. Bei den USA ist das etwas anderes; sie wollen die Welt beherrschen, mit ihnen ist das komplizierter. Doch diese Sanktionen braucht niemand, und sie bringen auch niemandem etwas.“

Klar macht Reschetnikow, dass Russland weiterhin, die EU-Annäherung der Ukraine ablehnt:

„Das ist eine enorme Bedrohung unserer Wirtschaft. Unser Präsident hat mehrfach erklärt, dass unsere Grenze für einen enormen Warenstrom aus der EU geöffnet würden, sollte die Ukraine auch den wirtschaftlichen Teil dieses Assoziierungsabkommen unterschreiben. Diese Waren würden unsere Wirtschaft unterminieren.“

Doch die Bedeutung der Ukraine für Russland geht weit über wirtschaftliche Interessen hinaus. Vielmehr wird die Unabhängigkeit der Ukraine als Resultat des Zerfalls der Sowjetunion offensichtlich als Betriebsunfall der russischen Geschichte empfunden. In diesem Sinne sagt Leonid Reschetnikow:

„Der größere Teil der Ukraine ist ein untrennbarer Teil der russischen Welt, und zwar nicht nur historisch, obwohl wir eine absolut gemeinsame Geschichte haben. Europa und die USA sprechen immer über die Verbrechen des Kommunismus; ich stimme zu, dass das ein verbrecherisches Regime war. Doch dank Lenin und Stalin entstand die Ukraine, die es bis dahin nicht gab. Warum verurteilt der Westen das Regime, nicht aber auch die von ihm künstlich geschaffene Ukraine, wobei russisches Land abgeschnitten wurde wie Lugansk, Donezk, Odessa und die Krim. Warum meint der Westen, dass die administrativen Grenzen der Sowjetunion in Staatsgrenzen verwandelt werden können?“

Dass Russland diese Grenzen anerkannt hat, zählt offenbar nicht mehr. Darüber hinaus geht es aus der Sicht Moskaus darum zu verhindern, dass die Ukraine im Kampf um geopolitische Einflusssphären gegen Moskau genutzt werden kann. Leonid Reschetnikow:

„In Wirklichkeit interessiert die USA die Ukraine nicht, sondern sie ist ein Instrument im geopolitischen Kampf mit Russland; das ist ein Schlag gegen Russland. Von Charkow bis Moskau sind es 700 Kilometer; wenn in Charkow amerikanische Raketen stehen sollten, dann wären sie so schnell, dass wir unsere nicht einmal starten könnten.“

Den Einwand, dass ein NATO-Beitritt der Ukraine völlig unrealistisch sei, lässt der ehemalige Generalleutnant der sowjetischen Auslandsaufklärung nicht gelten:

„Es ist gar nicht so wichtig, offiziell der NATO beizutreten. Georgien ist kein Mitglied, wird aber derart von der NATO kontrolliert, dass Georgen für uns jedenfalls ein NATO-Land ist, weil es alle militärstrategischen Bedingungen und Aufträge erfüllt, die aus Brüssel kommen.“

Noch geht es vor allem um die Ukraine; demnächst könnte aber auch ihr Nachbar Moldawien in diesen West-Ost Konflikt einbezogen werden. Dort gibt es mit Transnistrien ebenfalls eine abtrünnige Provinz, die für den Anschluss an Russland ist. Transnistrien könnte Moskaus nächster Schachzug sein, erläutert Raschetnikow:

„Die Bevölkerung dieser Region sieht sich als Russen. Dort gibt es 180.000 russische Bürger. Ich denke, dass Russland die Unabhängigkeit Transnistriens anerkennen wird, und zwar schon in naher Zukunft, wahrscheinlich in den kommenden vier bis sechs Wochen.“

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