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Die politische und kirchenpolitische Dimension des Kirchenkonflikts

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Berichte Montenegro

In Montenegro demonstrieren seit einem Monat viele Tausende Bürger gegen die Regierung und Langzeit-Präsident Milo Djukanovic. Grund ist ein Ende Dezember beschlossenes Religionsgesetz, das die Verstaatlichung der Kirchen und Klöster vorsieht, die in der Zeit des unabhängigen Königreichs Montenegro bis Dezember 1918 gebaut und auch vom Staat finanziert wurden. Betroffen ist vor allem die serbisch-orthodoxe Kirche; das Nutzungsrecht an diesen sakralen Gebäuden soll die Kirche aber weiter behalten. Ende 1918 wurde Montenegro unter rechtlich sehr fragwürdigen Umständen aber mit massiver Unterstützung der Westmächte an Serbien angeschlossen; nach 1945 war Montenegro eine Teilrepublik des kommunistischen Jugoslawien; nach dessen blutigem Zerfall verblieb Montenegro zunächst in einem Bundesstaat mit Serbien, erklärte dann aber im Sommer 2006 nach einem knappen Referendum seine Unabhängigkeit. Doch auch 14 Jahre später ist die Nationsbildung bei weitem noch nicht abgeschlossen und der serbische Einfluss weiter beträchtlich. Der Konflikt zwischen Staat und serbischer Orthodoxie geht somit weit über reine Eigentumsfragen hinaus. Darüber berichtet aus Montenegro unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz

Montenegro hat etwas mehr als 600.000 Einwohner; bei der Volkszählung im Jahre 2011 deklarierten sich 45 Prozent als Montenegriner und 29 Prozent als Serben. Zwar bekennen sich auch Montenegriner zur serbischen Orthodoxie; doch gegen das Religionsgesetz demonstrieren vor allem Serben. Die massive Mobilisierung bei den zweimal wöchentlich stattfindenden Protesten, die kirchlichen Prozessionen gleichen, ist ein großer Erfolg für diese Kirche. Sie kann aus einem großen Reservoir unter den Bürgern schöpfen; denn bei dem Referendum im Jahre 2006 stimmten nur 55 Prozent für die Unabhängigkeit Montenegros. 14 Jahre später hat die Nationsbildung nur bescheidene Fortschritte gemacht. Warum dem so ist, erläutert in Podgorica der Politologe Zlatko Vujovic so:

"Die Gründe dafür liegen in den proserbischen Parteien, im Einfluss Serbiens, in der Fortsetzung jener Kampagne aus den 1990iger Jahren - kurz in der Bewahrung der serbischen Identität in Montenegro. Dazu zählt eine starke serbisch-orthodoxe Kirche, die die montenegrinische Nation nicht anerkennt. Diese Kirche hat weiter eine enorme finanzielle und wirtschaftliche Macht und besitzt auch viele Medien, und daher kann dieser Prozess der Nationsbildung nicht abgeschlossen werden."

Eine Rechtsbeziehung zwischen dem Staat und der serbische-orthodoxen Kirche gibt es im Gegensatz zur Katholischen Kirche nicht. Geführt wird die serbische Orthodoxie in Montenegro seit 30 Jahren von Metroplit Amfilohije Radovic; der 83-jährige hat eine großserbische Vergangenheit, ist ein Mann der starken Worte und ein machtbewusster Kirchenfürst. Den proserbischen Parteien machte er klar, dass die Proteste eine rein kirchliche Angelegenheit seien. Den serbischen Präsidenten Alexander Vucic und den serbischen Patriarchen Irinej ließ Amfilohije wissen, dass er allein für Verhandlungen über das Religionsgesetz zuständig sei; das Verhältnis zwischen den beiden Kirchenfürsten soll nicht besonders gut sein, wurde Irinej doch Amfilohije bei der Bestellung zum serbischen Patriarchen vorgezogen; dazu sagt der Politologe Zlatko Vujovic:

"Amfilohije beruft sich jüngst sogar auf die Autokephalie und behauptet, die Orthodoxe Kirche in Montenegro sei autonom gegenüber der Serbisch-Orthodoxen Kirche, obwohl dem nicht so ist. Außerdem hat Amfilohije etwas getan, was an sich undenkbar war; passiv hat er verhindert, dass nicht nur Vucic sondern auch Patriarch Irinej nach Montenegro zu den Weihnachtsfeiertagen gekommen sind. Somit hat er klar gemacht, dass er es ist, der in Montenegro entscheidet."

Auch die montenegrinische Führung lehnt jede Einmischung aus Serbien ab. Demonstriert wurde gegen das Religionsgesetz auch in Belgrad und die von Präsident Vucic kontrollierten Boulevardzeitungen führen seit Wochen eine Kampagne gegen den montenegrinischen Präsidenten Milo Djukanovic. Trotzdem sollen die Beziehungen zwischen den zwei Politikern recht gut sein, die wohl von dem Konflikt profitieren. In Serbien und Montenegro finden heuer Parlamentswahlen statt, und Nationalismus ist auch am Balkan ein bewährtes Rezept zur Homogenisierung der Wählerschaft. Wann die beiden Politiker auch offiziell über die bilateralen Beziehungen sprechen werden, und ob und wann es in Montenegro zu einem Dialog zwischen Kirche und Staat kommen wird, ist offen.

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