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Interview mit Bürgermeister von Kertsch zu Krim und Russland

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Berichte Ukraine
Am Sonntag findet auf der Krim das Referendum über den Anschluss der Halbinsel an Russland statt. Von besonderem Interesse ist diese Volksabstimmung für die Bewohner der 150.000 Einwohner zählenden Stadt Kertsch. Sie ist die östlichste Stadt der Krim, liegt an der Mündung von Assowschem und Schwarzen Meer und ist nur sieben Kilometer von Russland entfernt. Unser Korrespondent Christian Wehrschütz hat in Kertsch mit dem Bürgermeister der Stadt über seine Erwartungen für das Referendum und dem voraussichtlichen Anschluss an Russland gesprochen; hier sein Bericht:

Die Stadt Kertsch macht auf den ersten Blick einen sauberen und grünen Eindruck. Im Park vor dem Rathaus stehen sogar ausreichend kleine, verzierte Mistkübel, für ukrainische und russische Städte beileibe keine Selbstverständlichkeit. Knapp 80 Prozent der Bewohner sind Russen; das schlägt sich auch im Stadtbild nieder, wo es abgesehen von wenigen offiziellen Aufschriften nichts Ukrainisches zu entdecken gibt. Kertsch soll auch der Ort für ein russisches Prestigeprojekt sein. Gemeint ist damit der Bau einer sieben Kilometer langen Brücke, die eine Landverbindung zwischen der Halbinsel Krim und Russland schaffen soll. Zur Bedeutung der Brücke sagt der Bürgermeister von Kertsch Oleg Vladimirowitsch Osadtschij:

"Der Bau dieser Brücke zwischen der Krim und dem Kuban ist für uns die wichtigste Frage überhaupt. Derzeit haben wir drei Fähren, die Autos und Personen befördern, weil viele Verwandte auf der jeweiligen anderen Seite haben. Doch diese Brücke wird auch für die Energie-, Gas und Wasserversorgung wichtig sein, die über diese Brücke laufen soll. Doch was den Verkehr betrifft, so müssen heute viele Autos einen Umweg von 450 Kilometern von der Krim nach Russland machen, weil die Kapazitäten der Fähren nicht ausreichend groß sind. Doch die Krim ist hier nur sieben Kilometer von Russland entfernt."

Mehr als die Hälfte der Touristen, die Kertsch besuchen sind Russen. Doch trotz Fremdenverkehr ist die Lage triste, wie die vielen stillstehenden Kräne am Hafen deutlich zeigen. Durch den Anschluss an Russland, soll nun alles besser werden, hofft Oleg Osadtschij, der bereits seit 16 Jahren Bürgermeister ist:

„In acht Jahren haben wir von der ukrainischen Regierung nicht eine einzige Kopeke für die Infrastruktur der Stadt Kertsch bekommen. Heute ist unsere Infrastruktur verschlissen; das gilt für die Wasserleitungen, die Kanalisation, für die Straßen, die Straßenbeleuchtung, eben für alles, was wirklich das tagtägliche Leben eines Einwohners betrifft. Wichtig ist aber auch die soziale Lage der Menschen. Die Pensionen und Löhne sind heute so niedrig, dass sich nicht einmal eine Kritik daran lohnt. Wenn die Krim Teil Russlands wird, dann wird es Umbrüche geben und nicht alles sich gleich zum Besseren wenden; doch diese soziale Frage wird gelöst werden, denn wir müssen den Menschen hier ihren Lebensabend garantieren, war wir derzeit aber nicht tun.“

Ein Drittel der 150.000 Einwohner sind Pensionisten, ein Drittel hat Arbeit, der Rest entfällt auf Kinder, Studenten und Erwerbslose. Viele Pensionisten müssen mit einer Rente von weniger als 140 Euro auskommen. Für diese Misere wird ebenfalls die Ukraine verantwortlich gemacht. Wie groß die Unsicherheit der Bevölkerung vor dem Referendum auch in Kertsch ist, zeigte eine lange Schlange vor einer Bank. Dort warteten Kunden darauf, 100 Dollar an Erspartem abheben zu können. Mehr gibt die Bank täglich nicht aus, um einen Run auf ihre Konten vor dem Referendum zu verhindern.

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