Der Kirchenkonflikt in Montenegro
Kirchenkonflikte haben am Balkan und in der Ukraine in der Regel keinen religiösen Hintergrund, sondern sind Auseinandersetzung im Zuge der Nationsbildung einzelner Staaten. Ein gutes und aktuelles Beispiel dafür sind die Auseinandersetzungen in Montenegro. Auf der einen Seite stehen die erklärten Befürworter der nationalen Unabhängigkeit und eigenständigen Identität; ihnen gilt die Serbisch-Orthodoxe Kirche als Träger des Serbentums auch im politischen Sinne. Auf der anderen Seite stehen die proserbischen Parteien. Bei der bisher letzten Volkszählung vor zehn Jahren deklarierte sich ein Drittel der Bevölkerung als Serben. Doch etwa zwei Drittel der Bevölkerung sind orthodox, sodass die Serbisch-Orthodoxe Kirche auch Gläubige aufweist, die für die Eigenständigkeit Montenegros sind. Beim Referendum über die Loslösung aus dem Staatenbund mit Serbien stimmten im Jahre 2006 56 Prozent der Bürger dafür, ein Sieg, der nur mit den Stimmen der nationalen Minderheiten der Bosniaken und Albaner erreicht wurde. Die Auseinandersetzung um und mit der Serbisch-Orthodoxem Kirche führte in den vergangenen zwei Monaten zu Protesten und Ausschreitungen; über ihre Hintergründe berichtet nun unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz
Anfang September kam es in und um Cetinje zu massiven Ausschreitungen. Gegner der Serbisch-Orthodoxen Kirche blockierten die Zufahrtsstraßen und versuchten, die Inthronisierung des neuen Metropoliten zu verhindern. Die Demonstranten sehen in dieser Kirche den verlängerten politischen Arm Belgrads in Montenegro. Der Versuch scheiterte, doch der Patriarch der Serbisch-Orthodoxen Kirche, Porfirije, musste mit dem Hubschrauber nach Cetinje gebracht werden. In seiner Predigt ging Porfirije auch auf die kirchen-politischen Spannungen in Montenegro ein und sagte:
0'28 - Porfirije in Cetinje - 1'06'7
"Friede ist das, was hier am nötigsten ist. Von euch erwartet die gesamte Kirche, dass ihr die Klingen schmelzt, dass ihr Brücken baut, dass ihr nicht fragt, wer ist wer, welchem Volk er zugehört, sondern dass ihr der Liturgie dient, und jedem Menschen den Leib Christi spendet und nur nach seinem Namen fragt unter dem er im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes getauft ist."
Historisch sowie in den vergangenen Jahrzehnten spielte die orthodoxe Kirche in Montenegro auch eine politische Rolle; ihr erteilte der neue Metropolit Joanikije bei seiner Einsetzung eine klare Absage:
13‘8 - Joanikije2 - 1'28
"Wir achten konsequent die Trennung von Staat und Kirche, damit beide ungestört voneinander ihrer Arbeit nachgehen. Das ist die beste Voraussetzung für eine gute Zusammenarbeit bei wechselseitiger Achtung und für das Glück und den Fortschritt des einen Volkes, der Gläubigen und Bürger Montenegros, dem beide dienen. Wir achten den Staat und seine Institutionen und werden uns nicht mit Parteipolitik befassen und auch nicht auf die Seite einer Partei stellen."
Ob diese Aussage der Lebensrealität in Montenegro entspricht, ist fraglich. Denn erst im Vorjahr zeigte diese Kirche ihre politische Macht als sie Massendemonstrationen gegen Staatspräsident Milo Djukanovic und seine Regierung organisierte. Er wollte durch ein Gesetz das kirchliche Eigentum unter staatliche Kontrolle bringen, das bis zum Anschluss an Serbien im Jahre 1918 der eigenständigen montenegrinischen Kirche gehört hatte. Unter Führung des damaligen Metropoliten Amfilohije vereinigte sich die Opposition, und Ende August 2020 verloren Djukanovic und seine Partei DPS - zwar nur äußerst knapp aber doch - die Parlamentswahl gegen eine Koalition, in der proserbische Parteien die stärkste Kraft bilden. Ministerpräsident ist seit Anfang Dezember der 63 jährige Zdravko Krivokapic, eine ehemaliger Universitätsprofessor für Maschinenbau. Politisch ins Rampenlicht trat er bei den Demonstrationen der Kirche gegen die Regierung; ohne Amfilohije wäre Krivokapic wohl nie Regierungschef geworden. Seine Zusammenarbeit mit Staatspräsident Milo Djukanovic funktioniert mehr schlecht als recht. Djukanovic zählt auch weiterhin zu den scharfen Kritikern der Serbisch-Orthodoxen Kirche:
Milo Djukanovic
17'06 - Kirche Instrument für Großserbien - 18'15 - 20'20'9 - Bauern - 20'41'7
"Diese Kirche war und ist ein Instrument des großserbischen Nationalismus in der Region und damit der Destabilisierung der Nachbarstaaten, beginnend mit Montenegro. Versucht wird mit Hilfe der Serbisch-Orthodoxen Kirchen die Souveränität Montenegros zu zerstören. Dabei sind die Bischöfe der neuen Kirchenführung gewöhnliche Handlanger nicht nur ihrer Kirche in Belgrad, sondern der politischen Führung Serbiens."
Auch der verstorbene Metropolit Amfilohije sah Montenegro im Grunde als Teil einer serbischen Nation; doch Amfilohije war ein Kirchenfürst mit enormer Autorität, der sich von Belgrad in kirchlichen Belangen nichts dreinreden ließ. De facto war diese Kirche sehr selbständig; doch all diese Attribute gingen mit Amfilohijes Tod verloren, sagt Nikola Martinovic, der für die Regierung unter Milo Djukanovic mit Amfilohije über das umstrittene Religionsgesetz verhandelt hat:
Nikola Martinovic 8’54 - Was bedeutet der Tod Amfilohijes für SPC - 9'46'4
„Nach Amfilohijes Tod wurden alles, was er durch seine persönliche Autorität erreicht hat, beseitigt. So gibt keine montenegrinische Bischofskonferenz mehr, die Kirche trägt nicht mehr den Titel Orthodoxe Kirche in Montenegro, der neu gewählte Metropolit verlor den Titel Erzbischof, der Amfilohije geschmückt hat und auch auf seinem Grabstein steht. Offensichtlich hat der neue Metropolit weder die Kraft noch die Autorität, die Amfilohije hatte und möglicherweise auch nicht den Wunsch, in Montenegro eine Art Unabhängigkeit zu erreichen, sondern sieht Montenegro nur als Teil einer breiteren serbischen Gemeinschaft auf dem Balkan."
Diese These stützt die Formulierung, die Metropolit Joanikije gebraucht, um die Stellung der serbisch-orthodoxen Kirche in Montenegro nach dem Tode von Amfilohije zu beschreiben:
6‘15‘5 - Autonomie nach Amfilohije - 7'19'4
"Als Metropolit Amfilohije von Autonomie sprach, sprach er über jene beschränkte Autonomie, die jede Diözese der Serbisch-Orthodoxen Kirche hat. Denn nach ihrer Verfassung ist unsere Kirche eine Bischofskirche, und jeder Bischof hat im Rahmen seiner Zuständigkeiten eine sehr große Autonomie. die natürlich eingeschränkt ist. Unser Aufbau sieht eine viel größere Selbständigkeit des Bischofs vor als das in der Römisch-Katholischen Kirche der Fall ist."
Deutlich verbessert habe sich das Verhältnis zur neuen Regierung, sagt Joanikije:
11'45 Neue Regierung - 12'54'6
"Dank der neuen Regierung und der neuen Parlamentsmehrheit wurden in dem Religionsgesetz jene diskriminierenden Bestimmungen beseitigt, die das kirchliche Eigentum betrafen. Somit haben wir einen ziemlich geregelten Rechtsrahmen, mit dem wir bis jetzt zufrieden sind. Wir verhandeln jetzt über einen Vertrag zwischen der Serbisch-Orthodoxen Kirche und dem montenegrinischen Staat. Ich denke, dass wir einer Vereinbarung schon ziemlich nahe sind; diese Verhandlungen führen der Heilige Synod und die Regierung, und ich sehe keinen Grund, dass es nicht zu einer derartigen Vereinbarung kommen sollte."
Zum Inhalt des Vertrages wollten weder der Metropolit noch Ministerpräsident Zdravko Krivokapic eine konkrete Aussage machen. Daher ist unklar, in welchem Ausmaß diese Vereinbarung von Verträgen abweicht, die die Regierung bereits mit der islamischen Gemeinschaft und der Katholischen Kirche unterzeichnet hat. Interessant ist im Falle der Orthodoxen Kirche ein Lokalaugenschein im Kloster Ostrog, das im Sommer viele Tausende Gläubige besuchen. Beim Kauf von Devotionalien und Souvenirs wurde keine Rechnung ausgestellt. Wie sehr kommt diese Kirche eigentlich ihrer Steuerpflicht nach? Darauf antwortet Ministerpräsident Krivokapic eher ausweichend:
21'51'3 - Steuerpflicht der SPC Ostrog - 22'15
"Sie haben eine Frage gestellt, die sicherlich keinen der bestehenden Verträge und auch nicht den neuen Vertrag kennzeichnet, der sehr rasch unterzeichnet werden wird. Wir werden gesondert über das Steuergesetz, das in Vorbereitung ist, all das regeln und zwar ebenso wie in den Staaten der EU."
Selbst wenn all dieser Fragen geregelt sein sollten, bleibt ein beträchtliches kirchen-politisches Konfliktpotential bestehen. Entzünden könnte sich der nächste Konflikt am Lovcen um die letzte Ruhestätte von Petar II. Petrovic Njegos, der im Oktober 1851 starb. Njegos war der bedeutendste politische und geistliche Führer Montenegros, aber auch der Dichter des „Bergkranzes“, einem der wichtigsten Werke auch der serbischen Literatur. Bis 1916 ruhte er in einer Kapelle, die jedoch durch österreichischen Artilleriebeschuss schwer beschädigt wurde. 1925 wurde Njegos im Beisein von König Alexander aus der serbischen Dynastie der Karadjordejvic in einer Kapelle beigesetzt, die nicht dem historischen Original entsprach. Sie wurde 1952 nach der kommunistischen Machtergreifung durch das noch heute bestehende Mausoleum ersetzt; hier ruht Njegos bis heute. Die serbisch-Orthodoxe Kirche fordert bereits viele Jahre die Wiederrichtung dieser Kapelle und die neuerliche Umbettung der sterblichen Überreste des Njegos, während montenegrinische Nationalisten strikt dagegen sind. Dieser Streit symbolisiert den weiterhin tobenden Kampf um die nationale Identität Montenegros, bei dem sich die serbisch-Orthodoxe Kirche zweifellos mit überwältigender Mehrheit als Wahrer des Serbentums versteht.