Altern in Mazedonien und das Rote Kreuz
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Berichte Nord-Mazedonien
Kriva Palanka liegt im Nordosten Mazedoniens im Grenzgebiet zu Bulgarien. Die Stadt zählt 21.000 Einwohner, jeder Fünfte ist offiziell arbeitslos. Abgesehen von einem Bergwerk und zwei Betrieben die Obst verarbeiten und Textilien produzieren, gibt es nur Kleingewerbe. Jeder Zehnte Einwohner ist ein Pensionist, das entspricht dem mazedonischen Durchschnitt. Kriva Palanka hat bisher kein Geld für Heimpflege aufbringen können, und so leistet das Rote Kreuz diese Hilfe. In seiner Kanzlei hängt ein fiktiver Brief; darin wirbt ein alter Mensch bei seinen Kindern um Verständnis:
„Teurer Sohn! Teure Tochter!
Wenn ich mich nicht anziehen kann, übe Geduld mit mir. Erinnere Dich an die Stunden, die ich aufgebracht habe, um Dich zu lehren zu essen und sich anzuziehen. Wenn ich mich nicht waschen will, beleidige mich nicht. Erinnere Dich, wie oft ich habe bitten müssen, um Dich zu baden. Wenn Du siehst, dass ich mich mit moderner Technik nicht auskenne, gib mir Zeit. Auch ich habe Dich viel gelehrt, damit Du Dein Leben meistern kannst.“
Zwei Krankenschwestern und 20 Freiwillige betreuen in Kriva Palanka 60 alte Menschen. Dazu zählt Janka Radevska, die bei ihrer 83-jährigen Mutter in einer kleinen Wohnung lebt. Geistig ist die 59-jährige Janka Radevska sehr rege, doch sie leidet an Knochenschwund und Rheuma. Die Medikamente wirken schlecht, und die Hände der Frau sind völlig deformiert. Daher musste sie vor drei Jahren ihren Beruf als Französischlehrerin aufgeben. Seit damals hatte sie kaum Gelegenheit, die Sprache aktiv zu pflegen; die Betreuung durch das Rote Kreuz lobt Janka Radveska in höchsten Tönen:
„Das ist eine sehr gute Sache, weil mich diese Frauen jeden Mittwoch oder Freitag besuchen. Für mich ist dieser Besuch eine Entspannung, denn ich habe jemanden zum Reden. Sie geben mir eine positive Energie und ich bin sehr glücklich. Ich kann mit ihnen über meine Probleme und meine Medikamente sprechen.“
Warum sie bei ihrer Mutter und nicht bei ihrem Sohn lebt, begründet Janka Radevska so:
„Mein Sohn ist den ganzen Tag beschäftigt. Er geht um acht Uhr in die Schule und kommt erst um 21 Uhr am Abend nach Hause. Meine Schwiegertochter arbeitet als Lehrerin in einem Dorf, während ein Enkel in die Schule geht. Der zweite ist noch keine zwei Jahre alt. Er geht in die Kinderkrippe. Doch die Familie hilft mir; Sie fährt mich zur Kontrolle nach Skopje.“
Die ehemalige Französischlehrerin hat 350 Euro Pension und 70 Euro Zuschuss wegen ihrer Krankheit und damit kein schlechtes Einkommen für mazedonische Verhältnisse. Doch ohne das Rote Kreuz wäre sie hilflos, wie so viele der 60 Betreuten. Das Besondere an den freiwilligen Helfern in Kriva Palanka ist, dass sie mehrheitlich Pensionisten sind. Dazu zählt die 59-jährige Katica Borisovka, die wie alle Helfer drei Menschen betreut und mindestens einmal pro Woche besucht. Das Wichtigste sei der soziale Kontakt, obwohl natürlich auch die praktische Hilfe enorm wichtig sei, betont Katica Borisovka:
„Ich gehe einkaufen, bringe sie zum Arzt, gehe zur Apotheke, um die Medikamente zu besorgen oder koche Suppe. Eine Pensionistin leidet an der parkinsonschen Krankheit; ihr helfe ich beim Aufstehen und gehe mit ihr spazieren. Im Winter bringe ich Holz, räume den Schnee weg oder pflanze für sie Blumen. Ich mache eben alles, was sie brauchen.“
Die Pensionisten in der Stadt sind noch immer weit besser dran als die alten Menschen in den umliegenden Dörfern. Das Rote Kreuz hat ein soziales Raster erstellt, um gezielter helfen zu können. Die Lage in den Dörfern beschreibt Zaklina Cvetkovska, Präsidentin des Roten Kreuzes von Kriva Palanka:
„Die Alten im Dorf sind sehr einsam. Die Haushalte bestehen entweder aus einem Mann oder einer Frau. Die Kinder wandern meistens in die Städte ab und sind derart belastet, dass sie ihre Eltern kaum besuchen. Den Alten fehlt im Dorf jede medizinische Versorgung. Die Wege sind vielfach nicht asphaltiert Zum nächsten Arzt sind es 20, 30 Kilometer. Doch am schlimmsten ist für die Alten, dass sie praktisch von jedem sozialen Leben ausgeschlossen sind. Selbst untereinander können sie kaum kommunizieren, weil sie alt und krank sind.“
Die Schwäche des mazedonischen Staates beim Aufbau einer Heimpflege ist ein Grund, warum das Österreichische Rote Kreuz, ÖRK, und die Österreichische Entwicklungsagentur, ADA, die Altenbetreuung finanziell unterstützen. Das Projekt in den Städten Kriva Palanka, Veles und Skopje ist auf zwei Jahre angelegt. Bei einem Besuch in Skopje bewertet der Generalsekretär des ÖRK, Werner Kerschbaum, die Leistungen sehr positiv:
"Wenn man die Gesamtkosten hernimmt von 200.000 Euro und umlegt auf die 180 Patienten, die betreut werden, dann kommen dann kommen auf jeden Patienten in Summe 50 Euro pro Monat. Und die Wirkung die man mit 50 Euro im Monat erzielen kann, die halte ich für eindrucksvoll."
Dabei ist die demographische Entwicklung in Mazedonien auf den ersten Blick weit besser als etwa in Serbien, das pro Jahr 30.000 Einwohner verliert. Mazedonien dagegen blieb im Zehn-Jahres-Vergleich mit zwei Millionen Einwohnern stabil. Während aber mehr Mazedonier sterben als geboren werden, nimmt der Anteil von Albanern, Roma und Türken zu. Diese Entwicklung hat eine politische Seite. 2001 stand das Land wegen bürgerkriegsähnlicher Kämpfe zwischen Mazedoniern und Albanern am Rande des Zerfalls. Der Friedensvertrag von Ohrid sieht vor, dass überall dort Zweisprachigkeit herrscht, wo mehr als 20 Prozent Albaner leben. Trotzdem leben beide Völker neben- und nicht miteinander, und vor zwei Jahren scheiterte die Volkszählung am Nationalitätenkonflikt. Eine positive Ausnahme bildet das Rote Kreuz mit seinen 3.500 freiwilligen Helfern. Dazu zählt der 20-jährige Albaner Arti Qormemeti, der in Skopje Maschinenbau studiert. Zum Miteinander sagt er:
„Ich bin im Roten Kreuz de facto aufgewachsen und hier fühle ich eine positive Energie auch in dieser Hinsicht. Wir verfolgen eine Strategie des Friedens und können damit viel Einfluss ausüben. Ich glaube wirklich, dass das Rote Kreuz ein Beispiel ist, wie unsere Gesellschaft mit diesem Problem umgehen sollte. Wir haben alle Religionen und Nationen, die an allen Programmen teilnehmen, und das machen wir mit großer Begeisterung.“
Diese Begeisterung ist auch bei der Altenbetreuung spürbar. Ihre Fortsetzung über dieses Jahr hinaus ist aber fraglich, nicht zuletzt weil die Gemeinde Kriva Palanka bisher keinen Anteil an den Kosten übernommen hat. Doch noch gebe es Chancen auf eine Weiteführung, betont Werner Kerschbaum vom Österreichischen Roten Kreuz.
"Wenn wir sagen, pass auf liebe Gemeinde, und wir machen die nächsten zwei Jahre noch die Hälfte von dem Betrag und die Hälfte kommt von Dir, oder wir gewinnen auch Unternehmen als Sponsoren, die ADA hat Regionalprogramme, wo sie auch noch etwas abzweigen kann dafür. Ich werde jedenfalls alles daran setzen, dass wir das über 2013 hinaus solange verlängern bis es nachhaltig ist und man sagen kann, wenn wir uns da jetzt zurückziehen, dann ist Hauskrankenpflege zu mindestens in diesen drei Regionen verankert und hat eine Chance, flächendeckend ausgebaut zu werden."