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Interview mit Alexander Vucic

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Kleine Zeitung
Berichte Serbien

CW: Nach den gewaltsamen Ausschreitungen oppositioneller Demonstranten vor zehn Tagen hat sich nun der Vorstand ihrer Fortschrittspartei einstimmig für Neuwahlen ausgesprochen. Mögliche Termine sind Juni oder der Frühling kommenden Jahres. Sie haben sich der Stimme enthalten. Warum?

AV: Es gibt zwei Gründe, warum ich mich der Stimme enthalten habe. Erstens will nicht die Tür für einen möglichen Dialog mit den Albanern im Kosovo schließen, sollten die Albaner die Strafzölle von 100 Prozent aufheben, die sie auf Waren verhängt haben, die in den Kosovo geliefert werden. Ich denke, dass das Gespräch und der Versuch einer Lösung des Kosovo-Problems von entscheidender Bedeutung für die Zukunft Serbiens sind.

Zweitens wollen wir der Welt zeigen, dass Serbien ein stabiles und verantwortungsbewusstes Land ist. Hinzu kommt, dass wir auch um verschiedene ausländische Investitionen kämpfen, über die ich derzeit im Einzelnen nicht sprechen kann. Daher sprechen Interessen des Staates derzeit gegen Neuwahlen. Der Parteivorstand war aber für rasche Neuwahlen, damit der Wille der Wähler gezeigt werden kann. Auf jeden Fall werden wir noch einige Zeit auf die Albaner warten, zeitgleich aber auch für weitere Investitionen und für einen weiteren Abbau der Arbeitslosigkeit kämpfen. Dann wird die endgültige Entscheidung fallen.

CW: Wird das bald sein?

AV: So ist es.

CW: Gibt es irgendwelche Fortschritte oder Neuigkeiten im Zusammenhang mit den Verhandlungen zum Kosovo?

AV: Ich habe nichts Neues zu sagen. Bereits seit fünf Monaten bestehen die Strafzölle gegen serbische Waren; zunächst waren das zehn Prozent, dann 100. Es gibt keinerlei Fortschritt. Die Albaner wollen keine Gespräche, vielmehr haben sie eine Plattform verabschiedet, die eigentlich keine für, sondern gegen einen Dialog ist. Ich bin nicht optimistisch, doch ich rechne noch immer auf westliche Staaten, die Druck auf die Albaner ausüben können, damit sie ihre rechtswidrigen Beschlüsse zurücknehmen. Wenn es nicht dazu kommt, dann ist es gut, den Frieden zu bewahren, auch wenn das nicht leicht sein wird.“

CW: Serbien hat dieser Tage des 20. Jahrestages des Krieges der NATO wegen des Kosovo gedacht. Wie bewerten Sie jetzt die Beziehungen Serbiens zum Westen. Damals hatte Serbien den Status eines internationalen Parias, nunmehr hat es einen ganz anderen internationalen Status und auch das Recht auf eigene nationale Interessen wird anerkannt.

AV: Serbien hat heute viel mehr Freunde, weit mehr Möglichkeiten für gute und normale Gespräche. Serbien ist auf dem Weg Richtung EU, und Serbien hat das Recht auf eigene nationale Interessen. Serbien verhält sich heute auch als souveräner, unabhängiger Staat, der auf dem Weg Richtung EU und daher auch verpflichtet ist, europäische Normen zu erfüllen. Ich würde mir wünschen, dass wir dabei schneller und effizienter sind.

CW: In den Medien war der 20. Jahrestag des NATO-Krieges ein zentrales Thema; viel war die Rede über die Folgen der Bombenangriffe, die Soldaten und die Opfer. Fast nirgends gab es aber eine kritische Bewertung der damaligen Politik Belgrads, die dazu geführt hat, daß Verbündete aus zwei Weltkriegen 1999 Serbien bombardiert haben. Warum wird diese verfehlte Politik nicht stärker thematisiert, damit sich derartige Fehler nicht wiederholen?

AV: Erstens gibt es nichts, was diese Aggression der NATO rechtfertigen kann. Ich glaube, daß das auch die NATO nicht mehr tun würde. Das waren besondere historische Umstände, wo in den USA und Europa viele politische Faktoren auf einer Seite zusammen gekommen sind. Doch besteht kein Zweifel, dass auch wir nicht immer die richtige und beste Wahl getroffen haben. Es gibt auch keinen Zweifel, dass die damalige serbische Führung die Folgen nicht richtig bewertet hat; doch unabhängig davon kann es keinerlei Rechtfertigung für die NATO-Aggression geben. Serbien hätte sich verantwortungsvoller verhalten müssen, trägt aber keine Verantwortung für die Aggression der NATO. Als Regierungschef und serbischer Präsident habe ich mich bemüht und bemühe mich, dass Serbien niemals wieder in eine derartige Lage kommt, das ist alles, was ich dazu sagen kann.“

CW: Wie bewerten Sie den Weg Serbiens Richtung EU und Serbiens Perspektive angesichts der massiven Vorbehalte gegen die Aufnahme neuer Mitglieder in der EU selbst? (5a)

AV: Serbien ist auf dem europäischen Weg. 68 Prozent unseres Warenaustausches haben wir mit der EU, weitere 15 Prozent mit Ländern, die in die EU streben. Serbien will dieser europäischen Gesellschaft angehören. Ja, Serbien hat auch gut Beziehungen zu Russland, die es bewahren will; doch darin sehe ich kein Problem.

Wir sehen uns als Teil Europas, und verlangen nur faire Beziehungen. Doch die EU muss auch sagen, ob sie Serbien will und als Teil dieses Europas sieht. In Belgrad war jüngst die Staatsekretärin des französischen Außenministeriums. Sie sagte, in der EU herrsche Skepsis gegen die Erweiterung, daher sei es schwierig, einen Beitritt in absehbarer Zeit zu erwarten. Was erwartet man dann von Serbien, welche Reaktion von den Serben? Glaubt man, dass die Serben mit Begeisterung sagen werden, danke, dass ihr uns nicht wollt?! Ein, die Serben werden sagen, wir haben auch anderswo Freunde, und über diese Reaktion darf man sich nicht ärgern.“

CW: Die Demonstrationen der serbischen Opposition haben jüngst mit einem Eindringen in die Redaktionsräume des staatlichen TV-Senders RTS geendet. Diese Demonstrationen dauern bereits mehrere Monate und sind nicht nur auf Belgrad beschränkt. Gibt es eine Perspektive für einen Dialog?

AV: Das ist ein freies, demokratisches Land, jeder hat das Recht, zu demonstrieren, aber nur gewaltlos. Doch dann kam es zum gewaltsamen Eindringen in das Staatsfernsehen, und auch beim Sitz des Präsidenten wurde ohne Anmeldung demonstriert und man wollte uns allen hier die Bewegungsfreiheit einschränken. Meine Aufgabe als Präsident ist es, mit jenen zu sprechen, die die Stimmen der Bevölkerung bekommen haben und die Regierung bilden werden. Welche Ideen haben sie denn, welche Vorstellungen haben sie zum Kosovo, gar keine. Sie sind nur gegen alles, was wir vorschlagen. Ich bin Präsident des gesamten Volkes, dessen Interessen ich zu schützen habe; doch ich bin nicht der Präsident dieser kleinen Gruppe, die nur Lärm machen, und nichts anderes.“

CW: Nicht nur die Opposition behauptet, dass die Medienfreiheit in Serbien abnimmt; auch internationale Nicht-Regierungsorganisationen kritisieren die Lage. In der Rangliste der „Reporter ohne Grenzen“ fiel Serbien binnen Jahresfrist um zehn Plätze zurück; als nur mehr teilweise frei bewertet Freedom House die serbischen Medien …

AV: „Ich habe nicht diesen Eindruck, doch ich bin bereit darüber zu reden, damit wir sehen, ob man da etwas tun kann. Doch gibt es jemanden anderen, der in den Medien in Serbien stärker angegriffen wird als ich, gegen den mehr Texte geschrieben werden als gegen mich. Dazu zählen die wichtigsten Zeitungen, hinzukommen zwei TV-Sender, in denen 24 Stunden und sieben Tage die Woche eine Kampagne gegen mich geführt wird. All diese Vorwürfe dienen nur als Ausrede dafür, dass ich bei Wahlen gewonnen habe. Hinzu kommt, dass wir in der Zeit der sozialen Netzwerke leben, die von mehr als 80 Prozent der Bevölkerung genutzt werden. Wichtiger wären eine geringere Polarisierung in den Medien und ein objektiverer Zugang, das wäre am heilsamsten.“

CW: Die Arbeitslosigkeit sinkt, die Ansiedlung ausländischer Firmen und ausländische Investoren nehmen zu, trotzdem ist die Auswanderung junger Menschen ein enormes Problem. Offensichtlich sehen viele keine Perspektive in Serbien. Warum ist das so?

AV: “Die Menschen haben keine Geduld mehr, das ist logisch. Zweitens: bei uns ist die Abwanderung etwas langsamer als in Bulgarien und Kroatien, aber trotzdem dramatisch. Drittens haben wir bereits abertausende Familien in Österreich und Deutschland, die neue Zuwanderer ins Land bringen können. In Serbien muss sich der Lebensstandard dramatisch verbessern, doch das geht nicht über Nacht. In Serbien ist der Lohn von 329 Euro auf 462 Euro im Monat gestiegen, das ist ein Zuwachs um 40 Prozent. Doch das ist nicht genug im Vergleich zu Österreich, wo man 2000 Euro verdienen kann. Natürlich kämpfen wir um einen besseren Lebensstandard und wir tun alles, was in unserer Macht steht.“

CW: Wie bewerten Sie die Zusammenarbeit in der Region?

AV: Am Balkan haben alle gelernt, von der Bedeutung der regionalen Zusammenarbeit zu reden, weil auch alle gelernt haben, was die Europäer hören wollen. Auf jedem Fall ist diese Zusammenarbeit nicht auf dem höchsten Niveau. Es gibt viele Probleme, doch ich hoffe, dass Serbien in dieser Frage nicht am Schlechtesten dasteht. Ich sehe die Zukunft in einem gemeinsamen Wirtschaftsraum und in einer völligen Freiheit von Kapital und Personen. Dann kann der Balkan sogar ein wirtschaftlicher Motor werden. Doch bis dahin werden wir alle eine noch stärkere Auswanderung erleben: wir alle agieren hier wie die Helden, doch der Balkan wird zum entleerten Territorium ohne jedwede Bedeutung. Hügel und Berge sind ein schönes Motiv für Fotos, doch ohne Menschen bedeuten sie nichts. Ich glaube, dass wir klüger werden, die Lehren aus der nahen Vergangenheit verstehen, und begreifen, dass wir nur gemeinsam einen Fortschritt erzielen können.“

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