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Kirchenkonflikt in Montenegro

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In Montenegro demonstrieren seit Wochen Anhänger der Serbisch-Orthodoxen Kirche gegen das Religionsgesetz, das das Parlament in Podgorica Ende Dezember beschlossen hat; das Gesetz ersetzt ein altes Gesetz noch aus der Zeit des kommunistischen Jugoslawien. Montenegro hat etwa mehr als 600.000 Einwohner; bei der Volkszählung des Jahres 2011 deklarierten sich 45 Prozent als Montenegriner und 29 Prozent als Serben. Zum orthodoxen Religion bekannten sich aber 72 Prozent der Bevölkerung. Gemeint ist damit vor allem die Zugehörigkeit zur Serbisch-Orthodoxen Kirche; denn die vor vielen Jahren gegründete eigene autokephale montenegrinische Kirche blieb eine Splittergruppe, die auch von keiner anderen orthodoxen Kirche anerkannt wurde. Gegen das Religionsgesetz demonstrieren somit nicht nur Personen, die sich zum serbischen Volk bekennen. Grund für die Proteste sind Bestimmungen über das Kircheneigentum, die Kirchenführung und Gläubige als Versuch einer Enteignung betrachten. So sieht das Gesetz vor, dass Kirchen und Klöster, die vor dem 1. Dezember 1918 im Königreich Montenegro bestanden haben, Eigentum des Staates sein soll, die Kirche diese Gebäude aber weiter nutzen darf. Dieser Stichtag wurde gewählt, weil im Dezember 1918 - unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkrieges – Montenegro an Serbien angeschlossen wurde, das damals aus der Konkursmasse der Habsburger Monarchie das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen bildete; dieser Staat wurde dann 1929 in Jugoslawien unbenannt. Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt Montenegro im kommunistischen Jugoslawien den Status einer Teilrepublik. Nach dessen blutigem Zerfall verblieb Montenegro zunächst bei Serbien, von dem es sich durch ein Referendum im Jahre 2006 löste. Nach Darstellung der Regierung in Podgorica wurden in den Wirren der 90iger Jahren des vorigen Jahrhunderts auch viele Kirchen und Klöster unter fragwürdigen Umständen im Kataster als Eigentum der Serbisch-Orthodoxen Kirche eingetragen. Das Religionsgesetz sieht nun eine Frist von einem Jahr vor, um die Eigentumsfragen in einem Verwaltungsverfahren zu klären; diese Regelung gilt für alle religiösen Gemeinschaften, doch am stärksten betroffen ist natürlich die Serbisch-Orthodoxe Kirche, mit der auch die bis zum Ende des montenegrinischen Staates selbständige Montenegrinische Orthodoxie nach dem Ersten Weltkrieg vereinigt wurde.

Berichtsinsert: Christian Wehrschütz aus Montenegro

Kamera: Nikola Brajovic und Predrag Crvenkovic

Schnitt: Mica Vasiljevic

Insert1: Metropolilt Amfilohije (Radovic),

Insert2: Mehmet Zenka, Minister für Menschenrechte und Minderheiten

Insert3: Dragan Kovacevic, Direktor des Amtes für Geodäsie in Podgorica

Insert4: Thomas Makert, Leiter des Sekretariats der Venedig-Kommission SKYPE

Insert5: Thomas Makert, Leiter des Sekretariats der Venedig-Kommission SKYPE

Insert6: Zlatko Vujovic, Politischer Analytiker in Montenegro

Gesamtlänge: 6’30

Es sind viele Tausende Montenegriner, die seit einem Monat gegen das Religionsgesetz demonstrieren; sie lehnen die Verstaatlichung von kirchlichen Gebäuden ab; betroffen wäre vor allem die serbisch-orthodoxe Kirche, deren Beziehung zum Staat noch durch keinen Vertrag geregelt ist. Angeführt hat die Demonstration am vergangenen Sonntag in Podgorica Metropolit Amfilohije; der 83-jährige ist ein Mann der starken Worte mit klar großserbischer Vergangenheit. In diesem Kloster in Cetinje – der alten Hauptstadt des Königreichs Montenegro - hat die Metropolie ihren Sitz. Nicht nur das Religionsgesetz bewertet der Metropolit als neo-kommunistisch:

"Wir haben hier ein neo-kommunistisches System; es ist nicht nur nicht bereit, das zurückzugeben, was nach dem Zweiten Weltkrieg enteignet wurde, sondern es geht noch weiter; jetzt werden sogar Kirchen weggenommen vor allem der Orthodoxen Kirche; das ist einzigartig in Europa; das gilt für ein derartiges Gesetz und den enormen Widerstand des Volkes dagegen."

Die serbische Orthodoxie ist in Montenegro auch ein wirtschaftlicher Faktor. Das Kloster Ostrog, Mitte des 17. Jahrhunderts gegründet, zieht im Sommer viele tausende Pilger und Touristen an. Abgesehen vom Verkauf von Devotionalien hat die Kirche auch beträchtlichen Wald- und Grundbesitz. Doch im Streit um das Religionsgesetz geht es vor allem um Kirchen und Klöster, die bis zur Beseitigung des montenegrinischen Staates durch den Anschluss an Serbien Ende 1918 errichtet wurden:

"Die zentrale Absicht besteht darin zu klären, wem was gehört und auf welcher Grundlage dieses Eigentum besteht. Das montenegrinische Gesetz über die Religionsbekenntnisse ist nichts Neues, sondern die Übernahme positiver Lösungen aus europäischen Staaten. Wir haben ein liberales Gesetz, das in großem Ausmaß religiöse Freiheiten garantiert. Zu den Zielen Montenegros zählt auch, dass es seine Kulturgüter schützt vor ausländischer Übernahme und vor Mißbrauch; ähnliche Regelungen gibt es in der EU."

Diese Kirchengebäude in Rogami am Stadtrand von Podgorica ist ein Beispiel für den Streit um das Eigentum; das Kirchlein ist mehr als 200 Jahre alt; gebaut haben es - so wird erzählt - die Bewohner des Ortes. Im bereits digitalisierten Kataster ist die Metropolie in Cetinje als Eigentümer eingetragen; alle Einsprüche dagegen durch die von der Weltorthodoxie nicht anerkannte sogenannte autokephale Kirche Montenegros wurden abgewiesen; doch ein Voreigentümer ist nicht zu finden. Das hat insgesamt nicht nur historische Gründe:

"Wir haben eine enorme negative Erblast; der Kataster wurde 1984 geschaffen als den Menschen noch nicht bewusst war, was es bedeutet, einen geordneten Zustand im Kataster zu haben. Alles was bis zu den Jahren 2008 eingetragen wurde enthält viele Fehler. Da gibt es viele unrichtige Eintragungen, die vielleicht sogar nur auf der Basis eines Ehrenworts - unter Anführungszeichen gesprochen - erfolgten. Gute historische Daten haben wir im Küstenland, wo es ein österreichisches Grundbuch gab."

Ehe das Parlament in Podgorica das Religionsgesetz verabschiedet hat, begutachteten auf Ersuchen der Regierung auch Experten des Europarates den Gesetzesentwurf; grundsätzlich fiel die Bewertung positiv aus:

"Es ist in der Tat so, dass es bei diesem Gesetz nur um solches Kircheneigentum geht, dass gleichzeitig kulturelle Bedeutung hat, in der Tat also ältere Gebäude, die früher wohl zu montenegrinischer Zeit im Staatsbesitz waren, in jugoslawischer Zeit war es unterschiedlich, am Ende auch im Besitz des Staates oder als öffentlicher Besitz nach bestimmten jugoslawischen Regeln; und dann gab es wohl in den 90iger Jahren eine Periode, wo es sozusagen zu ein wilden Privatisierung im Kataster kam, und diese Entscheidung im Kataster in den 90iger Jahren soll nun wieder aufgerollt werden."

Doch die sogenannte die Venedig-Kommission verlangte auch Änderungen:

"Für uns war die Beweislage in dem Gesetzesentwurf, den wir gesehen haben, zu unklar; und wir haben darauf gedrungen, dass im endgültig verabschiedeten Gesetz nun klare Verweise auf die Beweisregeln in anderen Gesetzen enthalten sein sollten, oder spezielle Beweisregelungen klar und eindeutig getroffen werden sollten."

Strittig ist, ob der Gesetzgeber diese Änderungen vorgenommen hat; die Regierung bejaht dies, die serbisch-orthodoxe Kirche verneint; umstritten ist auch, wer bis 1918 tatsächlich Eigentümer war; die Kirche sagt die Kirche, die Regierung sagt der Staat. Fest steht, dass es bei dem Konflikt auch um die Nationsbildung Montenegros geht; seit dem Jahre 2006 ist Montenegro von Serbien unabhängig; doch auch14 Jahre später verläuft die Nationsbildung schleppend:

"Gründe dafür sind die proserbischen Parteien, der Einfluss Serbiens, die Fortsetzung jener Kampagne aus den 1990iger Jahren - kurz die Bewahrung der serbischen Identität in Montenegro. Dazu zählt eine starke serbisch-orthodoxe Kirche, die montenegrinische Nation und Staat nicht anerkennt. Diese Kirche hat weiter eine enorme finanzielle und wirtschaftliche Macht und besitzt auch viele Medien, und daher kann dieser Prozess der Nationsbildung nicht abgeschlossen werden."

Anfang Jänner kam es auch in Serbien, in Belgrad, zu Demonstrationen gegen das Religionsgesetz; hinzukommen Aussagen führender serbischer Politiker, die Montenegro als unzulässige Einmischung auffasst. Der montenegrinische Ministerpräsident Dusko Markovic ist für einen Dialog mit der serbisch-orthodoxen Kirche – allerdings nicht via Belgrad, sondern nur mit Metropolit Amfilohije, der ebenfalls jede Einmischung aus Serbien ablehnt. Wann und ob es zum Dialog kommt ist ebenso offen wie die Frage, wie der Kirchenkonflikt in Montenegro beigelegt werden kann.

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