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Die politische Krise in Montenegro

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Berichte Montenegro

Vor einem Jahr kam es in Montenegro zum ersten Mal seit 30 Jahren zu einem Machtwechsel. Am 30 August verlor die DPS, die Partei von Staatspräsident Milo Djukanovic die Parlamentswahl, und die vereinigte Opposition gewann im Parlament eine hauchdünne Mehrheit von einem Mandat. Politisch ist das Land somit tief gespalten, und zwar nicht nur deswegen, weil die Zusammenarbeit zwischen Präsident und Regierungschef mehr schlecht als recht funktioniert. Denn die Parteien, die die Regierung im Parlament stützen, sind sehr heterogen; sie reichen von serbischen Ultranationalisten bis hin zu einer grünen Kleinpartei; all diese Gruppen eint nur die Gegnerschaft zu Milo Djukanovic, und das ist politisch nur ein sehr kleiner gemeinsamer Nenner. Hinzu kommen in Montenegro noch die umstrittene Rolle der serbisch-orthodoxen Kirche und das schwierige Verhältnis zum serbischen Nachbarn. Mit den Entscheidungsträgern in Montenegro hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz gesprochen; hier sein Bericht:

Anfang September kam es in und um Cetinje zu massiven Ausschreitungen. Gegner der Serbisch-Orthodoxen Kirche blockierten die Zufahrtsstraßen und versuchten, die Inthronisierung des neuen Metropoliten Joanikije zu verhindern. Die Demonstranten sehen in dieser Kirche den verlängerten politischen Arm Belgrads in Montenegro. Der Versuch scheiterte, doch der Patriarch der Serbisch-Orthodoxen Kirche, Porfirije, musste mit dem Hubschrauber nach Cetinje gebracht werden. Nach seiner Amtseinsetzung ging Jonaikije auch auf die kirchen-politischen Spannungen in Montenegro ein und sagte:

13‘8 - Joanikije2 - 1'28

"Wir achten konsequent die Trennung von Staat und Kirche, damit beide ungestört voneinander ihre Arbeit tun können. Das ist die beste Voraussetzung für eine gute Zusammenarbeit bei wechselseitiger Achtung. Wir achten den Staat und seine Institutionen und werden uns nicht mit Parteipolitik befassen und auch nicht auf die Seite einer Partei stellen."

Ob diese Aussage der Lebensrealität in Montenegro entspricht, ist fraglich, weil die serbisch-orthodoxe Kirche in dem 600.000 Einwohner zählenden Balkan-Land ein politischer und wirtschaftlicher Machtfaktor ist. Politisch zeigte die Kirche im Vorjahr ihre Macht als sie Massendemonstrationen gegen ein Gesetz organisierte, mit dem die Regierung unter Staatspräsident Milo Djukanovic das kirchliche Eigentum unter ihre Kontrolle bringen wollte, das bis zum Anschluss an Serbien im Jahre 1918 der eigenständigen montenegrinischen Kirche gehört hatte. Djukanovic und seine Partei DPS verloren Ende August 2020 - zwar nur äußerst knapp aber doch - die Parlamentswahl gegen eine Koalition, in der proserbische Parteien die stärkste Kraft bilden. Die Rolle der Kirche bewertet Djukanovic so:

Djukanovic 17'06 - Kirche für Großserbien - 18'15 - 20'20'9 - Bauern - 20'41'7

"Diese Kirche war und ist ein Instrument des großserbischen Nationalismus in der Region und damit der Destabilisierung der Nachbarstaaten, beginnende mit Montenegro. Das ist nichts Neues, wird aber auch im Westen leider vergessen. Dabei sind die Bischöfe der neuen Kirchenführung gewöhnliche Handlanger nicht nur ihrer Kirche in Belgrad, sondern der politischen Führung Serbiens."

Die politischen Kräfteverhältnisse in Montenegro sind kompliziert; im Parlament mit seinen 81 Abgeordneten verfügen die Parteien, die die Regierung von Ministerpräsident Zdravko Krivokapic unterstützen, über 41 Abgeordnete und damit nur über eine hauchdünne Mehrheit. Doch diese Mehrheit bilden Parteien, die nur die Gegnerschaft zu Milo Djukanovic eint, der nach wie vor Staatspräsident ist. Aus seiner Sicht stellt sich die politische Lage so dar; Milo Djukanovic:

7'36'4 - Parlament wie - 9'23‘2

"Es gibt keine Einbindung der Opposition, sondern die Regierungsparteien, die nur ein Mandat mehr haben, überstimmen mit großer Leidenschaft die Opposition. Damit soll die Entschlossenheit der Regierung demonstriert werden, mit der Vorgängerregierung abzurechnen. Zweitens haben sich ernsthafte Brüche innerhalb der Regierungsparteien gezeigt, wobei Zweidrittel dieser Mehrheit die Demokratische Front bildet, die die politische Armee des serbischen Präsidenten in Montenegro ist. Diese Parteien erpressen ihre Koalitionspartner; somit funktioniert auch diese Koalition nicht, weil die Demokratische Front als Anhänger Großserbiens der Regierung vorwirft, dieser Idee gegenüber nicht loyal zu sein."

Ministerpräsident ist nun seit Anfang Dezember der 63 jährige Zdravko Krivokapic, eine ehemaliger Universitätsprofessor für Maschinenbau. Politisch ins Rampenlicht trat er bei den Demonstrationen der Kirche gegen die Regierung; Doch geschützt auf weitere zwei kleinere Koalitionspartner zeigte sich Krivokapic alles andere als ein Handlanger der proserbischen Parteien; sie sind in seinem Kabinett gar nicht mit Ministern vertreten, das eine Regierung aus Personen ist, die sich selbst als parteilose Experten sehen. Zwar sieht auch Zdravko Krivokapic ein enges Verhältnis zwischen beiden Staaten, betont aber:

23'49'9 - Beziehungen CG und Serbien - 24'12

"Ich habe mehrfach Tatsachen ausgesprochen, die vielleicht der aktuellen Politik, die in Serbien geführt wird, nicht passen; dazu zählt, dass die Serbien in diesen Raum mehrheitlich zur autochthonen Bevölkerung zählen; das bedeutet, dass diese Serben kein Mutterland außerhalb von Montenegro haben."

Geerbt hat die Regierung eine durch Corona massiv belastete wirtschaftliche und soziale Lage, die bisher aber besser gemeistert wurde als erwartet. Als Erfolge verbucht Zdravko Krivokapic folgende Punkte:

5'41 - Größte Erfolge sechs Monate - 7'26'2

„Wir haben ein gutes Gleichgewicht zwischen Gesundheut und Wirtschaft gefunden und sichergestellt, dass die Tourismussaison erfolgreich war; das ist einer der größten Erfolge dieser Regierung. Zweitens bekommen nun alle Schüler bis zur fünften Klasse der Grundschule ihre Schulbücher gratis. Drittens arbeiten wir an einem neuen Steuersystem, das die Schattenwirtschaft beseitigen und dazu führen soll, dass das Durchschnittseinkommen in Montenegro 700 Euro beträgt und die Steuerbelastung der Wirtschaft sinkt.“

Bescheiden sind die Erfolge der Regierung allerdings im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität sowie bei der Justizreform, die den Schlüssel für eine erfolgreiche EU-Annäherung darstellt. Hier setzt auch die Kritik der proserbischen Demokratischen Front an, die von Beginn an gegen die Bildung einer sogenannten Expertenregierung war. Dazu sagt der Klubobmann der Demokratischen Front im Parlament. Slaven Radunovic:

26'48 27'40 - Front gegen Djukoanovic und DPS Regierung und Umbildung - 29'24

"Wir haben diese Regierung gezwungenermaßen akzeptiert, wissend, dass dieses Kabinett nicht so funktionieren wird, wie versprochen. So hat sich diese Regierung als machtlos erwiesen, und das ist der Hauptgrund, warum wir eine Regierungsumbildung fordern. Wir wollen, dass die Regierung auf dem Gebiet erfolgreicher ist, für das sie vor allem die Unterstützung der Wähler bekommen hat, und das ist die Vernichtung des Netzwerks der Partei von Milo Djukanovic, das weiter in den staatlichen Institutionen besteht und für den Kampf gegen die Kriminalität. So verkaufte es die Regierung als großen Erfolg, dass 1,5 Tonnen Kokain beschlagnahmt werden konnten. Doch das war eine internationale Aktion, wo die Polizeibehörden genau wussten, in welchem Container aus Lateinamerika das Kokain versteckt war. Doch bis heute wissen wir nicht, wer die Auftraggeber waren, und das ist ein Beweis dafür, dass es in Polizei und Staatsanwaltschaft noch immer Informanten gibt, die die Drahtzieher vorgewarnt haben. Somit haben wir jetzt 1,5 Tonnen Kokain aber keinen Schuldigen.“

Die Demokratische Front fordert daher eine Regierungsumbildung, über die seit Anfang Oktober verhandelt wird. Die Koalitionsregierung hat somit mit schwierigen Partnern im Parlament und einem Präsidenten zu kämpfen, mit dem die Zusammenarbeit mehr schlecht als recht funktioniert. Trotzdem versichert Außenminister Djodrje Radulovic:

Djordje Radulovic 7'22 - Stabilität - 7'57'9 (14)

"Als Staat ist Montenegro eindeutig stabil. Wir sind politisch reif genug, Probleme auf friedliche Weise zu lösen; das betrifft auch die Kirche."

Bleibt zu hoffen, dass diese Aussage zutrifft; denn einen weiteren instabilen Staat im ehemaligen Jugoslawien brauchen weder der Balkan noch die EU, die selbst mit vielen Problemen zu kämpfen hat.

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